Montag10. November 2025

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ÖsterreichVertrauter des Ex-Kanzlers Kurz packt über türkises Korruptionsnetzwerk aus

Österreich / Vertrauter des Ex-Kanzlers Kurz packt über türkises Korruptionsnetzwerk aus
Der ehemalige österreichische Kanzler Sebastian Kurz wird von einem ehemaligen Vertrauten schwer belastet Foto: AP/dpa/Darko Vojinovic

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Einmal mehr erschüttert ein Nachbeben des Ibiza-Skandals Österreich: Ein Ex-Vertrauter von Sebastian Kurz legt mit einem umfassenden Geständnis ein korruptes Netzwerk rund um den vor einem Jahr zurückgetretenen Kanzler offen.

„Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung“ – dieser medienrechtlich diktierte Standardsatz hat bei Österreichs Medien gerade wieder Hochkonjunktur. Denn ungeheuerliche, aber noch nicht bewiesene Anschuldigungen stehen im Raum. Erhoben werden sie von einem, der als einst enger Kurz-Vertrauter viel weiß, als Beschuldigter aber auch seinen Kopf aus der Schlinge ziehen möchte: Thomas Schmid, Ex-Generalsekretär im Finanzministerium und Ex-Chef der Staatsholding ÖBAG, hat mit seinem im Zuge der Ermittlungen zum Ibiza-Skandal beschlagnahmten Handy schon viele Schlagzeilen produziert.

Die dort gespeicherten Chats offenbarten das Sittenbild einer Verschwörung machtgeiler Polit-Novizen. Auch wenn bisher gegen kein Mitglied dieser Gruppe Anklage erhoben wurde und die Unschuldsvermutung zu gelten hat, haben diese Chats die politische Landschaft nachhaltig verändert: Kurz musste vor einem Jahr gehen, weil ihn der grüne Koalitionspartner für „nicht mehr amtsfähig“ erklärte, die ÖVP stürzte ohne ihren Wunderwuzzi umfragemäßig ab in das Jammertal, wo sie sich vor Kurz‘ Machtübernahme befunden hatte.

Gekaufte Umfragen

Beim Coup, der den damaligen Außenminister im Mai 2017 an die ÖVP-Spitze brachte, spielte Schmid eine zentrale Rolle. Er entwickelte – angeblich im Auftrag von Kurz – das sogenannte „Beinschab-Tool“. Das nach der – bereits als Kronzeugin anerkannten – Meinungsforscherin Sabine Beinschab benannte Werkzeug funktionierte so: Getürkte Umfragen, welche Kurz als größten Hoffnungsträger der ÖVP darstellten, wurden in der Boulevardzeitung Österreich abgedruckt, welche für diesen Freundschaftsdienst mit Inseraten des Finanzministeriums belohnt wurde. „Ich habe Kurz und die ÖVP aus dem BMF heraus gefördert, die Ressourcen des BMF genutzt, um das Fortkommen der ÖVP unter Sebastian Kurz zu unterstützen“, sagte Schmid nun bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) aus. „Wir haben Dinge gemacht, die nicht in Ordnung waren.“

Es solches „Ding“ betraf auch die Signa-Holding des Immobilienmilliardärs René Benko, für den natürlich ebenfalls die Unschuldsvermutung zu gelten hat. Schmid gestand laut Ermittlungsakt, dass ihm der Kurz-Freund als Gegenleistung für Unterstützung in einem Steuerprüfungsverfahren einen mit 600.000 Euro dotierten Posten angeboten habe. Benko bestreitet das.

Das tut auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, für den es nach Schmids Aussagen ebenfalls eng wird. Der ÖVP-Politiker, der pikanterweise im Parlament dem Korruptionsuntersuchungsausschuss vorsitzt, soll beim Parteifreund im Finanzministerium erfolgreich die Einstellung von Steuerprüfungen bei zwei ÖVP-nahen Vereinen erwirkt haben.

Benutzt von Kurz

Warum Schmid, der sich seit Juni 15 ganztägigen Vernehmungen durch die WKStA stellte, jetzt auspackt und so den Kronzeugenstatus erlangen will, erklärte er mit seiner Weigerung, als Bauernopfer herzuhalten, und mit dem Einfluss seiner Mutter. Kurz habe von ihm vor einem Jahr eine schriftliche Stellungnahme gefordert, „wonach er nichts von all diesen verfahrensgegenständlichen Vorwürfen wisse und ich die ganze Schuld auf mich nehmen solle“. Schmid fühlte sich benutzt, denn Kurz sei über alles informiert gewesen. Außerdem gab er zu Protokoll, dass „meine Mutter zu mir gesagt hat, wir haben dich so nicht erzogen, wenn du etwas falsch gemacht hast, dann steh dazu und das mit allen Konsequenzen“.

Der schwer belastete Ex-Kanzler gibt weiter das Unschuldslamm. Die Aussagen seien „keine Überraschung“, postete Kurz gestern auf Facebook. Schmid versuche den Kronzeugen-Status zu erlangen, „indem er Anschuldigungen gegen andere, unter anderem gegen mich, erhebt, um selber straffrei auszugehen“. Der inzwischen als Investor tätige Ex-ÖVP-Chef freut sich darauf, „zu beweisen, dass diese Anschuldigungen falsch sind“. Bis zum Beweis des Gegenteils gilt auch für ihn die Unschuldsvermutung.

Die Grünen sehen die Koalition nach den jüngsten Enthüllungen „belastet“, appellierten aber lediglich an Sobotka, den Ausschussvorsitz aufzugeben. Wie die ÖVP müssten auch sie vorgezogene Neuwahlen fürchten …