Auch die Krankenhausärzte, deren viertägiger Streik am Samstag früh zu Ende ging, planen weitere Eskalationsschritte im Streit mit der konservativen Regierung von Premier Rishi Sunak. Ihre Mitglieder seien mit einer „hässlichen Situation konfrontiert“, sagte Saffron Cordery vom Verband der NHS-Arbeitgeber: „Gewerkschaften und Regierung sollten dringend an den Verhandlungstisch zurückkehren.“
Im Pflegesektor hatten Gesundheitsminister Steve Barclay und mehrere Gewerkschaften, angeführt von der RCN, im März eine Vereinbarung getroffen. Vorgesehen waren fünf Prozent mehr Lohn und Gehalt vom neuen Steuerjahr an, das am 5. April begonnen hat. Zusätzlich sollte es als Ausgleichszahlung für die zweistellige Inflationsrate der vergangenen Monate eine Einmal-Zahlung geben; für niedrige Lohngruppen hätte dies das Jahresgehalt um bis zu acht Prozent aufgebessert. RCN-Chefin Pat Cullen empfahl ihren 480.000 Mitgliedern die Annahme des Deals mit der Begründung, man habe „den Punkt erreicht, wo man weiß: Mehr Zugeständnisse gibt es nicht von der anderen Seite“.
Das war schon für sich gesehen eine erstaunliche Einsicht, war die RCN doch zunächst mit der Forderung von Inflationsrate plus fünf Prozent in die Schlacht gezogen, was im vergangenen Herbst einer Lohnerhöhung von 19 Prozent entsprochen hätte. Weil ihre Mitglieder in der Urabstimmung mit 54:46 Prozent gegen den Deal stimmten (Beteiligung: 61 Prozent), müssen Cullen und ihr Team nun eben doch von Barclay weitere Zugeständnisse fordern. Erschwert wird ihre Verhandlungsposition durch die Tatsache, dass die Mitglieder der bedeutenden, im Gesundheitssektor aber weniger stark vertretenen Gewerkschaft Unison der Vereinbarung mit 74:26 Prozent die Zustimmung erteilten. Ihre Mitglieder hätten sich natürlich mehr gewünscht, nun aber „für die Sicherheit des zusätzlichen Geldes im Portemonnaie“ gestimmt, sagte Sara Gorton von Unison.
Forderung von 35 Prozent mehr Gehalt
Der neue 48-Stunden-Streik soll am letzten Apriltag beginnen und den Maifeiertag einschließen. Zur gleichen Zeit wollen auch Lehrer und Uni-Dozenten ebenso wie Bedienstete von Behörden und Museen erneut die Arbeit niederlegen.
Die RCN-Führung stand nicht nur unter dem Druck ihrer Mitglieder; am 2. Mai endet auch die in einer Urabstimmung erwirkte Zustimmung zu Streikaktionen. Sie werde umgehend, wie es die britische Gesetzgebung vorschreibt, ein neues Mandat für weitere sechs Monate von ihren Mitgliedern erwirken, kündigte Cullen der BBC an.
Möglicherweise steht der bisher als eher zahm geltenden RCN eine Radikalisierung ins Haus, wie sie die Ärztegewerkschaft BMA in den vergangenen Jahren bereits durchlaufen hat. Dort haben nach einem verlorenen Arbeitskampf 2016 seither in der Klinikärzte-Sektion jüngere Kräfte die Macht übernommen. Weil man im vergangenen Jahrzehnt erhebliche Einbußen des Realeinkommens habe hinnehmen müssen, liegt nun die Forderung von 35 Prozent mehr Gehalt auf dem Tisch. „Unvernünftig“, erwidert die Regierung und verweigert jedes Gespräch.
Der schwere Rückschlag in den Pflegepersonal-Verhandlungen fällt freilich auch auf Premier Sunak und seinen Minister Barclay zurück. Der Regierungschef hat in den vergangenen Monaten mit betont ruhiger Hand manche Erfolge erzielt, nicht zuletzt in den Verhandlungen mit der EU über den künftigen Status von Nordirland. Die Beendigung oder mindestens starke Reduzierung des Arbeitskampfes im NHS sollte ihm vor den schwierigen Kommunalwahlen Anfang Mai weiteren Auftrieb geben, bei denen den Konservativen Tausende von Mandaten verlorengehen dürften.
Millionen Patienten auf NHS-Warteliste
Nicht zuletzt deshalb mahnen prominente Parteifreunde zum Einlenken. Gewiss hätten die RCN-Mitglieder ihre Gewerkschaft „geschwächt aufs Feld zurückgeschickt“, analysiert Steve Brine, Chef des Gesundheitsausschusses im Unterhaus. Die Regierung solle aber rasch Neuverhandlungen aufnehmen. Brines konservativer Fraktionskollege Daniel Poulter, der in Parlamentspausen immer wieder in seinen Beruf als Arzt zurückkehrt, ging im Guardian weiter: Premier Sunak, Schatzkanzler Hunt und Gesundheitsminister Barclay sollten das bisherige Angebot aufrechterhalten und noch etwas obendrauf legen, schließlich habe der abgelehnte Deal nicht das Niveau von Lohnabschlüssen im Privatsektor erlangt. Dort wurden in der jüngsten Verhandlungsrunde durchschnittlich Erhöhungen von 6,6 Prozent erzielt.
Leidtragende sind wie immer die Patienten. Beim dreitägigen Streik der Krankenhausärzte im März mussten rund 175.000 Eingriffe verschoben werden, der viertägige Ausstand von vergangener Woche dürfte zuverlässigen Schätzungen zufolge weitere 350.000 fachärztliche Behandlungen und kleine Operationen auf die lange Bank geschoben haben. Dabei umfasste die NHS-Warteliste schon zuvor rund sieben Millionen Patienten.
De Maart
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