Mit Samthandschuhen

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Der nationale Kampfsportverband ist einerseits bekannt für seine Spitzenathleten und Medaillen auf höchstem internationalen Niveau, andererseits ziehen auf Führungsebene regelmäßig dunkle Wolken über die FLAM („Fédération luxembourgeoise des arts martiaux“) hinweg. Die letzte Schlammschlacht endete im März, als Serge Schaul – zuvor Generalsekretär – den Präsidentenposten von Fred Bertinelli übernahm. Letzterer hatte im Februar das Vertrauen des Karate verloren. Sein Nachfolger will nun mit mehr Diskussion und der gleichen Autonomie für ruhige Gemüter, eine breite Basis und Stabilität sorgen.

„Putsch“ gegen „Diktatur“ – so könnte man die gegenseitigen Anschuldigungen (siehe Tageblatt vom 6. Februar) in einem Satz resümieren. Fred Bertinelli fühlte sich vom neuen Karate-Vorstand hintergangen – dieser wiederum warf seinem früheren Oberhaupt mangelnde Diskussionsbereitschaft vor. Dies alles geschah in einer internen Versammlung wenige Tage vor einer Weltmeisterschaft in Russland. Eigentlich undenkbar. Es ist die Kehrseite der Medaille eines Verbandes, der rein sportlich international über die Jahre hinweg auf höchstem Level konkurrenzfähig ist. Warum Nachfolger Serge Schaul, der als Präsident des Judo nun auch Oberhaupt aller Kampfsportarten geworden ist, seinen Posten deshalb nicht als undankbares Geschenk abstempelt und welches Potenzial er innerhalb des großen Verbands sieht, erklärte er im ersten Interview nach der Amtsübernahme.

Tageblatt: Was änderte sich für Sie, als Sie vom Generalsekretär zum Präsidenten gewählt worden sind?

Serge Schaul: Ich hatte das Glück, dass ich das Umfeld kannte: Als Generalsekretär kam früher schon viel Arbeit auf mich zu. Der ehemalige Präsident hat mir in vielen Dingen freie Hand gelassen. Jetzt ist es eben umgekehrt. Ich will meine Arbeit größtenteils selbst erledigen und über alle Entscheidungen informiert sein.

Haben Sie kein mulmiges Gefühl, in Zukunft mit Menschen zu arbeiten, die Ihren Freund und Vorgänger Fred Bertinelli gestürzt haben?

Ich sehe das etwas anders. Er hat das immer dargestellt, als habe er alles richtig gemacht, und alle andern seien in dieser Geschichte die Bösen. Jeder macht Fehler, das muss man sich auch eingestehen. Das war wohl ein Problem von Fred (Bertinelli). Unsere Versammlungen dauern jetzt eine Stunde länger. Es reden nicht mehr nur zwei Personen, sondern 20. Es wird konstruktiv gearbeitet. Er hat wahrscheinlich zu hart durchgegriffen. Ich dagegen lege Wert auf Dialog. Es gab vorher keine Diskussion. Sein Problem war, dass er sich zu sicher gefühlt hat.

Unter Fred Bertinelli haben sich die einzelnen Sportarten autonom organisiert. Was planen Sie in dieser Hinsicht?

Daran werde ich nichts ändern. Ich will allerdings mehr auf gemeinsame Projekte setzen. Dann wird es auch kein zweites Mal eine Situation wie die von Fred Bertinelli geben. So hat man schon im Vorfeld die Möglichkeit, einzugreifen. Wir (als „Comité directeur“, d. Red.) führen bereits sehr interessante Gespräche mit dem Karate und die Zusammenarbeit klappt hervorragend. Kommunikation heißt das Zauberwort. Ein Beispiel: Jeder unserer Vertreter hat das Recht zu erfahren, wie man sich anlegt, um beim Ministerium noch ein paar Euro mehr herauszuschlagen. Ich habe gemerkt, dass alle an einem Strang ziehen wollen. Der Karate kam schon auf uns zu und hat sich erkundigt, wie wir im Judo dies oder jenes organisiert haben. Statt dass jeder seine eigene Anfragen stellen muss, reicht es dann, die organisatorische Arbeit nur einmal zu erledigen.

Warum ist diese Kommunikation denn vorher nie zustande gekommen?

