Do Androids Dream of More Affordable Sheep?
„The Creator“ von Gareth Edwards, mit unter anderem John David Washington, Madeleine Yuna Voyles und Allison Janney.

Der amerikanische Blockbuster steckt in einer tiefen Sackgasse. Einige der millionenschweren Franchise-Filme des Jahres sind an den Kinokassen gefloppt. „Barbie“ und „Oppenheimer“ waren hingegen Hits. Und jetzt kommt der Regisseur des „Godzilla“-Reboots und des „Star Wars“-Films „Rogue One“ und schlägt etwas vor, was im groß budgetierten Hollywood-Kino fast wie eine Fata Morgana erscheint. Ein Originaltitel – keine Buchadaptation, kein Superheldenfilm, einfach nur ein bombastischer Film.
In einer nicht allzu weiten Zukunft und nach einer atomaren Katastrophe haben sich die Westmächte dazu entschieden, jegliche KI auszulöschen. Die Künstliche Intelligenz, die seit Jahrzehnten fester Bestandteil der Menschheit gewesen ist, wird für den Atomschlag verantwortlich gemacht. Ein trauernder Ex-Militär wird damit beauftragt, den mysteriösen Schöpfer einer fortgeschrittenen KI zu finden und auszuschalten. Gerüchten zufolge würde er eine Waffe verstecken, die den Krieg beenden könnte – und die Menschheit.
So original das Marketing „The Creator“ hinzustellen vermag, man könnte auch ganz einfach Sci-Fi-Bingo spielen, so klassisch ist Gareth Edwards’ Erzählung. Inklusive des Finales, das man in der Form auch schon x-mal gesehen hat. Was so einen Film aber ausmacht, ist eben nicht nur die Art, wie er etwas – sogar Altbackenes – erzählt, sondern auch die Frage, wann und wie. Während AI in aller Munde ist und jetzt schon für den Untergang der westlichen Welt verantwortlich gemacht wird, kontert Edwards mit einer transhumanistischen Fabel, die sich nicht vor ästhetischen Versatzstücken eines Vietnam-Kriegsfilmes scheut. Wenn man dann liest, dass dieser Film mit einem Budget von nur 80 Millionen Dollar entstanden ist, dann kann man beim Endresultat eigentlich nur staunen. Zum Vergleich: Das letzte „Indiana Jones“-Spektakel kostete Disney fast 300 Millionen Dollar. An spektakulären Originalschauplätzen in Asien gedreht, könnte dieser Film als Blaupause dafür dienen, wie effektgeladene Blockbuster in Zukunft produziert werden könnten. Dass die Drehbücher dabei nicht zu kurz kommen sollten, liegt natürlich auf der Hand.
Weder Match Point noch „coup de grâce“
„Coup de chance“ von Woody Allen, mit u.a. Lou de Laâge, Melvil Poupaud, Niels Schneider und Valérie Lemercier.

Seit Beginn seiner Karriere als Filmemacher inszenierte Woody Allen in der Regel einen Film pro Jahr. Hier und da ging es so gerade nicht auf – die Ausnahme bestätigte aber die Regel. Zwischen Rifkins Festival und seinem neuen Spielfilm sind jetzt aber sogar drei Jahre vergangen. Eine Rekordzeit. Das liegt aber nicht an Allens hohem Alter. Eine weitere Premiere: „Coup de chance“ ist sein erster Film in nicht-englischer Sprache.
Das Setting ist die Pariser „rive droite“. Wer auch nur eine Handvoll Allen-Filme gesehen hat, wird hier seine Figuren-Schablone auf der französischen Bourgeoisie aufgesetzt wiedererkennen. Fanny und Jean sind ein verheiratetes Paar, dem es an nichts zu fehlen scheint. Beide lieben sich wie eh und je – sie verzeiht ihm sogar seine allwöchentlichen Jagdausflüge auf dem Land – und beide sind sogar beruflich erfüllt. Diese heile Welt gerät jedoch ins Wanken, als Fanny dem alten Schulkameraden Jean auf der Straße begegnet.
Unabhängig davon, wie man zur Debatte um Woody Allen steht, ist „Coup de chance“ weit davon entfernt, der gute Film zu sein, für den die angelsächsische Kritik ihn befunden hat. Sie hatte sich fast schon geschämt, Woody gutzuheißen. Aber sein 50. Jubiläum ist mehr als ernüchternd. Der Film – der übrigens bei der Mostra vor ein paar Wochen Premiere feierte – ist übersät vom Immergleichen, voller Klischees und mit Dialogen, die daherkommen, als ob sie das Resultat einer Google-Translate-Übersetzung gewesen wären. Allens zweiter Ausflug nach Paris ist mehr als banal – „Midnight in Paris“ war nicht nur im direkten Vergleich ein Höhepunkt seines Spätwerks – und punktet, wenn überhaupt, mit einer bizarren Kameraarbeit, die lange Einstellungen mit fast schon expressionistischen Farben verbindet. Melvil Poupaud zeigt sich von seiner verspielt perfiden Seite, die er bei „L’amour et les forêtes“ von Valérie Donzelli besser eingepackt zum Ausdruck bringen kann. Valérie Lemercier verkörpert die Rolle, die sonst eigentlich Allen selbst gespielt hätte, und weiß nicht recht, was tun. Wenn nur das Ende nicht kilometerweit gegen den Wind zu erahnen wäre.
„Coup de petit coeur“
„Àma Gloria“ von Marie Amachoukeli, mit u.a. Louise Mauroy-Panzani, Ilça Moreno Zego und Arnaud Rebotini.

Der Eröffnungsfilm der „Semaine de la critique“ in Cannes bewies einmal mehr, wie selten man eigentlich ergreifende Kinderporträts auf der großen Leinwand zu sehen bekommt. Das Kind in Marie Amachoukelis erster Soloregie „Àma Gloria“ ist so eine Seltenheit.
Die von Louise Mauroy-Panza gespielte Cléo wird größtenteils von ihrem Kindermädchen großgezogen. Der Vater ist viel beschäftigt und die Mutter nicht präsent. Gloria muss aber nach dem Tod ihrer Mutter zurück auf die Kapverden zu ihrer eigenen Familie, verspricht jedoch der Sechsjährigen, dass sie sich wiedersehen werden. So findet sich die Kleine plötzlich einen Sommer lang bei Gloria wieder, einer Frau, einem Mutterersatz, den sie bislang nur für sich zu beanspruchen und lieben wusste.
Wie einen empathischen Film produzieren, der nebenher einen politischen Kommentar auf ein gesellschaftliches Phänomen mit sich führt? Cléo hat es schwer, sich in diesem ihr fremden Umfeld zurechtzufinden. Das liegt nicht nur damit daran, dass sie ohne Brille verschwommen durchs Leben ginge. Einen Film zu erschaffen, der auf den Schultern eines Kleinkindes getragen wird, ist ein gewagtes Unterfangen, doch Regisseurin Amachoukeli leistet eine beachtliche Arbeit in Sachen Schauspielführung. Ihre Regie ist eine von organisch ineinanderfließenden Bildern, die wie das Meer und seine Gezeiten mal mehr, mal weniger aufbrausende Wellen schlagen. Dabei kippt „Àma“ Gloria gelegentlich sogar in impressionistisch anmutende Animationspassagen, die mit Wasserfarben die abstrakten ersten Erinnerungen von Cléo mit ihrer Nanny widerspiegeln. Alles geht ganz natürlich ineinander und macht „Àma Gloria“ zu einem berührenden Film, der nicht die These vertritt, dass mit Kinderaugen das Leben viel einfacher wäre.
De Maart
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