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DeutschlandNach dem EU-Asylkompromiss sind die Grünen in Aufruhr

Deutschland / Nach dem EU-Asylkompromiss sind die Grünen in Aufruhr
Nicht nur die europäische Asyl- und Migrationspolitik dürfte den Grünen derzeit Schwierigkeiten bereiten, denn auch in Deutschland selbst geht zunehmend von einer Überlastung die Rede Foto: Odd Andersen/AFP

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Deutschlands Zustimmung zur umstrittenen EU-Asylreform sorgt bei einigen Grünen für Entsetzen. Manche sehen sogar den Kern grüner Politik in Gefahr. Dabei geht es nicht nur um Asyl und Migration, sondern auch um die Frage, wer die Grünen in der Regierung sein wollen.

Wieder ist es das Thema Migration, das die Grünen in Aufruhr versetzt. Von Entsetzen über den Kurs der Parteispitze in der aktuellen Asyldebatte ist da die Rede und sogar von Ignoranz gegenüber der eigenen Partei. In einem ungewöhnlich scharfen Ton bricht sich gerade erneut ein Unmut Bahn, der gerade erst mühsam beruhigt worden war.

Hintergrund des neuen Streits ist der Asylkompromiss auf EU-Ebene, der am Mittwoch dieser Woche erzielt worden war. Letzter großer Streitpunkt bei der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) war die sogenannte Krisenverordnung. Sie versetzt EU-Staaten in die Lage, bei einem besonders großen Andrang von Geflüchteten Asylstandards deutlich abzusenken. Über mehrere Monate hatten die Grünen versucht, die Krisenverordnung aufzuhalten, bis Kanzler Olaf Scholz schließlich intern die klare Ansage gemacht hatte, dass Deutschland nicht weiter blockieren werde. Seit Mittwoch ist also der Weg frei, damit sich das große EU-Asylpaket weiter in Richtung Gesetzesreife bewegt.

„So geht es nicht“, findet Svenja Borgschulte. Laut der Sprecherin der parteiinternen Bundesarbeitsgemeinschaft Migration und Flucht werden mit dieser Verschärfung der EU-Asylpolitik „faktisch“ Menschenrechte abgeschafft. „Die Parteispitze hätte sich klar dazu positionieren müssen, aber das hat sie nicht getan“, sagte Borgschulte dem Tageblatt. Das führe nicht zu weniger Schutzsuchenden in Deutschland, aber zu „noch mehr Gewalt an den Außengrenzen“. Schon am Mittwoch hatte die Arbeitsgemeinschaft in einem Statement Alarm geschlagen. „Es handelt sich hierbei um eine Aufgabe grüner Kernpositionen“, heißt es in der Mitteilung. Borgschulte findet sogar, dass die Grünen in der Regierung „definitiv einige ihrer Positionen nach rechts verschoben“ haben. Auch die Grüne Jugend kritisierte die EU-Einigung. Diese sei „Wasser auf die Mühlen rechter Regierungen in Europa“, so Timon Dzienus, Co-Chef der Nachwuchsorganisation.

Schon im Juni zoffte sich die Partei

Schon im Juni hatten sich die Grünen wegen Deutschlands Zustimmung zu den schärferen EU-Asylregeln gezofft. Damals hatten führende Grüne mit einer ungewöhnlichen Strategie versucht, die eigene Partei hinter der schmerzhaften Entscheidung zu versammeln. So hatten sich die Doppelspitzen von Partei und Bundestagsfraktion jeweils mit unterschiedlichen Bewertungen positioniert – während die eine Stimme den EU-Kompromiss verteidigte, stellte die andere ihn in Frage. Außenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck betonten dagegen unisono die Notwendigkeit einer Einigung in Europa. Bei einem kleinen Parteitag Mitte Juni rauften sich die Grünen schließlich zusammen. Sie einigten sich darauf, sich auf EU-Ebene für Nachbesserungen einzusetzen. Der Friede war nur von kurzer Dauer, wie sich nun zeigt.

Das hat zum einen inhaltliche Gründe: Migration ist ein sensibles Thema. Das Eintreten für Humanität und Offenheit gehört für viele Grüne zum Kern der eigenen Politik. Zum anderen berührt die Auseinandersetzung das Selbstverständnis der Partei in Regierungsverantwortung.

Immer wieder wird den Grünen vorgeworfen, nach rund zwei Jahren Ampel-Koalition noch in der Oppositionsrolle verhaftet zu sein und an ideologischen Positionen festzuhalten. Bei einigen Grünen macht sich ein anderer Eindruck breit. Man sei schon über viele Schatten gesprungen – vom verschobenen Atomausstieg über den Kohlekompromiss und das Abbaggern der Kohle in Lützerath bis hin zum Bau neuer Flüssiggas-Terminals. Der Asylkompromiss aber geht manchen nun einen Schritt zu weit.

Die früheren Parteichefs Baerbock und Habeck waren es, die die Grünen auf den pragmatischen Kurs hin zur Regierungspartei bringen wollten. Das erklärte Ziel war es, eine Politik für die Breite der Gesellschaft zu machen. Verfechter dieser Linie sind in der Partei wohl weiterhin in der Mehrheit, zumindest sitzen sie an entscheidenden Stellen.

Asylpolitik Thema auf großem Parteitag

Geht es nach Lamya Kaddor, dann haben die Grünen diesen Kurs auch in strittigen Fragen eingehalten. „Selbstverständlich sind wir in der Regierungsrolle angekommen“, sagte die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. „Das wird zum Beispiel daran sichtbar, dass wir in aktuellen Debatten – etwa zum Thema Migration – davon absehen, schrille Wahlkampftöne und Scheinlösungen in den Diskurs zu werfen“, so Kaddor. Stattdessen fokussiere man sich darauf, „realistische, effektive und pragmatische Vorschläge“ zu machen.

Ob die jüngste Entscheidung auf EU-Ebene tatsächlich effektiv und pragmatisch ist, bezweifelt allerdings auch Anton Hofreiter, Vorsitzender des EU-Ausschusses im Bundestag. „Diese Reform wird in der Praxis nicht viel ändern“, so Hofreiter. Menschen aus Afghanistan, Syrien, dem Irak oder Iran würden fliehen, weil ihnen harte Folter, Verfolgung und Unterdrückung drohen würden. „Daran wird auch dieser GEAS-Kompromiss nichts ändern.“ Die Aufregung nannte Hofreiter „übertrieben“.

Der Zwist in der Asylpolitik ist alles andere als beendet. Er dürfte auch die Debatten auf dem großen Parteitag der Grünen Ende November in Karlsruhe sein. Dann nehmen sich die Grünen vier Tage Zeit zur Selbstvergewisserung.

fraulein smilla
7. Oktober 2023 - 23.07

Nach der Logik von Hofreiter sind allein was Afghanistan ,Syrien ,Iran und Irak angeht 195 millionen Menschen Asylberechtigt .