Australiens historisches Referendum ist gescheitert. Eine große Mehrheit der 17 Millionen Wahlberechtigten lehnte den Vorschlag, eine sogenannte indigene „Stimme“ („Voice“) einzurichten, ab. Das Gremium hätte das Parlament bei Themen beraten sollen, die die Ureinwohnerinnen und Ureinwohner betreffen. Es wäre zudem in der Verfassung verankert worden und hätte den Indigenen damit erstmals Anerkennung gegeben.
Ein trauriger Moment in der Geschichte des Landes
Tage zuvor waren bei Australiens Premierminister Anthony Albanese die Emotionen während einer Aboriginal Zeremonie bereits hoch gewallt. Am Samstag musste er sein „Herzensprojekt“ dann endgültig zu Grabe tragen, obwohl er in seiner Rede im Anschluss versprach, dass dies „sicherlich nicht das Ende unserer Bemühungen ist, Menschen zusammenzubringen“. Marcia Langton, eine indigene Akademikerin und Aktivistin, fand dagegen stärkere Worte: Sie nannte das Nein-Votum in Fernsehinterviews „einen traurigen Moment in der Geschichte des Landes“. Eine Aussöhnung erklärte sie für „tot“.
Grundsätzlich ist es nicht einfach, ein Referendum in Australien über die Ziellinie zu bringen. Um die Verfassung zu ändern, hätten mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten sowie eine Mehrheit in vier der sechs Bundesstaaten mit „Ja“ abstimmen müssen. Australienweit stimmten jedoch über 60 Prozent für „Nein“. Die „Stimme“ erreichte in keinem einzigen Bundesstaat eine Mehrheit.
Wie die Suffragetten
Für Albanese ist die Niederlage sehr persönlich. Er hatte fest daran geglaubt, mit dem Referendum einen „einigenden australischen Moment“ zu schaffen und den Versöhnungsprozess mit den Aboriginal People vorantreiben zu können. Seine Hoffnung war es, mit dem Projekt die Lebensbedingungen der nach wie vor benachteiligten indigenen Bevölkerung zu verbessern. Doch der Widerstand gegen den Vorschlag war unerwartet groß. Zu einem Zeitpunkt verglich Albanese die Situation mit dem einst nicht weniger schwierigen Kampf der Suffragetten für ein Frauenwahlrecht.
Dabei war das letzte Referendum um eine indigene Angelegenheit noch von Erfolg gekrönt gewesen: 1967 stimmte das australische Volk dafür, die indigene Bevölkerung bei Volkszählungen mitzuzählen. Damals wurden den Ureinwohnern erstmals Bürgerrechte eingeräumt. Die Idee zur indigenen „Stimme“ war dann im Jahr 2017 aufgekommen. Damals trafen sich die Führerinnen und Führer der verschiedenen Aboriginal Völker sowie der Torres-Strait-Insulaner am berühmten Uluru im Zentrum Australiens. Sie schlugen die „Stimme“ im sogenannten „Statement from the Heart“ vor. Premierminister Anthony Albanese versprach, die Idee nach dem Wahlsieg der Sozialdemokraten im vergangenen Jahr umzusetzen.
Trumpsche Fehlinformation
Über die vergangenen Monate hinweg entwickelte sich die „Stimme“ jedoch zu einem unerwarteten Zankapfel in der Bevölkerung. Ein Grund war dabei, dass sich die konservative Opposition auf die Seite der „Nein“-Kampagne schlug – offiziell aus dem Grund, da die „Stimme“ ihrer Meinung nach die Nation „nach Rassen aufspalten“ würde. Megan Davis, eine der indigenen „Architektinnen“ der „Stimme“, glaubt dagegen, dass der Beweggrund der Konservativen war, „Zwietracht in der australischen Regierung zu stiften“. Davis mahnte die Menge an Trumpscher Fehl- und Desinformation an, die bei den „Nein“-Kampagnen zum Einsatz gekommen sei.

Tatsächlich wurde in Social-Media-Kampagnen, aber auch über einige Medien, eine negative Stimmungsmache verbreitet, die nicht selten mit Übertreibungen, verzerrten Wahrheiten und teils sogar mit Lügen arbeitete. Falsche Behauptungen, dass Aboriginal People nach dem Referendum kostenlose Wohnungsbaudarlehen, Autos oder Universitätsabschlüsse erhalten würden, wurden verbreitet – ebenso wie die Lüge, dass Menschen ihr Zuhause oder ihr Grundstück verlieren würden oder Australien Entschädigungen zahlen müsste.
Einige indigene Gegner der „Stimme“ argumentierten dagegen, dass die „Stimme“ ein „machtloses Beratungsgremium“ und reine „Schaufensterdekoration“ wäre. Viele dieser indigenen Neinsager würden sich statt der „Stimme“ einen Vertrag („Treaty“) wünschen – ähnlich wie die Māori dies in Neuseeland haben. Neuseeland ermöglichte über den Vertrag von Waitangi, der 1840 zwischen den Briten und verschiedenen Māori-Häuptlingen unterzeichnet wurde, einst die Anerkennung seiner Ureinwohnerinnen und Ureinwohner.
Oft benachteiligt
Die indigenen Völker in Australien galten dagegen bis 1967 nicht einmal als Staatsbürger in ihrem eigenen Land. Kinder wurden bis in die 1970er Jahre aus ihren Familien gerissen und in Pflegeheime gebracht. Die Traumata dieser „Gestohlenen Generation“ wiegen bis heute schwer. Stewart Sutherland, ein Experte für indigene Gesundheit an der Australian National University (ANU) in Canberra, der selbst der indigenen Wiradjuri-Nation angehört, hätte sich deswegen erhofft, die Australierinnen und Australier mit Hilfe der „Stimme“ auch über ihre eigene Geschichte zu informieren. „Australien braucht die Wahrheit bezüglich dieser Themen“, sagte er.
Ebenso wichtig wäre aber eine Verbesserung der Lebensbedingungen der indigenen Bevölkerung gewesen. Diese ist in zahlreichen Bereichen des Lebens nach wie vor benachteiligt: Ein Beispiel ist die Lebenserwartung, die gemäß der aktuellsten Daten der australischen Statistikbehörde (für den Zeitraum 2015 bis 2017) zwischen 7,8 und 8,6 Jahren unter der der nicht-indigenen Bevölkerung lag. In abgelegenen Gebieten des Landes war die Diskrepanz sogar noch ausgeprägter – hier betrug sie 13,8 Jahre für Männer und 14 Jahre für Frauen. Auch die Selbstmordraten sind unter den Indigenen deutlich höher. Verbesserungen wären zudem in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, Gesundheit und Wohnen nötig.
Der indigene Experte Sutherland fürchtet nach der Niederlage nun einen Stillstand im Land: Er glaube nicht, „dass es in meiner Lebenszeit noch etwas Vergleichbares geben wird“. In seinen Augen verstehen viele Australier die Tragweite nicht, die ein „Nein“ mit sich bringt: „Australien wird am 15. Oktober 2023 ein anderes Land sein“, meinte er.
De Maart
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