Rat- und fassungslos schlittert Serbien immer tiefer in eine fatale Spirale der blutigen Gewalt. Noch waren die neun Todesopfer des Amoklaufs eines 13-jährigen Schülers in Belgrad nicht beerdigt, als die erschütterte Nation in der Nacht zum Freitag von der Nachricht eines erneuten Blutbads aufgeschreckt wurde: In mehreren Dörfern in der Nähe der Provinzstadt Mladenovac im Südosten von Belgrad hat der 21-jährige Uros B. acht Menschen getötet und 13 weitere zum Teil schwer verletzt.
Ein nächtlicher Streit mit Gleichaltrigen auf dem Schulhof seines Heimatdorfs Malo Orasje soll den Sohn eines Berufssoldaten angeblich zu seiner blutigen Tat veranlasst haben. Wahllos feuerte der von Nachbarn als gewalttätig beschriebene Mann auf seiner Irrfahrt durch mehrere Dörfer aus dem Autofenster mit der Waffe seines Vaters auf Jugendliche, die an einem Lagerfeuer saßen, auf Anwohner, die gerade ihr Gartentor verriegeln wollten und auf Menschen, die auf der Dorfbank saßen.
Ein Großaufgebot von mehr als 600 Polizisten fahndete stundenlang nach dem Amokläufer, bevor er erst in den Morgenstunden im Haus eines Großonkels in der Nähe der Stadt Kragujevac überwältigt werden konnte: Außer Schusswaffen und Munition stellte die Polizei in dem Haus auch Handgranaten sicher.
Präsident Vucic setzt auf Repression
„Wir sind geeint im Schmerz und in der Trauer“, erklärte Staatschef Aleksandar Vucic nach dem zweiten Amoklauf in dem Balkanstaat in zwei Tagen. Mit härteren Strafen, mehr Polizei an den Schulen und einem radikalen Entwaffnungsprogramm hofft der Chef der regierenden SNS Serbiens blutige Gewaltspirale zu stoppen. Er habe der Regierungschefin Ana Brnabic die „Wiedereinführung der Todesstrafe“ vorgeschlagen, doch „das dürfen wir nicht wegen vieler kluger Konventionen“, ätzte der autoritär gestrickte Populist.
Repressive Maßnahmen könnten auch eine „kontraproduktive Wirkung“ haben, warnt hingegen Bojan Elek vom Belgrader Institut für Sicherheitspolitik: Mehr Polizei in den Schulen könnte bei den traumatisierten Schülern das Gefühl der Unsicherheit nur vergrößern.
„Wer ist an der Tragödie schuld?“, fragte sich derweil am Freitag die Zeitung Danas. Während die nationalpopulistischen Machthaber des Balkanstaats vor allem auf repressive Maßnahmen und die kurzfristige Symptombekämpfung setzen, weisen Fachleute vor allem auf die tieferliegenden Ursachen einer immer größeren Gewaltbereitschaft in Serbiens zunehmend entgleister Gesellschaft hin.
Lange Liste von Missständen
Denn nicht nur die seit den Jugoslawienkriegen der 90er-Jahre sehr hohe Zahl illegaler, aber auch zugelassener Schusswaffen ist bei dem EU-Anwärter problematisch. Die Liste der Missstände ist lang. Angefangen von Machthabern, die mit Hooligan- und Drogenclans fraternisieren über fragwürdige TV-Sender im Regierungsumfeld, die ohne Einschreiten der Rundfunkaufsicht gegen Andersdenkende hetzen und Kriminelle oder Kriegsverbrecher verherrlichen, oder Würdenträger, die sich im Eigeninteresse und Selbstbereicherung über alle Gesetze hinwegsetzen, bis hin zu den fatalen Folgen einer staatlichen Personalpolitik, die auf das richtige Parteibuch statt auf Kompetenz setzt.
Zu seinem „Idol“ soll Uros B. laut heimischen Medienberichten beispielsweise kürzlich mit der Instagram-Botschaft „ich bin der kleine Kristijan“ den prominenten Ex-Kriminellen Kristijan Golubovic erklärt haben. Nicht nur bei Reality- und Talkshows von regierungsnahen TV-Sendern wie „TV-Happy“ oder „Pink“ pflegt der frühere Gangster als geschätzter Gast gerne ausgiebig über sein Verbrecherleben zu plaudern: Kürzlich war Golubovic bei Aufnahmen für ein Musikvideo gar bei einer Belgrader Grundschule zu Gast.
Von Serbiens „goldenen Zeitalter“ pflegt Präsident Vucic gerne mit patriotischem Pathos zu schwadronieren. Doch tatsächlich klagen nicht nur Psychologen besorgt über den zunehmenden Werteverfall einer verstörten und entgleisten Gesellschaft. Medienforscher fordern das sofortige Verbot gewaltverherrlichender Realityshows. Perspektivlosigkeit, Stillstand und Korruption im wegen seiner Nähe zu Moskau zunehmend isolierten Balkanstaat lassen derweil immer mehr junge Familien entnervt die Emigrationskoffer packen – ein Trend, der sich nach den jüngsten Gewaltexzessen noch verstärken dürfte.
De Maart
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