„Beginnen Sie mit dem Abzug der Soldaten“, sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu bei einem im Fernsehen übertragenen Treffen mit dem russischen Befehlshaber in der Ukraine, Sergej Surowikin. Kiew erklärte, es sehe „keine Anzeichen“ für einen tatsächlichen Rückzug.
Die teilweise von Russland besetzte Region Cherson ist seit Wochen Ziel einer umfassenden ukrainischen Gegenoffensive. Die ukrainischen Truppen haben bereits mehrere Dörfer auf dem Weg zur gleichnamigen Regionalhauptstadt zurückerobert. Nun sollen sich die russischen Truppen nach Angaben Moskaus vom westlichen Ufer des Dnipro, wo die Stadt Cherson liegt, ans andere Flussufer zurückziehen und dort eine Verteidigungslinie aufbauen.
„Wir sehen keine Anzeichen dafür, dass Russland Cherson kampflos verlässt“, erklärte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak auf Twitter. Er deutete an, Moskaus Ankündigung könne ein Trick sein, und sprach von einer „inszenierten Fernsehansprache“.
Der Kreml hatte versucht, den demütigenden Rückzug so lange wie möglich hinauszuzögern. Die Lage war für die russische Armee angesichts der mit modernen westlichen Waffen ausgerüsteten ukrainischen Streitkräfte jedoch immer schwieriger geworden. Vor mehreren Wochen hatte Russland bereits mit der „Evakuierung“ von Zivilisten aus Cherson begonnen. Surowikin zufolge wurden rund 115.000 Menschen auf die andere Seite des Flusses Dnipro gebracht. Kiew verurteilte den Schritt als „Deportationen“.
Region für Kriegsverlauf von Bedeutung
Die Rückgewinnung der strategisch und militärisch so wichtigen Region ist für den Kriegsverlauf in der Ukraine von großer Bedeutung.
Tor zur Halbinsel Krim: Die Region Cherson, ein wichtiges Industriezentrum in der Ukraine, grenzt an die Halbinsel Krim. Die Region liegt nahe der Dnipro-Mündung ins Schwarze Meer. Dort kann die Ukraine die Trinkwasserversorgung für die von Russland 2014 annektierte Halbinsel Krim abschneiden. Das hatte Kiew auch damals nach der Annexion so gemacht. Russland benötigt das Wasser für die dortige Bevölkerung, die Bewässerung von landwirtschaftlich genutzten Feldern und diverse Militäreinrichtungen. Eine Rückeroberung der Region könnte den ukrainischen Streitkräften auch eine Ausgangsbasis für eine Offensive auf der Halbinsel bieten, wo sich bereits mehrere Explosionen ereignet haben.
Versorgungsrouten: Cherson ist zudem der Schlüssel zur gesamten südlichen Region, der der Ukraine erlauben würde, wichtige Versorgungsrouten der russischen Streitkräfte ins Visier zu nehmen und abzuschneiden.
Symbolische Bedeutung: Die Stadt Cherson ist bislang die einzige Regionalhauptstadt, die russische Streitkräfte seit dem Einmarsch am 24. Februar eingenommen haben. Ein Verlust wäre daher auch ein großer symbolischer Hieb für den Kreml. Einem Analysten zufolge könnte der Verlust der Stadt auch das russische Image schädigen und innerhalb von Russland negativ gesehen werden. Eine Vertreibung russischer Truppen wäre für Kremlchef Wladimir Putin nach einer Reihe von Niederlagen eine erneute Demütigung.
Kontrolle über Schwarzes Meer: Die Cherson-Region, in der vor Kriegsbeginn mehr als eine Million Menschen lebten, liegt am Schwarzen Meer. Eine Rückeroberung würde Kiew auch dabei helfen, wieder Kontrolle über Abschnitte am Meer zu erlangen, die eine wichtige Verkehrsader für den Export von Lebensmitteln ins Ausland sind. (AFP/Reuters)
De Maart
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