Mittwoch3. Dezember 2025

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EschWachsende soziale Not sorgt für großen Zulauf: Zu Besuch bei Zarabina

Esch / Wachsende soziale Not sorgt für großen Zulauf: Zu Besuch bei Zarabina
Zarabina-Präsidentin Vera Spautz (l.) und Geschäftsführerin Angela Ruess Foto: Editpress/Julien Garroy

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Über mangelnde Arbeit kann sich die Beratungs- und Weiterbildungsorganisation Zarabina aus Esch nicht beklagen. Im Gegenteil, sie wird heute tagtäglich mit den Folgen von Pandemie sowie der zunehmenden Armut und sozialen Not in der Gesellschaft konfrontiert.

Am 15. Mai 1995 wurde Zarabina gegründet. „Damals gab es keine Hilfsorganisation für Frauen im Süden des Landes, lediglich ‚Femmes en détresse’ in der Stadt“, erinnert sich Vera Spautz, die mit einigen sozialpolitisch und gewerkschaftlich engagierten Frauen beschloss, an der Situation etwas zu ändern. Seit den Anfängen in der Escher rue de l’Eglise ist vieles geschehen. Zarabina kümmert sich längst nicht mehr exklusiv um Frauen, wie das in der Anfangszeit der Fall war.

Das Zarabina-Haus in der Escher rue Emile Mayrisch
Das Zarabina-Haus in der Escher rue Emile Mayrisch Foto: Editpress/Julien Garroy

Die Vereinigung ohne Gewinnzweck ist vielmehr zur Beratungs-, Orientierungs- und Weiterbildungszentrale für alle geworden. Ziel ist es, Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Im 2000 bezogenen neuen Haus in der Emile-Mayrisch-Straße arbeiten inzwischen 17 Angestellte. Sie blicken auf zwei bewegte Pandemie-Jahre zurück und bekommen die Folgen noch heute tagtäglich zu spüren. Genauso wie die zunehmende Armut in der Gesellschaft.

Veränderter Arbeitsmarkt

„Der Arbeitsmarkt hat sich durch die Pandemie verändert, zudem haben viele Menschen gesundheitliche Probleme, was ihre Integration in die Arbeitswelt erschwert“, sagt Angela Ruess, Geschäftsführerin von Zarabina, und Präsidentin Vera Spautz fügt an: „Wir beobachten immer mehr psychische Probleme, auch starke.“ So spiele die Gesundheit eine immer größere Rolle, weshalb die sogenannte Salutogenese bei Zarabina auch immer wichtiger wird. Darunter versteht man stark vereinfacht ausgedrückt die Entstehung und den Erhalt von Gesundheit. 2022 wurde das Trainingsseminar für Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen in Bezug zum Arbeitsmarkt (GesoL) gleich dreimal durchgeführt.

 Foto: Editpress/Julien Garroy

Mit Bezug auf ihre Arbeitserfahrung und Gesundheitsgeschichte lernen die Teilnehmer, die eigenen Stärken und Kompetenzen zu identifizieren, zu reaktivieren und sie neu zu bewerten. Gleichzeitig lösen sie sich von unrealistischen Zielen. Und sie lernen, die Stärken in einem späteren Bewerbungsgespräch nachzuweisen und authentisch zu kommunizieren. 142 Personen profitierten im vergangenen Jahr von dem Angebot. 11 Prozent von ihnen schafften es anschließend, eine berufliche Tätigkeit bzw. eine passende Weiterbildungsmaßnahme zu finden.

Neben GesoL gibt es eine Reihe weiterer Programme, die Zarabina anbietet. Die Erfolgsquote ist dabei beachtlich. 25-30 Prozent der Kursteilnehmer werden erfolgreich auf dem ersten Arbeitsmarkt integriert. Bei der Frauen vorbehaltenen Weiterbildung zur Office-Assistentin, einer zehnmonatigen Ausbildung mit dem Schwerpunkt Buchhaltung, liegt die Vermittlungsquote gar bei 90 Prozent. Unter erstem Arbeitsmarkt versteht man den „normalen“ Arbeitsmarkt, während der zweite Arbeitsmarkt Beschäftigungsinitiativen wie CIGL oder ProActif umfasst. „Das ist unser Ziel, die Leute auf dem ersten Arbeitsmarkt, am besten mit einem unbefristeten Vertrag, unterzukriegen“, sagt Angela Ruess. „Wir sind aber kein normales Zentrum für Weiterbildung. Unsere Kunden kommen aus schwierigen Lebenssituationen und haben es nicht einfach, aber wir holen sie ab, wo sie stehen und nehmen sie an, wie sie sind. Was ich damit sagen will, ist, dass der Aufwand enorm ist. Wir könnten noch viel mehr anbieten, tun das aber nicht, weil wir jetzt schon voll ausgelastet sind.“

Warteliste wird länger

Allein im ersten Quartal dieses Jahres profitierten 309 Personen vom Zarabina-Angebot, die Warteliste wird immer länger. 2022 wurden insgesamt 454 Menschen (376 Frauen, 164 Männer und 4 Divers) im Rahmen individueller Beratungen begleitet. Diese Zahl wird 2023 weit übertroffen, so viel steht fest. Die Vorgehensweise ist dabei immer gleich. Erst wird ein Kompetenzprofil der Person erstellt, anschließend ein Aktionsplan. 

„Es geht darum, die Menschen ernst zu nehmen und ihnen Perspektiven aufzuzeigen. Als Feedback bekommen wir oft große Dankbarkeit zurück. Wenn jemand keine Perspektive mehr für sich sieht, dann ist das schrecklich“, sagt Vera Spautz. Denn wenn sie sich an Zarabina wenden, sind die Menschen mitunter in einer in ihren Augen aussichtslosen Situation. Sie haben Gesundheitsprobleme, sind Opfer häuslicher Gewalt oder haben finanzielle Existenzängste, v.a. durch die Wohnungsnot. Spautz berichtet von einer Frau, die sechs Wochen im Auto lebte und von anderen, die in „extremster Armut“ (über)lebten. Von Frauen, die aus eben jener Existenzangst in den toxischen Beziehungen mit ihren gewalttätigen Männern bleiben. „Wir können nicht die Augen verschließen vor häuslicher Gewalt“, sagt die frühere Escher Bürgermeisterin, „auf der anderen Seite ist unsere Aufgabe aber die Integration in den Arbeitsmarkt.“ Da hilft es, dass man sehr gut mit anderen Hilfssystemen vernetzt sei, fügt Angela Ruess an. Man vermittele die Menschen also weiter. Prinzipiell sei ein „betroffener Berater kein guter Berater. Aber natürlich nehmen einen die Schicksale mit“, sagt Ruess. Was dabei helfe, sei die gute Schulung der Mitarbeiter. Und Empathie, damit ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden kann. 

Auch Flüchtlinge gehören mittlerweile zur Kundengruppe von Zarabina, das in erster Linie vom Arbeitsministerium finanziert wird und neben Esch auch noch einen Standort in Bonneweg hat. Durch die Unterstützung des Ministeriums können Beratungen und Kurse gratis angeboten werden. „Bei den Flüchtlingen sind es die administrativen Hürden, die Probleme bereiten“, berichtet Vera Spautz. Und natürlich auch die Schicksale der Menschen, die mitunter in ihrer Heimat Schreckliches erlebt haben.