Dienstag28. Oktober 2025

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Nach der WahlItaliens Linke muss sich neu finden

Nach der Wahl / Italiens Linke muss sich neu finden
Der Chef der italienischen Sozialdemokraten, Enrico Letta, kündigte seinen Rückritt an Foto: Alberto Pizzoli/AFP

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Nach dem dramatischen Wahlverlust am Sonntag müssen sich die Parteien des Mitte-links-Spektrums in Italien neu orientieren. Der Chef der Sozialdemokraten, Enrico Letta, kündigte bereits seinen Rücktritt an. Die Bewegung Fünf Sterne, die nach ihrem Triumph von 2018 deutlich verlor, versprach eine harte Opposition zur rechten Regierung.

Bis zuletzt hofften die Parteien aus dem Mitte-links-Spektrum, eine sich seit Wochen ankündigende Wahlniederlage noch abwenden zu können. Zwar lagen in allen Umfragen – und bei der Stimmung der Menschen auf der Straße – die Rechtspopulisten, allen voran die postfaschistischen Fratelli d’Italia, weit vorn. Doch hofften die Wahlmanager um den Chef des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) noch auf die Wahlentscheidung der Unentschlossenen. Bis kurz vor dem Wahlsonntag gaben etwa 40 Prozent der Wahlberechtigten an, noch nicht zu wissen, wem sie ihre Stimme geben sollten. Diese Unentschlossenheit hielt nun auch am vergangenen Sonntag an. Mit nur 63,9 Prozent geht die diesjährige Parlamentswahl als die mit der niedrigsten Wahlbeteiligung in die Geschichte der Republik ein.

Betroffen waren davon natürlich nicht nur die Mitte-links-Parteien. Doch im Endeffekt schadeten der Frust und die politische Ignoranz den italienischen Wählern selbst am meisten. Nicht schuldlos, wie man erkennen muss. Denn die PD führte seit 2011 die meisten Regierungen der Nach-Berlusconi-Ära oder gehörte diesen an. Noch in vielen Wählerohren klingt das vollmundige Versprechen des einstigen Florentiner „Verschrotters“ Matteo Renzi nach, er werde nicht nur die alte korrupte politische Elite entsorgen, sondern Italien auch zu wirtschaftlichen Höhen führen. Renzi verschwand nicht nur aus seiner Partei, sondern versank bei den jetzigen Wahlen auch in der politischen Bedeutungslosigkeit.

Sein Nachfolger, Enrico Letta, brachte nun viel zu spät die in den aktuellen Krisenzeiten wichtigen sozialen Probleme in den Wahlkampf ein und konnte so die arbeitenden Massen nicht überzeugen. Im Vordergrund standen wieder einmal – wie so oft in der italienischen Linken – Richtungs- und Kompetenzstreitigkeiten. So versäumte es der PD, ein breites linkes Wählerbündnis zu organisieren und auch die Brücke zur eben noch erfolgreichen Protestbewegung Movimento 5 Stelle (M5S) zu schlagen. Die Quittung gaben die Wähler prompt: Zwar erreichten die Sozialdemokraten mit 19,6 Prozent einen Punkt mehr als noch vor vier Jahren. Doch sind die Zeiten, da Renzi als Hoffnungsträger noch 40 Prozent einfuhr, ebenso vorbei, wie es heute nicht gelang, ausreichend Bündnispartner um sich zu sammeln, um eine Regierungsmehrheit zu erreichen.

