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StandpunktWofür ist Web3 gut?

Standpunkt / Wofür ist Web3 gut?
Tornado Cash ist ein automatisiertes Tool, das digitale Vermögenswerte vermischt und neu verteilt, um so die Anonymität der Eigentümer zu schützen Foto: AFP

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Das Office of Foreign Assets Control des US-Finanzministeriums hat vor kurzem eine Technologie namens Tornado Cash mit Sanktionen belegt, weil diese „genutzt wurde, um seit ihrer Entwicklung 2019 virtuelles Geld im Wert von mehr als sieben Milliarden Dollar zu waschen“. Derartige Zwangsmaßnahmen sind nichts Neues. Was diesen Fall allerdings einzigartig macht, ist, dass Tornado Cash eine Open-Source-Software ist.

Tornado Cash ist im Wesentlichen ein automatisiertes Tool, das digitale Vermögenswerte vermischt und neu verteilt, um so die Anonymität der Eigentümer zu schützen. Während wir nicht alles über Tornado Cash oder die Gründe für seine Entwicklung wissen, ist bekannt, dass seit seiner Einführung große Summen mit ungesetzlichen Aktivitäten verknüpften digitalen Geldes über das Protokoll verschoben wurden, darunter von nordkoreanischen Hackern gestohlene Millionenbeträge. Jedem Amerikaner, der den Dienst von nun an benutzt, drohen bis zu 20 Jahre Gefängnis.

Manche glauben, dass es derartiger Sanktionen bedarf, um Geldwäsche zu verhindern, während andere sie als Zeichen staatlicher Übergriffigkeit betrachten. Doch egal, welche Sicht man einnimmt: Es lohnt, zu fragen, warum überhaupt ein Bedarf an einem Protokoll wie Tornado Cash bestand. Die verkürzte Antwort lautet, dass unser Finanzsystem kein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Datenschutz und Sicherheit gewährleistet. Zum Glück ist dies eine Herausforderung, bei deren Lösung Web3- (Blockchain-) Technologien helfen könnten.

Als leitender Berater zweier US-Außenminister habe ich Zeit in Dutzenden von Ländern verbracht und dort untersucht, wie unterschiedliche Systeme Individualrechte und Demokratie beeinflussen, und mitgeholfen, Technologien und Anwendungen zu entwickeln, die offene Gesellschaften stärken. Im Laufe dieser Arbeit ist mir bewusst geworden, dass die heutigen Finanzsysteme in praktisch jeder Hinsicht versagen. Mehr als eine Milliarde Menschen weltweit – darunter Millionen in den USA – haben keinen Zugriff auf grundlegende Finanzleistungen. Viele sind nicht in der Lage, ihre Rechnungen zu bezahlen oder Angehörigen Geld zu schicken, weil sie kein Bankkonto bzw. keinen Ausweis haben, und andere trauen Finanzinstituten schlicht nicht.

Digitale Privatsphären

Dieses Misstrauen ist häufig legitim. Die Durchführung von Transaktionen jeder Größe erfordert, dass wir sensible Daten wie Geburtsdatum, Anschrift und Sozialversicherungsnummer weitergeben. Egal, ob Sie eine Wohnung oder ein Auto mieten: Diese Angaben werden regelmäßig missbraucht und gelangen in falsche Hände. So haben Identitätsdiebe Berichten zufolge Kontodaten bei Experian – einer der drei wichtigsten Auskunfteien – gestohlen, indem sie sich einfach mittels der personenbezogenen Daten der Opfer für neue Profile anmelden. Eine weitere Auskunftei (Equifax) ermöglichte 2017 den unberechtigten Zugriff auf die Daten von 150 Millionen Menschen (was in etwa der gesamten US-Erwerbsbevölkerung entspricht).

Tadellos funktioniert das aktuelle System für Kriminelle. Ein UN-Bericht aus dem Jahr 2011 ergab, dass 99,8 Prozent der Geldwäsche weltweit unbestraft bleibt. Doch können wir das Design unserer Finanzinfrastruktur ändern, um mehr Datenschutz und Sicherheit zu bieten, ohne dabei Diktatoren und Betrügern in die Hände zu spielen, indem wir Web3-Technologien nutzen, um uns neue Ansätze in Bezug auf Vertraulichkeit und Identitätsüberprüfungen zu erschließen.

