Am wichtigsten Finanzplatz Europas herrscht Unruhe über weitreichende Pläne der konservativen Regierungspartei zur Neuordnung der Aufsicht über die City of London. Beide Bewerber um die Nachfolge Boris Johnsons als Premierminister wollen die Unabhängigkeit der Bank of England sowie des Finanzaufsehers FCA beschneiden. Einem Gesetzentwurf des früheren Finanzministers Rishi Sunak zufolge soll der Regierung die gesetzliche Möglichkeit eingeräumt werden, umstrittene Entscheidungen zu überprüfen und notfalls rückgängig zu machen. Die haushohe Favoritin, Außenministerin Liz Truss, will offenbar weitergehen und die derzeit auf drei Institutionen verteilte Aufsicht in einer Mammutbehörde zusammenfassen. Zentralbank-Gouverneur Andrew Bailey bangt um „unsere internationale Reputation“.
Sunaks ursprünglicher Plan liegt auf Eis, seit der frühere Goldman-Sachs-Banker Anfang Juli zurücktrat und damit Premier Johnsons Rücktritt einleitete. Im Streit um die Nachfolge, die Anfang September feststehen soll, haben vor allem Truss und ihre Anhänger vom äußersten rechten Flügel der Konservativen immer wieder die Bank of England (BoE) scharf angegriffen: Viel zu spät hätten die Zentralbanker im vergangenen Herbst auf die schon damals rasant zunehmende Teuerung reagiert und sich vom Niedrigzinssatz von damals 0,1 Prozent verabschiedet. Auch habe die BoE die unsolide Schuldenpolitik der konservativen Vorgänger-Regierungen mitgetragen. Zur Stützung der Wirtschaft nach der globalen Finanzkrise sowie in der Corona-Pandemie hatte die Zentralbank immer neue Staatsanleihen im Wert von 895 Milliarden Pfund (gut eine Billion Euro) erworben.
Ein Ringen um mehr politischen Einfluss
Beide Bewerber reden zudem mit großer Begeisterung vom Brexit. Ein positiver Aspekt des Bruchs mit der EU könne eine Abweichung von Finanzmarktregeln und damit eine „Wettbewerbsstärkung“ der City sein, heißt es im Wahlkampf. Hingegen werden die negativen Auswirkungen des EU-Austritts, die zur schlimmen ökonomischen Lage beitragen, vertuscht; wer, wie jüngst BoE-Gouverneur Bailey, für den Herbst eine Rezession und Teuerung von 13 Prozent vorhersagt, wird als Schwarzseher verunglimpft.
Seit der jüngsten Sitzung des Monetärausschusses liegen die Leitzinsen bei 1,75 Prozent, die Inflationsrate beträgt 10,1 Prozent und ist damit auf dem Höchststand seit 40 Jahren, als die konservative Ikone Margaret Thatcher Premierministerin war – eine Peinlichkeit für Truss, die sich gern als neue Thatcher inszeniert. Das politisch vorgegebene Inflationsziel von zwei Prozent mit einem Korridor von plus minus einem Prozent haben die Zentralbanker in den vergangenen Jahren kaum je erreicht.
Was viele Marktteilnehmer von den Plänen der mutmaßlichen Regierungschefin halten, hat der Leiter der Compliance-Abteilung bei der dänischen Danske Bank aufgeschrieben. Diese seien „ausgesprochen töricht“, glaubt James Godwin, genieße die City doch nicht zuletzt wegen ihrer „Weltklasse-Aufseher“ hohes Ansehen. Deren Stellung sei nur deshalb so gut, weil die britischen Aufseher ein gerüttelt Maß an Autonomie von den Vorgaben des politischen Establishments vorweisen könnten.
Die Unabhängigkeit der Aufsichtsämter ist nicht zuletzt für unsere internationale Reputation wichtig
Freilich nur bis zu einem gewissen Grad, dürften manche denken, die sich an den Fall Martin Wheatley erinnern. Den damaligen Leiter der Aufsichtsbehörde FCA zwang Finanzminister George Osborne 2015 zum Rücktritt, weil Wheatley allzu robust gegen Kredithaie und Marktmanipulatoren vorgegangen war. Nachfolger des Geschassten wurde Andrew Bailey, der nicht durch energisches Durchgreifen gegen schlampig arbeitende Firmen auffiel, ehe er 2020 den Chefsessel der BoE ergatterte.
Der Gouverneur selbst verdeutlicht in einem Brief an den Finanzausschuss des Unterhauses seine Skepsis gegenüber dem geplanten Vetorecht der Ministerin gegenüber Entscheidungen der Finanz-Aufseher. Die geplante Reform solle erklärtermaßen die Konkurrenzfähigkeit des Sektors stärken, könne aber leicht den genau entgegengesetzten Effekt haben, warnt Bailey: „Die Unabhängigkeit der Aufsichtsämter ist nicht zuletzt für unsere internationale Reputation wichtig.“
Keine Lehren aus der Finanzkrise gezogen?
Während sich die beiden Premieranwärter darin einig sind, die Entscheidungen der Finanzaufseher stärkerer politischer Kontrolle zu unterziehen, scheiden sich die Geister bei den wesentlich weitergehenden Plänen der Favoritin Truss. Diese erwägt der Financial Times zufolge die Zusammenlegung der FCA sowie der innerhalb der BoE angelegten PRA, die über die finanzielle Gesundheit britischer Banken wacht, in eine Mammutbehörde. Dies würde eine Reform der Konservativen von 2010 rückgängig machen und den Zustand wiederherstellen, der unter dem Labour-Schatzkanzler und späteren Premierminister Gordon Brown seit der Jahrhundertwende herrschte.
Dem damaligen Großaufseher FSA (Financial Services Authority) machten Zentralbanker und Politiker nach dem Finanzcrash 2007/08 bittere Vorwürfe, man habe den größenwahnsinnig gewordenen Banken keine Schranken gesetzt. Prompt kritisierte das Sunak-Lager die Truss-Ideen scharf: Die Außenministerin „ignoriere die Lehren aus der Finanzkrise“ und wolle „Browns gescheitertes Modell“ auferstehen lassen.
De Maart
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