„Identität wiederfinden“

Wie soll es nun weitergehen? Mit dieser Frage beschäftigt sich auch der langjährige PD-Abgeordnete Emanuele Fiano. „Wir haben vor allem versäumt, unsere eigene sozialdemokratische Identität zu finden und sie dem Wähler richtig darzustellen. Ein breites Bündnis aufzustellen, war schwierig. Denn die Zersplitterung der italienischen Linken hat leider eine lange Tradition, die wir nicht überwinden konnten. Und viele Bewegungen, wie M5S oder Azione von Carlo Calenda, kann man nicht wirklich als links betrachten. Es war also von vornherein schwierig, ein Bündnis aufzustellen.“

Welche Konsequenzen folgen daraus? Emanuele Fiano: „Ich hoffe, dass wir bald einen wirklich politischen Kongress einberufen, auf dem nicht nur über Personalien verhandelt wird, sondern auch unsere grundlegenden sozialen und politischen Ideen formuliert werden. Die Partei braucht dringend eine Erneuerung. Das jetzige Wahlergebnis ist eines aus Angst, Frustration, Misstrauen. Wir müssen den Menschen wieder eine Perspektive geben. Ein Vertrauen, dass es für sie Sinn macht, wieder wählen zu gehen.“

Oft wurde in den vergangenen Monaten beschrieben, auf welche postfaschistischen Traditionen sich die heutigen Wahlsieger stützen. Zu Zeiten, da Matteo Salvini in der Koalitionsregierung mit der Bewegung Fünf Sterne als Innenminister regierte, war ein staatlich sanktionierter Rassismus tagtäglich zu spüren. Dies äußerte sich vor allem in Migrantenfeindlichkeit, doch es kam auch immer wieder zu antisemitischen Übergriffen.

Zu den diesjährigen Wahlen trat Emanuele Fiano, Sohn eines Auschwitz-Überlebenden, als Kandidat für den Senat an. Er unterlag mit 30,8 Prozent der FDI-Gegenkandidatin Isabella Rauti (45,4 Prozent), der Tochter des Mitbegründers des postfaschistischen MSI, Pino Rauti.

„Gegengewicht schaffen“

Macht eine solche Entwicklung nicht Angst vor neuem Rassismus? „Ich denke, wir müssen keine Angst vor einer Neuauflage des Mussolini-Faschismus haben“, sagt dazu Emanuele Fiano. „Die heutige Politik wird viel subtiler gehandhabt. Es wird sich eher eine Demokratie à la Orbán entwickeln. Die ist verbunden mit einer massiven Unterdrückung der Pressefreiheit, einer obsessiven Restriktion der Freiheit der Frauen – zum Beispiel, über den eigenen Körper zu bestimmen – sowie einer Politik eines Präsidentialismus ohne einen äquivalenten politischen Ausgleich. Dass eine solche Politik mit einer alltäglichen Fremdenfeindlichkeit einhergeht, hat sich in der Vergangenheit gezeigt. Unsere Aufgabe ist es, hierzu ein Gegengewicht zu schaffen. Eine ökonomische Freiheit, die mit einer sozialen Gleichberechtigung einhergeht, eine politische Kultur, die die Rechte des Einzelnen wie sozialer Gruppen achtet und respektiert.“

Zielstellungen, die auch eine erneuerte Sozialdemokratie nicht allein wird umsetzen können. In der kommenden Legislatur wird sich zeigen, welche Bündnisse der PD bereit ist, im Parlament einzugehen, um soziale Aspekte in die italienische Politik einzubringen. Nach wie vor bietet sich da der Movimento 5 Stelle an. Die Bewegung Beppe Grillos hat zwar gegenüber den Vorwahlen dramatisch verloren, kann mit 15,3 Prozent jedoch noch ein beachtliches Ergebnis vorweisen, das so hoch ist wie jenes von Lega und FI zusammen. Will die italienische politische Bewegung links von der Mitte künftig ein Wahlbündnis schaffen, das in der Lage ist, der aktuell rechten Übermacht Paroli zu bieten, werden die Parteispitzen über ihre Schatten springen und die Bewegungen aufeinander zugehen müssen.