Das weiß ich auch nicht. Es lag vielleicht an den Führungspersonen, die das nicht wollten. Diese Autonomie führte Roland Lenert in seiner Amtszeit ein. Fred Bertinelli wollte das vielleicht nicht unbedingt in diesem Rahmen, er hat aber auch nichts dagegen unternommen. Die Autonomie an sich hat ja nur Vorteile: Von früher weiß ich noch, dass jede Entscheidung vom „Comité directeur“ abgesegnet werden musste.

Was sind Ihre andere Visionen?

Ein ganzer Haufen. Wir müssen uns besser vermarkten, damit die Menschen erfahren, was wir tun. Es ist nicht nur Hochleistungssport, sondern auch etwas für das breite Publikum. Das wissen viele einfach nicht. Thema ist auch, sich in Grundschulen zu präsentieren. Als Judo-Präsident ist es mir nicht gelungen, als FLAM-Präsident bekommt das jetzt eine neue Tragweite. Es geht nicht nur darum, für unsere Sportarten zu werben, sondern ebenfalls darum, die richtigen Werte wie Respekt, Beherrschung, Selbstbewusstsein und Disziplin zu vermitteln. Wir sind nicht nur ein olympischer Sport, es muss auch an der Basis gearbeitet werden. Einer meiner großen Pläne ist auch eine ‚Nuit des arts martiaux‘, die im nächsten Jahr stattfinden soll. Dort kann dem breiten Publikum dann jede unserer Sportarten vorgestellt werden.

6.000 Lizenzen sind es aktuell. Wo sehen Sie die FLAM in vier Jahren?

Darüber mache ich mir nicht so viele Gedanken wie mein Vorgänger. Der klopfte sich mit der Verdopplung der Lizenzierten in seiner Amtszeit auf die Schulter. Für mich ist es wichtiger, dass die Lizenzen auch etwas wert sind. Wenn ich alle administrativen Personen abrechnen würde, wären es wahrscheinlich auch keine 6.000. Wichtig ist dagegen, dass es eine klarer Struktur gibt, mit einer breiten Basis. Dass es sich bei den Lizenzierten um Personen handelt, die ihren Sport austragen. Die Vereine sollen natürlich weiterwachsen. Mit 28 Disziplinen sind es jetzt auch genug. Es hat niemand einen Überblick. Niemand weiß genau, was die alle so machen. Mir ist es wichtiger, dass die Sportarten gelebt werden. Ich werde deshalb in den nächsten Monaten auch alle FLAM-Sportarten selbst ausprobieren.

Warum steht sich die FLAM bei ihrer Außendarstellung oft selbst im Weg?

Als ein Kollege erfuhr, dass ich den Generalposten angenommen hatte, rief er mich an und fragte: ‚Bist du dir sicher? Es gibt in diesem Verband doch nur Probleme, ein wahrer Zirkus …‘ Dieses Bild will ich ändern. Das geht nur, wenn wir wieder kommunizieren. Wir müssen unser Image ändern und uns auch besser vermarkten.

Lag es daran, dass einige zu viel Autonomie hatten und nur an ihrem eigenen Süppchen interessiert waren?

An der Autonomie wird sich nichts ändern. Aber wir müssen näher zusammenrücken. Wenn wir gemeinsam auftreten, hinterlässt das einen ganz anderen Eindruck.

Wie sieht es nach der Budgetüberschreitung des Karate bei den Finanzen aus?

Fakt ist, der Karate hat 2017 mehr Geld ausgegeben, als ihm zur Verfügung stand. Das war ein Fehler des damaligen Kassierers (Fred Charlé, der ebenfalls nicht wiedergewählt wurde), der gesagt hatte, es wäre finanziell möglich. So einfach ist das. Jetzt muss gespart werden.

Fehlt es dem Karate an finanziellen Ressourcen?

Es ist wie überall: Niemand hat genug Geld. Sie sind anders aufgestellt als die Judokas. Sie verlangen beispielsweise keine Eigenbeteiligung der Athleten. Im Judo wäre das undenkbar, da muss man jedes Wochenende reisen, um sein Ranking zu verteidigen – im Karate nicht unbedingt. Die Judokas haben ein größeres Budget, was wegen der beiden Nationaltrainer gerechtfertigt ist.

