Viele Debatten hat er länger laufen lassen, doch eine Woche vor den Landtagswahlen in Hessen und Bayern hat sich in der emotionaler werdenden Migrationsdebatte jetzt auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu Wort gemeldet. Die aktuellen Flüchtlingszahlen seien „zu hoch“, das könne nicht so bleiben, sagte Scholz dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Er zeigte sich offen für rechtliche Änderungen. So müssten Asylbewerber künftig schneller in Deutschland arbeiten können. Mit Ländern und Kommunen werde er sich im November über die weitere Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung einigen.
Die Alarmrufe der Kommunen, die sich mit Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten überfordert sehen, bleiben in den Parteien jetzt nicht mehr ungehört. Politiker von Union, FDP und Grünen schlossen sich der Forderung des Gemeindebunds an, Asylbewerbern bereits vom ersten Tag an Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. FDP und Union verlangen zudem, Asylbewerbern statt Geld- nur noch Sachleistungen zur Verfügung zu stellen.
Neben 1,1 Millionen ukrainischen Flüchtlingen sind in diesem Jahr bereits mehr als 220.000 Erstanträge auf Asyl in Deutschland gestellt worden – ein Anstieg um 77 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die meisten Menschen kamen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Die aktuellen Zahlen liegen zwar noch weit unter denen der beiden Jahre 2015 und 2016 während der Flüchtlingskrise. Damals registrierten die Behörden insgesamt 1,2 Millionen Asylanträge. Allerdings liegt die Gesamtzahl der Schutzsuchenden, nimmt man die Menschen aus der Ukraine hinzu, ähnlich hoch.
Aus den USA schaltete sich Milliardär Elon Musk mit umstrittenen Tweets in die deutsche Debatte ein. „Wenn eine Regierung in einer Demokratie gegen den Willen des Volkes handelt, sollte sie abgewählt werden“, schrieb er. In einer von Musk weiter verbreiteten Nachricht von RadioGenoa hieß es, die deutschen Seenotretter im Mittelmeer würden die geretteten Flüchtlinge in Italien abladen: „Hoffen wir, dass die AfD die Wahlen gewinnt, um diesen europäischen Selbstmord zu stoppen“, hieß es in dem Radio-Tweet.
Scholz sagte, er hoffe, dass verstärkte Grenzkontrollen und der stärkere Schutz der EU-Außengrenzen sich „schnell bemerkbar“ machen. „Mehr als 70 Prozent aller Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, sind vorher nicht registriert worden, obwohl sie nahezu alle in einem anderen EU-Land gewesen sind“, sagte er.
EU-weit gleiche Leistungen
CDU-Chef Friedrich Merz forderte Scholz auf, bereits am Morgen des 9. Oktober, dem Tag nach den Wahlen, zusammenzukommen, um über gemeinsame Wege zur Eindämmung der Migrantenzahlen zu verhandeln. Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sprach sich für eine Angleichung der Asylbewerberleistungen auf europäischer Ebene aus. „Wenn wir ein höheres Sozialleistungsniveau anbieten, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass die Menschen versuchen, möglichst nach Deutschland zu kommen.“
Dieser Forderung schloss sich der Städte- und Gemeindebund an. „Es ist wichtig, die Leistungen für Flüchtlinge europaweit, gemessen an der Kaufkraft, zu vereinheitlichen“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg dem Tageblatt. „In der Migrationspolitik ist es fünf vor zwölf. Die Kommunen sind überwiegend überfordert und an ihre Leistungsgrenze gelangt.“
Die Forderung nach einer schnelleren Arbeitserlaubnis für Asylbewerber nehmen auch die Ampel-Parteien auf. Bislang können Asylbewerber erst drei Monate nach ihrem Asylantrag einen Antrag auf Arbeitserlaubnis stellen. Diese gilt zunächst auch nur eingeschränkt. „Wir sprechen uns schon lange dafür aus, dass geflüchtete Menschen möglichst schnell arbeiten dürfen und bestehende Arbeitsverbote aufgehoben werden“, sagte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann. „Darüber hinaus gilt es, weitere Hemmnisse zum Erwerb einer Arbeitserlaubnis abzubauen.“
Mehr Sach- oder Geldleistungen?
Auch der Städtetag ist für sofortige Arbeitserlaubnisse. „Geflüchtete, die den Kommunen zugewiesen werden, sollten sofort arbeiten dürfen – unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus“, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy. „Das Asyl- und Aufenthaltsrecht müsste entsprechend geändert werden und berufliche Qualifikationen aus den Heimatländern der Geflüchteten müssen schneller und unbürokratischer anerkannt werden“, forderte Dedy.
Skeptisch zeigen sich Grüne, SPD und Kommunen gegenüber der FDP-Forderung nach einer Umstellung von Geld- auf Sachleistungen für Asylbewerber. Nach Erkenntnissen des FDP-geführten Bundesfinanzministeriums überweisen Asylbewerber hohe Summen an Verwandte in der Heimat. FDP-Chef Christian Lindner lässt prüfen, ob die Überweisungen blockiert werden könnten. „Die Umstellung auf Sachleistungen für alle Asylbewerber ist schwer umzusetzen, erzeugt Bürokratie und wird den Personen mit Bleibeperspektive nicht gerecht“, sagte Landsberg. Auch Grünen-Politikerin Haßelmann und SPD-Entwicklungsministerin Svenja Schulze lehnten die Umstellung ab.
De Maart
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