Phosphor statt Bernstein – Gefährliche Funde am Strand

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Bernsteinsammler können bei Strandspaziergängen das begehrte Fundgut verwechseln - mit weißem Phosphor.

Anfang August entdeckte eine 41-jährige Frau am Elbstrand von Wedel (Schleswig-Holstein) einen Brocken, den sie für Bernstein hielt. Sie hob ihn auf und steckte ihn ein. Als der vermeintliche Glücksfund getrocknet war, entzündete er sich jedoch und setzte die Jacke in Flammen. Die Frau blieb glücklicherweise unverletzt. Was sie später erfuhr: Statt des erhofften Glücksbringers Bernstein hatte sie ein Stück des täuschend ähnlich aussehenden weißen Phosphors eingesteckt.

Die gefährliche Chemikalie ist eine Altlast aus dem Zweiten Weltkrieg. „In den meisten Fällen stammt der Phosphor aus Brandbomben, mit dem diese gezündet wurden“, erklärt Oliver Kinast vom Kampfmittelräumdienst in Schleswig-Holstein. Er könne aber auch Bestandteil von Mörsergranaten gewesen sein, sogenannter Nebelmunition.

Weißer Phosphor an der Ostsee

Dass weißer Phosphor an der Unterelbe auftaucht, ist ungewöhnlich. Denn Schwerpunkt solcher Phosphorfunde ist die Ostseeküste im Osten Mecklenburg-Vorpommerns, vor allem der Norden der Ferieninsel Usedom. Dort erprobten die Nazis in der sogenannten Heeresversuchsanstalt in Peenemünde während des Krieges Raketen, die sie dann in Richtung englischer Städte schickten. Die Alliierten reagierten und flogen schwere Bombenangriffe auf die Rüstungsschmiede.

Bei den britischen Luftangriffen auf die Versuchsanstalt im Jahr 1943 verfehlte ein Teil der abgeworfenen Brandbomben ihr Ziel und fiel ins Meer. „Die Muntion rottet im Wasser durch und setzt den Phosphor frei“, erläutert der Kampfmittelräumer Kinast. Experten gehen davon aus, dass weißer Phosphor in Salzwasser praktisch unbegrenzt bestehen bleibt, da er so gut wie nicht wasserlöslich ist.

Warnhinweise am Strand

Im Mecklenburg-Vorpommern stehen an den Zugängen zu besonders gefährdeten Küstenabschnitten Warnhinweise. Den Urlaubern und Bernsteinsammlern dort rät Kinast, ihre Funde keinesfalls in die Hosentasche zu stecken. „Phosphor entzündet sich bei trockenem Zustand und bei Erwärmung“, sagt er. Sammler sollten die Stücke am besten in Metallbehältern transportieren. Diese ließen sich im Zweifel auch schnell wegwerfen, ergänzt Marion Schlender, Sprecherin des Schweriner Innenministeriums, in dessen Zuständigkeit auch der Munitionsbergungsdienst von Mecklenburg-Vorpommern fällt.

Anders als oft gedacht, werde Phosphor meist gar nicht an-, sondern freigespült, sagt Schlender. Weißer Phosphor habe ein deutlich höheres spezifisches Gewicht als Wasser und bleibe daher am Meeresgrund. Bei Sturm könne er aber am Strand oder im flachen Uferbereich freigespült werden. Wie oft weißer Phosphor im Nordosten gefunden wird, konnte sie nicht sagen. Zu den losen Funden am Strand werde der Munitionsbergungsdienst üblicherweise gar nicht gerufen.

Weniger Bomben in Kiel

Für die Ostseestrände Schleswig-Holsteins sehen Experten kein Problem. „Wir haben keinen signifikanten Anstieg solcher Funde“, sagt Oliver Kinast. Während des Zweiten Weltkriegs seien mit Ausnahme von Kiel deutlich weniger Einrichtungen in Wassernähe bombardiert worden als im Nachbarland Mecklenburg-Vorpommern. An den Nordseestränden spiele das Thema aufgrund der Gezeiten ohnehin nur eine geringe Rolle. „Wenn dort Phosphor freigespült wird, brennt es im Watt einfach ab. Nach einer Viertelstunde ist es weg“, so Kinast.

Einer, der es wissen könnte, ist Uwe Petersen. Seit knapp 40 Jahren sammelt er an den Stränden der Nordseeinsel Föhr Bernstein. „Ich habe bestimmt schon 25 Kilogramm Bernstein gefunden, aber noch niemals einen Klumpen Phosphor“, sagt Petersen. Schätzungsweise schon 25.000 Kilometer habe er bei der Suche an den Stränden zurückgelegt, den Großteil davon auf der Nordseeinsel Föhr. Dort betreibt der 48-Jährige einen Bernsteinladen. Er hat aber auch schon an der Ostsee gesucht.

In Mecklenburg-Vorpommern kommen hin und wieder Menschen durch weißen Phosphor zu Schaden. Wie Anfragen bei den Unikliniken in Rostock und Greifswald ergaben, werden dort in jedem Jahr einige wenige Patienten nach Phosphor-Verbrennungen behandelt. Und andere haben offenbar Glück, wie die Frau in Wedel, und kommen mit dem Schrecken davon.