Ein anderer Streitpunkt ist die nationale Kampfsporthalle. Wurde mittlerweile eine Einigung bezüglich der Nutzungsrechte gefunden?

Hierbei handelt es sich um ein politisches Problem. Gaston Greiveldinger (Strassener Bürgermeister) war bei der offiziellen Eröffnung der Einzige, der von einer Karatehalle sprach und davon ausgeht, dass es eine reine Strassener Halle ist. Alle anderen Redner nannten es Kampfsporthalle. Es ist nicht die Halle der Strassener Gemeinde! Wenn es Unterhaltskosten zu zahlen gibt, muss sich die Gemeinde an das Sportministerium wenden und nicht an uns. Dieser Streit ist wahrscheinlich auch der Grund, warum noch immer kein Name auf dem Gebäude steht …

Nachdem Judoka Manon Durbach ihren Rücktritt erklärt hat, bleibt auf Topniveau bei den Seniorinnen nur noch die gesperrte Taylor King übrig.

Sie hat von der FLAM einen offiziellen Brief bekommen, in dem genau erklärt ist, dass sie bis auf Weiteres gesperrt ist – und zwar bis sie sich für ihre Fehler entschuldigt. Wir als Verband werden nicht auf sie zugehen.

Wie wirkt sich das auf die Stimmung in der Nationalmannschaft aus?

Ich habe mich mit einigen Sportlern unterhalten, die mir bestätigt haben, dass es nichts zu beklagen gibt. Klar gibt es hier und da Meinungsverschiedenheiten. Es gibt niemanden, den man als perfekten Trainer beschreiben kann. Wie viele Judokas beim Training erscheinen, hängt auch immer mit den schulischen Verpflichtungen zusammen. Es können 15 oder 20 sein …

Dann stellt sich allerdings die berechtigte Frage, weshalb sechs Trainer eingestellt worden sind.

Wir haben keine sechs Trainer eingestellt. Nur zwei unserer Coaches haben Verträge (Thomas Kessler und Ralf Heiler, deren Verträge bis 2020 laufen, d. Red.). Alle anderen bekommen eine Entschädigung, wenn sie im Einsatz sind, wie andere Vereinstrainer auch.

Warum braucht die Judo-Nationalmannschaft denn trotzdem sechs Trainer?

Einer kümmert sich rein um die Jugend. Dann als Beispiel: Ralf Heiler reist mit zwei Athleten nach Coimbra. Es bleibt uns dann nichts anderes übrig, als Grumiaux, immerhin im Besitz eines A-Scheins, mit den anderen Judokas auf ein Turnier in Belgien zu schicken. Er hat allerdings einen Beruf und nicht jedes Wochenende Zeit … Ein anderes Problem ist, dass die Leistungsunterschiede immer größer werden. Das müssen wir in den Griff bekommen. Mit Claudio dos Santos und die Mosr-Schwestern haben wir hoffnungsvollen Nachwuchs, doch wir müssen uns bemühen, dass auch danach Potenzial nachrückt. Jeder wäre gerne ein Hochleistungssportler, aber nicht alle sind bereit, Opfer zu bringen. Als Verband machen wir zwar große Werbung für das Sportlycée, aber ich habe das Gefühl, dass einige denken, dass dort zu viel von ihnen verlangt wird. Da müsste man unbedingt ein Gespräch mit dem Direktor führen.

Wo sehen Sie sich und den Verband in einigen Jahren?

Ich hoffe, dass ich diesen Job acht Jahre ausüben darf. Ich glaube fest daran, dass es irgendwann zu einer olympischen Medaille reicht. Zu sagen, um welchen Athleten es sich dabei handelt, ist allerdings sehr schwer. Ich kann die jungen Sportler nur unterstützen. Wir haben immerhin schon eine Weltmeisterin. Für Jenny wird es schwer, sich für die Olympiade zu qualifizieren. Aber das ist ohnehin nicht unbedingt das Wichtigste für die FLAM: Persönlich sehe ich es als wichtiger, irgendwann in naher Zukunft fünf Europameister und zwei Weltmeister in den Reihen zu haben, als dass nur ein Aushängeschild eine Olympiamedaille gewinnt. So war es bisher immer – und das war immer ein Problem.