Dienstag4. November 2025

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Ukraine fordert Hilfe von Luxemburg„Russland terroristischer Staat“

Ukraine fordert Hilfe von Luxemburg / „Russland terroristischer Staat“
Die Vize-Sprecherin des ukrainischen Parlaments, Olena Kondratiuk, beim Tageblatt-Hintergrundgespräch Foto: Editpress/Julien Garroy

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Während das Morden in der Ukraine anhält, fordert die Vize-Sprecherin des ukrainischen Parlaments Klartext: Luxemburg solle Russland als terroristischen Staat anerkennen. Ein Gespräch.

Knapp ein halbes Jahr ist es her, dass Premier Xavier Bettel in die Ukraine reiste. Bildermächtig wurde Präsident Wolodymyr Selenskyj unterstützt und konkrete finanzielle Hilfen versprochen. Wirtschaftsminister Franz Fayot versicherte später Unterstützung beim Aufbau der ukrainischen Nachkriegsordnung, Luxemburg werde unter anderem den Bau kompakter Häuser finanzieren. Hinzu kam die Unterstützung bei den internationalen Wirtschaftssanktionen. Finanzministerin Yuriko Backes wurde direkt zu Amtsbeginn mit der komplexen Aufgabe betraut: Die Interessen des Finanzplatzes und Luxemburgs internationale Verpflichtungen kollidierten. Offiziell wurde alles dafür getan, um die luxemburgische Unterstützung zu versichern. Es war ein sinngemäßes „koste es, was es wolle“ im Sinne der Ukraine.

Umso interessanter ist der jüngste Besuch der Vize-Sprecherin des ukrainischen Parlaments. Olena Kondratiuk war letzten Donnerstag in Luxemburg, um sich mit ihrer parlamentarischen Gegenseite auszutauschen. Neben den üblichen Höflichkeitsfloskeln gab es auch konkrete Forderungen. Das Tageblatt traf die Ukrainerin in der Chamber. In einem Hintergrundgespräch zeichnete sie ein differenziertes Bild der Lage. Das Großherzogtum unterstützte die kriegsgebeutelte Ukraine mit 75 Millionen Dollar. Hinsichtlich Premier Xavier Bettel meinte sie: „Wir haben uns bei ihm für seine militärische und wirtschaftliche Unterstützung bedankt.“

Allerdings gehen die Ukrainer inzwischen einen Schritt weiter. Neben den Wirtschaftssanktionen und den Reparationsbemühungen werden jetzt auch konkrete Rufe nach einer politischen Bestrafung Russlands lauter. Kondratiuk sagt gegenüber dem Tageblatt, dass für die Ukraine zentral sei, die Aggressionen Russlands als solche anzuerkennen. Es sei wichtig, Luxemburgs Unterstützung zu erhalten, damit „Russland als terroristischer Staat“ anerkannt werde. Es gebe viele Länder, die Russland in ihren Resolutionen bereits als terroristischen Staat bezeichnen würden: „Wir visieren nationale Parlamente, das Europaparlament und die parlamentarische Versammlung der NATO“, so Kondratiuk.

Mehr als 5.000 Raketen abgefeuert

Laut der ukrainischen Vize-Sprecherin des Parlaments hat die Russische Föderation seit der Invasion am 24. Februar mehr als 5.000 Raketen abgefeuert. Heute stehe man einer „humanitären Katastrophe“ gegenüber. Russland habe sie auf Zivilisten und kritische Infrastruktur abgefeuert, darunter vor allem auf Energieinfrastruktur. „Man muss auch wissen, dass 433 Kinder seit Kriegsbeginn getötet worden sind. Mehr als 10.000 Zivilisten sind seit Kriegsanfang gestorben“, kritisiert Kondratiuk. Sie beruft sich bei den Zahlen auf die Statistiken der Vereinten Nationen.

Für die Ukrainer sei es wichtig, dass die Welt die Wahrheit kenne. Man müsse erzählen, was Sache sei. Damit dies geschehe, brauche es aber ein drastischeres Narrativ. „Man muss also nicht nur Russland als terroristischen Staat anerkennen, sondern fordern, dass sie sich vor der internationalen Justiz für ihre Verbrechen verantworten“, fordert die ukrainische Politikerin. Eine ähnliche Forderung hatte Außenminister Jean Asselborn in einem Gespräch mit dem Tageblatt geäußert. Er wünsche sich, dass Putin für seine Taten eines Tages zur Rechenschaft gezogen werde. Dies müsse vor einem internationalen Strafgerichtshof geschehen, nicht aber vor dem Gerichtshof in Den Haag, sondern vor einem spezifischen internationalen Strafgerichtshof, der Putins „Barbarei“ beurteile.

In der EU diskutiere man mit der UNO und den Amerikanern darüber, Länder zu finden, die ein solches Gericht ins Leben rufen würden, sagte Asselborn. Inzwischen gebe es beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag eine Einheit, die all die Zeugenaussagen der ukrainischen Staatsanwälte festhalten könne. Die Vize-Sprecherin der ukrainischen Abgeordnetenkammer kommt zur gleichen Schlussfolgerung: Die Unterstützung Luxemburgs müsse ebenfalls auf einen parallelen Weg zum „zum internationalen Strafgerichtshof in Den Haag“ abzielen. Dies, um die Verantwortlichen der russischen Kriegsverbrechen zu bestrafen.

4,5 Millionen Ukrainer noch auf der Flucht

Ob es jedoch so weit kommt, ist derzeit unklar. Aktuell diskutieren Luxemburgs Nachbarstaaten zum Beispiel über mögliche Friedensverhandlungen. Während die Ukraine diesen mehr als kritisch gegenübersteht, versuchen Deutschland und Frankreich, die Lage zu beruhigen. Der Militärökonom Marcus Matthias Keupp von der ETH Zürich hält dies für eine „Illusion“. Die Idee, zur Vorkriegsordnung zurückzukehren, sei zum Scheitern verdammt: „Das sind Illusionen von Emmanuel Macron und von Olaf Scholz, die man sich immer noch macht: dass der Krieg quasi ein Betriebsunfall wäre.“ Man habe sich bis jetzt die Köpfe eingeschlagen und dann könne man sich langsam zusammensetzen, um die alte Welt wieder zu reparieren. „Das ist eine verhängnisvolle Fehleinschätzung. Die gibt es aber nicht überall in Europa. Wenn Sie zum Beispiel nach Polen, ins Baltikum oder nach Skandinavien schauen, da ist die Diskussion ganz anders“, kritisierte Keupp jüngst in einem Tageblatt-Interview.

Wie es auch kommen wird, die nackten Zahlen veranschaulichen das Leid. So weist die Vize-Sprecherin der ukrainischen Abgeordnetenkammer auf die 15 Millionen Flüchtlinge hin, die ihr Land verlassen mussten. „85 Prozent dieser Menschen waren Frauen und Kinder“, so Olena Kondratiuk. Inzwischen seien 7,5 Millionen Ukrainerinnen mit ihren Kindern in die Ukraine zurückgekehrt. 4,5 Millionen befänden sich immer noch auf dem Territorium der EU und stünden unter zeitlich begrenztem Schutz. „Ich bin stolz auf all jene Frauen, die in der Ukraine geblieben sind. 5.000 von ihnen kämpfen direkt an der Front. Gemäß NATO ist das weltweit der höchste Frauenanteil bei den Streitkräften.“