Er wolle sich darauf konzentrieren, die Vorwürfe zu entkräften, gab Gavin Williamson zur Begründung an. Das dürfte nicht ganz leicht werden. Denn die Beweise für das fragwürdige Verhalten des 46-Jährigen liegen entweder schriftlich auf dem Tisch oder werden durch unabhängige Zeugen bestätigt. Wie problematisch die Angelegenheit für Sunak ist, verdeutlichte seine Reaktion auf den Rücktritt. Hatte der Premier sich am Dienstagabend noch „sehr traurig“ gezeigt, teilte er tags darauf dem Unterhaus mit, er „bedauere natürlich“ seine Entscheidung, den notorischen Strippenzieher in die Regierung zurückgeholt zu haben. Hingegen hält der Premier an Innenministerin Suella Braverman fest, obwohl diese alle Sicherheitsvorschriften ihres delikaten Amtes außer Acht gelassen hatte und deshalb von Sunaks Vorgängerin Liz Truss entlassen worden war.
Williamsons offizieller Titel war „Minister fürs Kabinettsbüro“; vor allem aber agierte der Abgeordnete aus der mittelenglischen Grafschaft Stafford als inoffizieller Parlamentarischer Geschäftsführer, eine Funktion, die er vor sechs Jahren unter der damaligen Premierministerin Theresa May schon einmal offiziell ausgeübt hatte. Dass diese wichtige Scharnierfunktion zwischen Regierung und Fraktion auf der Insel „Chief Whip“ (Chefeinpeitscher) genannt wird, lässt tief blicken: Um das Gesetzgebungsprogramm des Kabinetts durchs Parlament zu bringen, muss der Chief Whip für die nötigen Mehrheiten sorgen und dabei faule und renitente Abgeordnete auf Linie zwingen.
Kluge Amtsinhaber bedienen sich dabei eines ausgewogenen Sortiments von Zuckerbrot und Peitsche, auf der Insel „Karotte und Stock“ genannt. Williamson prahlte gern damit, es lasse sich auch „mit einer zugespitzten Karotte“ viel erreichen. Berühmtheit erlangte auch ein Foto des Chief Whip mit seinem „Haustier“, der Tarantel Cronus. Der Mann sei doch „das Abziehbild eines traurigen mittleren Managers, der seine Untergebenen mobbt“, höhnte Labour-Oppositionsführer Keir Starmer und sagte an Sunaks Adresse: „Und der Boss ist ein Schwächling.“
„Springen Sie doch aus dem Fenster!“
Die Vorwürfe gegen den zurückgetretenen Minister beziehen sich einerseits auf einen SMS-Austausch mit der Fraktionskollegin Wendy Morton, die während Premierministerin Truss‘ siebenwöchiger Amtszeit als Chief Whip amtierte. Mag man den Streit um die Vergabe der begehrten Tickets zum Queen-Begräbnis im September noch für trivial halten, so erscheint andererseits völlig unverständlich, wie zwei Äußerungen Williamsons in seiner Amtszeit als Verteidigungsminister (2017-19) ohne Konsequenzen blieben. Vor Zeugen forderte der Minister damals einen Beamten dazu auf: „Springen Sie doch aus dem Fenster!“ Einem anderen Untergebenen gab er den Rat, sich die Kehle durchzuschneiden. Was in den meisten Unternehmen zu Disziplinarverfahren bis hin zur Entlassung führen würde, sei alles ganz anders gemeint gewesen, ließ Williamson verlauten, ohne den Wortlaut in Frage zu stellen.
Für Sunak stellt sich eine andere Frage: Lassen sich die tiefen Gräben in der konservativen Parlamentsfraktion wenigstens so weit zuschütten, dass eine einigermaßen kohärente Regierungsarbeit möglich wird? „Zusammenhalten oder sterben“, lautete das Motto im Oktober, als der 42-Jährige die Kurzzeit-Premierministerin Truss beerbte, deren Politik ums Haar eine schwere Finanzkrise heraufbeschworen hätte. Manches deutet darauf hin, dass eine Reihe von Torys die Hoffnung auf ein Revival bereits aufgegeben haben.
Ex-Premiers verhelfen Freunden ins Oberhaus
Zwei Entscheidungen von großer Tragweite kommen dieser Tage auf Sunak zu. Zum einen wollen seine beiden Vorgänger Boris Johnson und Liz Truss eine Reihe von Freunden und Parteispendern ins Oberhaus schicken, ein Privileg, das aus dem Amt geschiedenen Premierministern traditionell zusteht. Aber die zuständige Berufungskommission der zweiten Kammer hat schon im Sommer die Parteien dringend aufgefordert, von neuen und kontroversen Berufungen abzusehen, zumal dem Oberhaus schon jetzt mehr als 800 Menschen angehören. Wenn Sunak nachgibt, steht er wieder als Schwächling da; eine Weigerung, den Wünschen der Vorgänger nachzukommen, würde für böses Blut in der Fraktion sorgen.
Wichtiger für Land und Partei wird der Haushalt sein, den Finanzminister Jeremy Hunt nächste Woche vorlegen will. Dabei gilt es ein Milliardenloch im Haushalt zu stopfen, das sich je nach Schätzung auf bis zu 50 Milliarden Pfund beläuft. Schmerzhafte Einsparungen dürften unvermeidlich sein.
Schon rät der Tory-Lord Daniel Hannan seinem Parteichef zu einer vorgezogenen Neuwahl: Dann müsse die Labour-Opposition aufzeigen, wie sie Sparmaßnahmen vermeiden will, lautet die originelle Begründung des Brexit-Ideologen. Dass den Umfragen zufolge eine Wahl zum jetzigen Zeitpunkt eine erdrutschartige Niederlage für die seit 12 Jahren regierenden Torys zur Folge hätte, muss den 51-Jährigen nicht anfechten: Er hat seinen Sitz im Oberhaus sicher.
De Maart
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