Sonntag16. November 2025

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Ukraine-KriegErst Downing Street, dann EU-Gipfel: Selenskyj dankt Briten bei London-Trip für Hilfe

Ukraine-Krieg / Erst Downing Street, dann EU-Gipfel: Selenskyj dankt Briten bei London-Trip für Hilfe
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, steht vor Beginn eines bilateralen Treffens mit dem britischen Premierminister Sunak vor der 10 Downing Street Foto: dpa/Stefan Rousseau

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Auf Großbritanniens Unterstützung konnte sich die Ukraine von Anfang an verlassen. Vor allem dank Boris Johnsons Sonderrolle. Nun besucht der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj London.

Dass Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch vor dem EU-Gipfel noch einen London-Trip einlegt, hat gleichermaßen eine Vergangenheits- und eine Zukunftskomponente. Der zweite Auslandsbesuch des ukrainischen Präsidenten seit Beginn des russischen Angriffskrieges belohnt den engsten, gewiss lautstärksten Verbündeten seines Landes in Westeuropa, ist auch persönliche Anerkennung für Ex-Premier Boris Johnson. Gleichzeitig ermutigt er die Briten unter ihrem neuen Premier Rishi Sunak, an der Hilfe für das überfallene Land eisern festzuhalten – was der Konservative seinem Besucher ohne Wenn und Aber zusicherte.

Als Gastgeschenk veröffentlichte das Foreign Office am Vormittag eine neue Sanktionsliste gegen russische Firmen und Individuen mit engen Verbindungen zum Putin-Regime. Mindestens genauso wichtig dürfte für Selenskyj das militärische Training sein, das mittlerweile Tausende von Ukrainern auf der Insel durchlaufen haben.

Überall warmer Applaus

Sowohl von wartenden Passanten vor der Downing Street wie von den Mitarbeitern des Premiers in seinem Amtssitz wurde der Präsident mit warmem Applaus empfangen. Nach dem Arbeitsgespräch, der Ansprache im britischen Parlament und der Audienz bei König Charles wollten Selenskyj und Sunak gemeinsam in die westenglische Grafschaft Dorset fahren, wo Infanteristen moderne Kriegsführung nach westlichem Muster lernen. In den letzten Tagen hatte London der Ukraine zudem die Ausbildung von Piloten zugesagt. Kyiv hofft nach der angekündigten Lieferung schwerer Panzer als Nächstes auf westliche Kampfjets, um die russische Lufthoheit über dem Kriegsgebiet in der Süd- und Ostukraine herausfordern zu können.

Die Hilfe für die Ukraine war auf der Insel von vornherein in Politik und Gesellschaft beinahe unumstritten. Angeführt wurde sie von Boris Johnson. Bereits im Januar vergangenen Jahres, als viele andere Europäer noch von diplomatischen Lösungen träumten, warnte der damalige Premierminister vor einer „schmerzhaften und blutigen Invasion“ des Landes durch seinen viel größeren Nachbarn. Unvergessen bleibt in Kyiv und London, dass das Königreich bereits Defensivwaffen in den Osten schickte, als andere Verbündete noch über die Lieferung von Helmen nachdachten – die beiden Frachtflugzeuge aus England mussten damals aus diplomatischer Rücksicht den deutschen Luftraum meiden.

Eisige Beziehungen zu Russland

Erleichtert wurde Johnsons klare Haltung dadurch, dass die bilateralen Beziehungen der Insel zu Russland seit Jahren eisiger kaum sein könnten. Vor Kriegsbeginn bezogen die Briten lediglich drei Prozent ihres Gasbedarfs von dem Aggressor. Präsident Wladimir Putin bezeichnet die sechstgrößte Wirtschaftsmacht der Welt gern abfällig als „kleine Insel“; aus russischer Sicht stellt das Brexit-Land wenig mehr dar als den Wurmfortsatz der Vereinigten Staaten. Unter der Labour-Regierung von Tony Blair kam es 2006 zu bitteren Wortgefechten, nachdem der von Moskau angezettelte Polonium-Mord an Alexander Litwinenko die britische Hauptstadt erschüttert hatte.

Das Vereinigte Königreich war eines der ersten (Länder), die der Ukraine zur Hilfe kamen. Und heute bin ich in London, um der britischen Bevölkerung persönlich für ihre Unterstützung und Premierminister Rishi Sunak für seine Führung zu danken.

Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch in Online-Netzwerken

Nach dem Chemiewaffen-Einsatz von Salisbury 2018 ermittelte die Staatsanwaltschaft zwei russische Agenten als Tatverdächtige für den Nowitschok-Anschlag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal, dessen Tochter sowie mehrere Unbeteiligte. In Solidarität mit London verwiesen 28 Staaten insgesamt 153 russische Diplomaten und Spione des Landes – als Außenminister war Johnson damals an der koordinierten Aktion beteiligt.

Im Vorfeld des russischen Überfalls auf die Ukraine unterstrich der damals durch die zahlreichen Lockdown-Partys in der Downing Street gebeutelte Regierungschef Großbritanniens „standhafte Unterstützung“ durch die Lieferung panzerbrechender Waffen, die zum Zusammenbruch des russischen Angriffs auf die ukrainische Hauptstadt beitrugen. Die ukrainische Propaganda veröffentlichte damals kleine Filmchen, auf denen ihre Soldaten britische Waffen auf russische Panzer abfeuerten und dazu „God save the Queen“ riefen.

Beinahe tägliche Telefonate

Gerade zu Beginn des Kriegs stärkte Johnson dem Präsidenten auch durch beinahe tägliche Telefonate, in denen er die Solidarität und Bewunderung der Briten für Ukraines Überlebenskampf beteuerte, den Rücken. Johnson war auch der erste westliche Regierungschef, der im April die Reise nach Kyiv wagte. Seither ist der 58-Jährige immer wieder, zuletzt im Januar, vor Ort gewesen, stets von der Bevölkerung begeistert empfangen.

Am Mittwoch betonte Selenskyj seine „sehr guten Beziehungen zu Rishi“, was der Premier strahlend zur Kenntnis nahm. Im Dezember hatte ein BBC-Bericht für Aufregung in London gesorgt: Angeblich hatte der frühere Investmentbanker Sunak das Verteidigungsministerium um eine „Bestandsaufnahme“ der Kriegssituation gebeten, was als Vorbereitung auf verringerte Militärhilfe interpretiert wurde. Aus der Downing Street wurde diese Einschätzung heftig dementiert.