Im größten Teil der Welt gibt es praktisch keine digitale Privatsphäre. Entweder Sie leben in einem Land wie China, wo die Regierung alles über Sie weiß und diese Informationen nutzt, um Ihr Verhalten für politische Zwecke zu manipulieren, oder Sie leben an einem Ort wie den USA, wo die großen Technologieunternehmen (Big Tech) Ihr Verhalten für wirtschaftliche Zwecke manipulieren. Langfristig ist keine dieser Organisationsformen mit einer gesunden, offenen Gesellschaft vereinbar. Web3 jedoch könnte einen dritten Weg bieten, indem es uns in die Lage versetzt, unsere digitalen Identitäten und Informationen zu kontrollieren, und zugleich eine zusätzliche Ebene der Verantwortlichkeit schafft, um Kriminalität und Missbrauch zu stoppen.

Freilich operieren die meisten Web3-Protokolle bisher an den beiden Enden des Datenschutzspektrums. Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethereum gewährleisten durch öffentliche Aufzeichnungen die uneingeschränkte Transparenz der Transaktionen, während Protokolle wie Tornado Cash versuchen, völlige Anonymität herzustellen, indem sie die Vermögenswerte legitimer Nutzer mit denen von Kriminellen und schurkischen Regimen vermischen.

Zum Glück tendieren die Entwickler inzwischen zu einem Mittelweg, der die Privatsphäre schützt und grundlegende demokratische Prinzipien einhält. Doch ist die Entwicklung dieser Systeme zu wichtig, um sie den Regierungen, dem privaten Sektor oder der Zivilgesellschaft allein zu überlassen. Die richtigen Lösungen erfordern eine Teamanstrengung, die sich auf einige wenige zentrale Fragen konzentriert.

Standards und Ziele

Zunächst einmal brauchen wir klare Ziele. Diese sollten als Minimum eine stärkere Kontrolle der Menschen über ihre Daten, eine stärkere Rechenschaftspflicht bezüglich der Nutzung dieser Daten und die Ausweitung des Zugangs zu Finanzleistungen im Allgemeinen umfassen.

Zweitens brauchen wir technische Standards, die es einfacher und weniger kostspielig machen, unsere digitalen Identitäten einzurichten und zu sichern. US-amerikanische und kanadische Banken geben gegenwärtig mehr als 30 Milliarden Dollar jährlich für Identitätsprüfungen aus, aber scheitern in der Regel trotzdem daran, Geldwäsche zu verhindern. Dieselben Web3-Tools, die sichere, preiswerte Transaktionen zwischen Digital Wallets ermöglichen, können es einfacher und billiger machen, zu beweisen, dass wir sind, wer wir zu sein behaupten. Offene Standards zur Überprüfung digitaler Identitäten können einen gesunden Wettbewerb sicherstellen, die Kosten für die Verbraucher senken und einen Wettlauf um höchste Standards beim Umgang mit Daten fördern.

Und schließlich brauchen wir eine Finanzregulierung, die gezielt Kriminelle ins Visier nehmen kann und trotzdem sichere Geldüberweisungen an Dissidenten und andere in geschlossenen Gesellschaften ermöglicht. Da ich Zeit mit Überlebenden nordkoreanischer Zwangsarbeiterlager verbracht habe, würde ich nie argumentieren, dass mein Recht auf private Transaktionen wichtiger ist als ihr Recht auf Freiheit. Aber beides schließt sich nicht aus. Durch kreative Politik und gut konzipierte Web3-Tools können wir die bürgerlichen Freiheiten fördern und Missbrauch verhindern.

Tornado Cash ist bloß Computercode. Der Versuch, diese Protokolle stillzulegen, wird höchstwahrscheinlich einen endlosen Kampf gegen Windmühlenflügel auslösen. Stattdessen brauchen wir einen neuen Ansatz zum Aufbau einer digitalen Finanzinfrastruktur, die die individuelle Privatsphäre schützt, ohne die Sicherheit zu untergraben.

* Tomicah Tillemann war leitender Berater der US-Außenminister Hillary Clinton und John Kerry. Er ist Chief Policy Officer von Haun Ventures und ehemaliger Mitarbeiter des Auswärtigen Ausschusses des US-Senats unter Joe Biden.

Aus dem Englischen von Jan Doolan.

Copyright: Project Syndicate, 2022, www.project-syndicate.org