Der sich ausweitende Justizskandal um ein vermutlich über ein Jahr lang missbrauchtes elfjähriges Mädchen lässt den Kosovo nicht zur Ruhe kommen. Zu Wochenbeginn zogen erneut Hunderte empörte Demonstrantinnen vor den Regierungssitz in Pristina, um den Abtritt der zuständigen Richter und Staatsanwälte, mehr Sicherheit für Frauen und Mädchen sowie umfangreiche Justizreformen zu fordern. „Wir können diese mit der Duldung des Staats an uns begangene Gewalt nicht mehr tolerieren“, so die Feministin Fjolla Mucaj.
Solidaritätsdemonstrationen mit dem elfjährigen Opfer wurden vom Webportal „Kossev.info“ auch in der albanischen Hauptstadt Tirana und im mazedonischen Skopje vermeldet. In Kosovo zieht der schockierende Missbrauchsskandal derweil immer größere Kreise. Geschockt hatte die Öffentlichkeit in dem seit 2008 unabhängigen Balkanstaat bereits auf die Verhaftung von fünf Tatverdächtigen am 27. August reagiert, darunter drei Minderjährigen: Sie stehen im Verdacht, ihr Opfer bei wiederholten Gruppenvergewaltigungen sieben Stunden lang an verschiedenen Orten in Pristina missbraucht zu haben.
Eine erneute Welle der Empörung wogte durch das Land, als am vergangenen Freitag erneut sechs Männer verhaftet wurden. Bereits Ende Juni sollen sie das Mädchen in insgesamt vier Motels missbraucht haben. Die Staatsanwaltschaft hatte damals zwar Ermittlungen aufgenommen, aber offenbar keinerlei Maßnahmen zum Schutz des Opfers veranlasst.
Premier macht der Justiz Vorwürfe
Ins Visier der Kritik sind auch die Polizei und Jugendbehörden geraten, da das Mädchen vermutlich schon viel länger zum Opfer von Sexualverbrechen und Menschenhandel geworden war: Zu Wochenbeginn berichtete Innenminister Xhelal Svecla, dass das Mädchen „laut ersten Indizien“ seit über einem Jahr vergewaltigt worden sei. Es seien noch keineswegs alle Täter gefasst: „Die bisherigen Informationen zeigen eine Folge von Versagen der zuständigen Institutionen beim Schutz der Minderjährigen.“
Mehrere der wegen der nachlässigen Verfolgung des Falls in die Kritik geratenen Verantwortlichen bei der Polizei haben bereits selbst ihren Posten geräumt – oder sind versetzt worden. Der Vorwurf von Premier Albin Kurti, dass über die Hälfte der Richter des Landes bei Sexualverbrechen grundsätzlich nur Geld- oder Bewährungsstrafen verhängen oder Straftaten bewusst verjähren lassen, wird von den Berufsverbänden zwar heftig dementiert, aber hat die Justiz zusätzlich unter Druck gesetzt: Vermehrte Rücktrittsforderungen werden vor allem gegen den Oberstaatsanwalt von Pristina laut.
Neben der Ablösung diskreditierter Würdenträger fordern die Demonstrantinnen vor allem einen besseren Opferschutz, die Schaffung einer Sondereinheit gegen sexuelle Gewalt bei der Polizei und die Legalisierung von Pfefferspray zur Selbstverteidigung von Frauen. „Nicht nur der Staat hat versagt, sondern wir alle“, sagte gegenüber der Agentur Balkan Insight die Demonstrantin Xheraldina Rexhepi aus Pristina: „Wir können nicht nur auf den Staat warten. Um die Gesellschaft zu ändern, müssen wir bei uns selbst beginnen.“
		    		
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