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Lust zu lesenFreund des Chefs: „Noch wach?“ von Benjamin von Stuckrad-Barre

Lust zu lesen / Freund des Chefs: „Noch wach?“ von Benjamin von Stuckrad-Barre
Benjamin von Stuckrad-Barre

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Das Buch dieses Frühlings: „Noch wach?“ von Benjamin von Stuckrad-Barre – zumindest im deutschsprachigen Raum. Was für ein Medienauftrieb! Keine größere Zeitschrift kam drum herum, auch unser Autor Thomas Koppenhagen hat sich den Roman zu Gemüte geführt.

Alles beginnt am Pool des Hotel Chateau Marmont in Hollywood. Topfitte Leiber aalen sich nackig unterm Abendmond am Pool bzw. in der Aufmerksamkeit derjenigen, die irgendwie dabei sein wollen. Ein De-luxe-Leben, wie aus dem Bilderbuch. Mittendrin, Benjamin von Stuckrad-Barres Ich-Erzähler (mit Badehose, weil verklemmt), der die Szenerie beschreibt, als hätte er sie einem vergessenen Roman der „Lost Generation“ entliehen. Es treten auf: der ausgeflippte Brandon, die schweigsame Rose sowie, aus Deutschland hinzugekommen, „Basketballs“, mit einem gehörigen Widerwillen gegenüber den nächtlichen, per Chatnachrichten geäußerten Beischlaf-Sehnsüchten ihres Chefredakteurs. Der ist zufällig der Angestellte vom besten Freund des Ich-Erzählers – womit die Voraussetzungen für etwas, das einem Kreuzzug ähnelt, beschrieben wären.

Benjamin von Stuckrad-Barre wehrt sich dagegen, dass seine neueste Prosaarbeit „Noch wach?“ als Enthüllungs- bzw. Schlüsselroman bezeichnet wird. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus – in diesem Fall wohl eher doch? Kritiker bescheinigen dem Autor Rachegelüste. Mathias Döpfner, Chef des deutschen Springer-Medienkonzerns und der wegen mutmaßlichem Machtmissbrauch geschasste Chefredakteur der Bild-Zeitung, Julian Reichelt, sollen kaum verhüllt die Vorlagen für zentrale Figuren des Romans abgeben. Und wenn zwei der Protagonisten derart einfach identifiziert werden können, dann dürfte doch auch der Ich-Erzähler mit dem Romanautor deckungsgleich sein? Überhaupt, diese Synchronität zwischen dem Skandal um die privaten Mails des Konzernchefs Döpfner und dem Veröffentlichungstermin von „Noch wach?“ – wie passt das mit Stuckrad-Barres Beteuerungen zusammen, er hätte sich an der Hatz nicht beteiligt, keine Chats an die Presse durchgereicht? Das Wochenmagazin Der Spiegel hob den Autor aufs Cover und fragte: „Wie viel Wahrheit steckt in ihrem Roman, Herr von Stuckrad-Barre?“ – und geht damit der ganzen medialen Installation auf den Leim. Denn was soll der Gefragte anderes antworten, als das, was sein Buch auf dem Markt hält, anstatt es mit Prozessen bezüglich Verletzung von Persönlichkeitsrechten etc. pp. auszuknocken?

Für das Verständnis des Romans sind solche identitäre Fragen zweitrangig. Schon klar, es geht um eine Männerfreundschaft in der Welt der Medien. Tatsächlich ist „Noch wach?“ über weite Strecken dialogisch aufgestellt. D.h., es handelt sich um ein Frage-und-Antwort-Spiel, bei dem der Erzähler eine Position im Kontrast zu den Meinungsäußerungen seines Freundes einnimmt – wobei der ganze Vorgang sich letztendlich als ein Prozess der schrittweisen Entfremdung darstellt. Interessant werden die mehr oder weniger heftig ausgetragenen Wortgefechte dort, wo die sogenannte #MeToo-Debatte Thema wird. Zur Erinnerung: Gemeint ist damit sexualisierte Gewalt gegen Frauen, von Filmproduzenten wie Harvey Weinstein oder Banker wie Jeffrey Epstein ausgeübt, wobei die Vorwürfe und Gerichtsprozesse von der Presse lärmend begleitet wurden. Dass sich ausgerechnet von Stuckrad-Barre, dem, wie die Berliner Zeitung meinte, selbst ein eher „unkonventioneller Zugang zu Frauen nachgesagt“ werde, mit „Noch wach?“ zum Verteidiger von Missbrauchsopfern aufschwingt, die sich öffentlich gegen ihre Vergewaltiger zur Wehr setzen, mag kurios, verdächtig gar, anmuten. Das ändert jedoch nichts daran, dass der Roman ein System insgesamt infrage stellt, das „absolute Hammertypen“ schalten und walten lässt, wie es ihnen gerade in den Kram passt, solange der Profit stimmt. Ja, Benjamin von Stuckrad-Barre stellt in „Noch wach?“ die Systemfrage, möglicherweise auch aus einer gewissen Scham heraus. Denn lange genug war der Autor publicitywirksam als eine Art Hofnarr in ebendiesem System unterwegs.

Info

Benjamin von Stuckrad-Barre
„Noch wach?“
Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2023
384 S., 25 Euro