Schwierige Gespräche zur Regierungsbildung beginnen

Nach dem Sieg des Rechtsbündnisses bei der Parlamentswahl in Italien haben die Chefin der ultrarechten Partei Fratelli d’Italia (FDI), Giorgia Meloni, und ihre Verbündeten den schwierigen Prozess der Regierungsbildung aufgenommen. Die FDI – ohne Regierungserfahrung – will ein parteiübergreifendes Team zusammenstellen, das die Probleme des Landes lösen soll, darunter die hohe Inflation und steigende Energiepreise sowie kriselnde Beziehungen zur EU. Zudem sind der Chef der rechtsnationalen Lega, Matteo Salvini, und Silvio Berlusconi von der konservativen Forza Italia (FI), mit denen die Regierung gebildet werden soll, in vielen Punkten anderer Meinung als Meloni und lehnen etwa Waffenlieferungen in die Ukraine ab. Es wird erwartet, dass die Gespräche für eine Regierungsbildung mehrere Wochen dauern könnten. In der Vergangenheit hat es in Italien zwischen vier und zwölf Wochen gedauert, bis eine neue Regierung stand. Das neue Parlament wird am 13. Oktober tagen und die Präsidenten von Abgeordnetenkammer und Senat wählen, was mehrere Tage beanspruchen könnte. Erst danach wird Präsident Sergio Mattarella darüber beraten, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt. Angesichts des Konfliktpotentials sei der Wahlsieg „noch das Einfachste“ gewesen, kommentierte der Chefredakteur der Tageszeitung „Corriere della Sera“. Berlusconi kündigte am Dienstag an, seine Partei sei „im Interesse des Landes“ zu Kompromissen bereit. Sein Vertrauter Antonio Tajani, ehemaliger Präsident des Europaparlaments, wird als möglicher Außenminister gehandelt. Seine Ernennung könnte Berlusconi besänftigen und ein Zeichen in Richtung Brüssel sein, wo der Siegeszug von Melonis europaskeptischer, postfaschistischer Partei mit Besorgnis aufgenommen wurde. Die Zusammenarbeit mit Lega-Chef Salvini könnte sich schwieriger gestalten: Der 49-Jährige steht vor Gericht, weil er seine Befugnisse als Innenminister im Jahr 2019 missbraucht und verhindert haben soll, dass ein Schiff mit Migranten im Hafen von Lampedusa anlegt. „Salvini zu entschärfen“ ohne die neu gebildete Regierung zu gefährden sei „Melonis erster Test“, schrieb die Tageszeitung „Repubblica“. Das von der ultrarechten FDI angeführte Rechtsbündnis hatte sich bei den Wahlen in Italien am Wochenende wie erwartet die absolute Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments gesichert. Die FDI erhielt laut dem am Dienstag vom Innenministerium in Rom veröffentlichten offiziellen Endergebnis der Wahl 26 Prozent der Stimmen. Die Lega von Salvini und die Forza Italia von Berlusconi kamen demnach auf 8,8 beziehungsweise 8,1 Prozent der Stimmen. Zusammen mit einer kleinen Partei, die weniger als ein Prozent der Stimmen erhielt, kam das Rechts-Bündnis damit auf 43,8 Prozent. Damit kann es sich im Abgeordnetenhaus 237 von 400 Sitzen sichern, im Senat 115 der 200 Sitze – eine klare Mehrheit in beiden Parlamentskammern.Der größte Rivale, die sozialdemokratische Demokratischen Partei (PD) von Ex-Regierungschef Enrico Letta kam auf 19 Prozent der Stimmen – das Mitte-Links-Bündnis aus PD und anderen Parteien erhält somit 84 Sitze im Abgeordnetenhaus und 44 Sitze im Senat. Die populistische Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) erreichte 15,4 Prozent und erhält 52 Abgeordnete und 28 Senatoren.Kurz nach der Wahl kann Italien mit einer Millardenpritze aus Brüssel rechnen: Die EU-Kommission stellte dem Land am Dienstag weitere 21 Milliarden Euro aus dem europäischen Corona-Wiederaufbaufonds in Aussicht. Die neuen Hilfen umfassen demnach zehn Milliarden Euro an Zuschüssen, die Rom nicht zurückzahlen muss. Daneben ist ein Darlehen in Höhe von elf Milliarden Euro vorgesehen. Die scheidende Regierung unter Ministerpräsident Mario Draghi hatte die Tranche Ende Juni beantragt. (AFP)