Hartz-IV-Empfänger bekommen nur fünf Euro mehr

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Nur fünf Euro zusätzlich im Monat und kein Geld mehr für Tabak oder Alkohol: Nach dem Willen der schwarz-gelben Koalition soll das Arbeitslosengeld II für Erwachsene ab Januar von 359 auf dann 364 Euro monatlich steigen.

Dies berichtete Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Sonntag nach einer Spitzenrunde unter Leitung von Angela Merkel im Berliner Kanzleramt. Damit wurden Hoffnungen der 6,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger auf eine kräftige Erhöhung enttäuscht. Die Parteichefs von CDU, CSU und FDP, Merkel, Horst Seehofer und Guido Westerwelle äußerten sich zufrieden. Die Kanzlerin sprach von einer sachgerechten Lösung, und Westerwelle fügte an: „Das ist der Herbst der Entscheidungen.“ Die Sätze für Kinder sollen gleich bleiben, also nach Alter gestaffelt zwischen 215 und 287 Euro.
Die Neubemessung ergab zwar nach Angaben von der Leyens, dass rein rechnerisch die bisherigen Leistungen sogar um zwei bis zwölf Euro zu hoch waren. Die Ministerin sagte: „Das hat mich selbst auch sprachlos gemacht.“ Eine Kürzung werde es aber trotzdem nicht geben, denn die Familien sollten Vertrauensschutz genießen. Von der Leyen rechtfertigte zudem den Beschluss, bei den neuen Hartz-IV-Sätzen keine Ausgaben für Alkohol und Tabak mehr zu berücksichtigen. Beides seien „Genussmittel, die nicht existenzsichernd sind“, sagte sie zur Begründung.
Für Zigaretten, Wein und Bier waren bisher pauschal rund 20 Euro veranschlagt. Von der Leyen wies darauf hin, dass ab Januar arme Kinder aus Hartz-IV-Familien zusätzlich das neue „Bildungspaket“ erhalten – „mit dem warmen Schulmittagessen, der Förderung für Sport oder Musik am Nachmittag in den Vereinen, der Lernförderung falls nötig sowie Schulmaterial und eintägige Klassenausflüge“. Ob und wie die elektronische Bildungschipkarte kommt, blieb zunächst offen. Grundlage für die neuen Regelsätze war die jüngste Einkommens- und Verbrauchsstatistik.
Bei der Überprüfung, welche Ausgaben Geringverdiener tatsächlich haben, wurden laut Ministerium einige wenige Positionen neu hinzugefügt. Dazu zählen Softwaredownloads und die Praxisgebühr.

Widerstand der Opposition

Als „nicht regelsatzrelevant“ wurden neben Alkohol und Tabak erneut auch Autos, Haushaltshilfen, Flugreisen, aber auch illegale Drogen und Glücksspiele eingestuft. Bereits vorab verkündet hatte die Arbeitsministerin, dass die Hartz-Leistungen künftig an die Preis- und Lohnentwicklung gekoppelt werden. Bislang sind sie an die Rentenentwicklung gebunden. Das Verfassungsgericht hatte die bisherige Berechnung im Februar als willkürlich gerügt und der Regierung eine Reform aufgetragen. SPD, Linke, Grüne und Sozialverbände halten ein Plus von fünf Euro monatlich für viel zu wenig und kündigten Widerstand an.
Sie fordern mindestens 40 Euro mehr pro Monat. Der Reform muss auch der Bundesrat zustimmen, wo Union und FDP keine eigene Mehrheit mehr haben. Die SPD hat dort Widerstand angekündigt. Grüne und Linke drohen zudem mit einer weiteren Verfassungsklage. Am 20. Oktober soll das Bundeskabinett entscheiden, danach berät zunächst der Bundestag.
Vom Paritätischen Gesamtverband kam Kritik. Verhandlungen im Koalitionsausschuss über das Existenzminimum finde er schwierig, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Das Bundesverfassungsgericht habe vorgegeben, „es dürfe keine rein politische Entscheidung sein, sondern das, was da gerechnet wird, müsse methodisch haltbar, nachvollziehbar und transparent sein“. SPD-Chef Sigmar Gabriel warf CDU-Chefin Merkel vor, sie lasse sich von Vizekanzler Westerwelle (FDP) erpressen. Der FDP-Chef könne wegen seiner kritischen Äußerungen über den überbordenden Sozialstaat eine wirkliche Erhöhung der Sätze nicht zulassen. Auch Grünen-Fraktionschefin Renate Künast zeigte sich empört über die Pläne: „Die Würde des Menschen ist mehr als fünf Euro wert.
Die Klientel bedienen und der sozialen Gerechtigkeit ins Gesicht schlagen, das ist heute Schwarz-Gelb.“ Künast warf der Koalition Schönrechnerei vor. „Diese willkürliche Berechnung von Merkel und von der Leyen wird von den Grünen keine Stimmen kriegen, sondern notfalls in Karlsruhe geprüft werden“, kündigte sie an. Die Linke sprach von einem glatten Verfassungsbruch. „Die Regierung Merkel/Westerwelle lässt die Hartz-IV-Betroffenen am ausgestreckten Arm verhungern“, erklärte Parteichef Klaus Ernst.
„Eine Regelsatzerhöhung von 5 Euro ist mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum unvereinbar.“ Eine erneute Verfassungsklage sei unausweichlich.

dapd