Russland nimmt sich eine Auszeit

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Von unserem Korrespondenten Axel Eichholz

Russland feiert das neue Jahr immer noch nach dem alten Julianischen Kalender. 2018 beginnt damit erst am 14. Januar. Die zwei Wochen zwischen dem westlichen Neujahr und dem Alt-Neujahr bilden eine Art Zeitloch – es läuft praktisch nichts.

In Russland wurden die Winterferien ab diesem Jahr von zwei Wochen auf neun Tage verkürzt. Der erste Arbeitstag fiel auf vergangenen Dienstag. Viele nehmen sich aber zusätzlich frei, um wie gewohnt weiterzufeiern. Ein Indiz dafür: Die verheerenden Moskauer Staus sind vorübergehend weg, zumindest bis in die Nacht vom nächsten Samstag zum Sonntag. Dann beginnt das Jahr 2018 erst richtig. Diesmal wird „Alt-Neujahr“ – eigentlich ein Widerspruch in sich – zum 100. Male gefeiert.

Im Januar 1918 unterschrieb der sowjetische Vorsitzende des Rates der Volkskommissare Wladimir Lenin ein Dekret über die Einführung des westeuropäischen Kalenders in Russland. Gleich nach dem 31. Januar sollte nicht der 1., sondern der 14. Februar anbrechen. Das wäre eine rein rechnerische Angelegenheit gewesen, die Russisch-Orthodoxe Kirche blieb aber beim alten Julianischen Kalender. Aus ihrer Sicht hatte sie Recht, denn ein anderes Dekret der Sowjetregierung trennte die Kirche vom Staat. So wurde die entstandene Auszeit in den Folgejahren auf die Wochen vom 1. bis 14. Januar vorgeschoben.

Legalisierung nach der Wende

Nach der Wende von 1991 wurden die arbeitsfreien Winterferien quasi legalisiert. Zwei Wochen lang tat sich landesweit absolut nichts. Dienststellen und Firmen machten einfach dicht. Es erschienen keine Zeitungen. Langsam merkte man, dass es zu viel war. Die Vorstellung, die Bevölkerung würde sich der gesunden Lebensweise mit viel Wintersport widmen, ging nicht auf. Man schlug vielmehr meist die feuchtfröhliche Route ein. Nach der Revolution hatte dieses Zeitloch das einst beliebte Weihnachtsfest verschluckt. Sowjetische Behörden achteten darauf, dass es wenigstens von Funktionären und Parteimitgliedern nicht gefeiert wurde. Beim Alt-Neujahr am 13./14. Januar drückte man aber ein Auge zu. Landesweit blieben vor Silvester aufgebaute Weihnachtsbäume bis Mitte Januar stehen. Als Folge liegen trockene Tannennadeln ähnlich wie abgeschnittene Haare beim Friseur auf dem Fußboden herum. Nachts stechen sie einem im Bett in die Seite.

Weihnachten und Silvester sind vor allem Familienfeste. Alt-Neujahr feiert man dagegen in der Regel ohne Vorabsprachen mit alten Freunden, die oft nach Jahren gleichsam aus dem Nichts auftauchen, oder mit einer neuen Freundin – irgendwo in der stadtnahen Datscha bei Sekt und dem, was sich gerade im Kühlschrank findet. So beschreibt es das Jugendidol der 60er-Jahre, der Dichter Andrej Wosnessenski, im folgenden Gedicht:

Alt-Neujahr

Vom ersten bis dreizehnten Januar/ unserer neuen Zeit/ rufen mich alte Freunde an/ aus der Vergessenheit/ weg ist elektrischer Lichterglanz/ puste auch die Kerzen aus/ vom ersten bis zum dreizehnten/ sind Männer selten zu Haus/vom ersten bis zum dreizehnten/ klafft in der Zeit ein Loch/ lass das Telefon draußen/ hol ein paar Gläser hoch/ überall trockenes Nadelzeug/ wie im Frisiersalon/ frisch gebügelter Bettbezug/ ist auch schon voll davon.

Liegt eine Flasche Sekt im Schnee/ ich tat sie dort hinein/ komm mit hinaus/ hilf suchen sonst/ find ich sie nicht allein.

Weißer verschneiter Kronenschwung/ ist unsre schnelle Trauung/ vom ersten bis zum dreizehnten.