Viele Zeitungen hatten am Donnerstag die Farbe von ihren schwarz-weiß Titelblättern verbannt. „Serbien im Schock und in Tränen“, titelte die Belgrader Zeitung Danas. Den „schwärzesten Tag in Serbien“ vermeldete betrübt der Kurir, „Serbien trauert um seine getöteten Kinder“, so Nova.
Bedrückt und ungewohnt still hatten Tausende von fassungslosen Anwohnern, Großeltern, Eltern und Kindern am Vorabend in den Straßenzügen rund um die Schule im Stadtteil Vracar der Toten und ihrer Angehörigen gedacht. Würdenträger und Polizeisprecher versuchten sich derweil an der Erklärungssuche, was einen 13-jährigen, bisher völlig unauffälligen Musterschüler aus gutem Hause dazu getrieben haben könnte, kaltblütig seine Mitschüler zu ermorden.
Wir haben die Liebe für den Nächsten vertrieben und stattdessen die Gewalt als dominantes Verhaltensmodell installiert. Wir alle sind schuld. Wir haben das Böse gesät – und das Böse hat uns gefunden.
Erziehungsminister Branko Ruzic machte in einer ersten Reaktion den „krebsartigen Einfluss“´des Internets und „sogenannter westlicher Werte“ für die Zunahme von Gewaltexzessen an Serbiens Schulen verantwortlich. Die Lehrergewerkschaft NSRPS fordert hingegen die sofortige Ablösung von Ruzic: Mehrmals, aber vergeblich habe sie den Minister vor den Risiken fehlender Sicherheitsvorkehrungen, des Mangels an Schulpsychologen und vor den fatalen Folgen einer Personalpolitik nach Parteibuch an den Schulen gewarnt.
Staatschef Aleksandar Vucic wehrte sich beredt gegen den Vorwurf, dass gewaltverherrlichende Realityshows der kaum regulierten TV-Sender im Dunstkreis seiner regierenden SNS mitverantwortlich für den Werteverfall der Gesellschaft seien: „Man darf nicht naiv sein: Die Kinder schauen kein Fernsehen, sie hängen den ganzen Tag im Internet.“
56 Patronenhülsen stellten die Ermittler in der Schule sicher: Der waffenvernarrte und vorläufig verhaftete Vater des Täters, ein renommierter Arzt, soll seinen Sohn mehrmals zu einer Schussanlage mitgenommen haben, um mit seinem Zögling gemeinsam zu ballern.
Wertesystem zerstört
Der weitverbreitete Waffenbesitz ist bereits seit den Jugoslawienkriegen der 90er Jahre in allen Staaten der Region problematisch. Laut einer Schweizer Untersuchung von 2018 liegt Serbien, was die Prokopfzahl von Schusswaffen im Privatbesitz angeht, nach den USA und Jemen gemeinsam mit Montenegro weltweit auf dem dritten Rang – und in Europa an der Spitze.
Doch auch eine Gesellschaft und Medien, in denen Gewalt verherrlicht und honoriert wird, machen Psychologen und Publizisten für die eskalierende Gewalt und zunehmende Gewaltbereitschaft von Jugendlichen verantwortlich. Von ihren Eltern sich selbst überlassene Kinder würden mit Videospielen aufwachsen, in denen nur geschossen und getötet und die „Fiktion zur realen Welt“ werde, klagt der Publizist Milenko Vasovic in der Zeitung Nova.
Gleichzeitig erinnert Vasovic daran, dass auch Serbiens Machthaber mit kriminellen Hooligans und Clanchefs fraternisierten oder Kriegsverbrecher glorifizierten: „Wir haben uns in ein Land der aggressiven Menschen gewandelt. Wir haben die Moral, die Menschlichkeit und jegliches Wertesystem zerstört. Wir haben die Liebe für den Nächsten vertrieben und stattdessen die Gewalt als dominantes Verhaltensmodell installiert. Wir alle sind schuld. Wir haben das Böse gesät – und das Böse hat uns gefunden.“
De Maart
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