„Ich kämpfe weiter!“

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Von unserem Korrespondenten Paul Flückiger, Zabia Wola

Michail Saakaschwili erhebt im Gespräch schwere Vorwürfe gegen Kiew und dessen politische Klasse. Der Ex-Präsident Georgiens und ukrainische Oppositions- politiker sieht seine politische Zukunft auch nach seiner Ausweisung in der Ukraine.

Tageblatt: Sie wurden gerade unter Gewalteinsatz aus der Ukraine abgeschoben. Was wird in der Ukraine nach Ihrer Ausweisung passieren?
Michail Saakaschwili: Die Ukraine wird zu einem totalen Mafia-Staat. Wahlen werden nur noch eine Formalität sein. Denn die wirtschaftlichen Interessen der Oligarchen sind zu groß. 70 Prozent der Wirtschaft werden von den sieben Oligarchen kontrolliert. Die wichtigsten sind Petro Poroschenko und Rinat Achmetow, die zusammen mehr als die Hälfte davon besitzen und auch große Teile der Medien kontrollieren. Dazu kommen sehr schwache Institutionen. Der Staat funktioniert praktisch nicht. Dazu kommen noch paramilitärische Formationen, die von Poroschenko eingesetzt werden. Auch der Innenminister und Achmetow haben eigene solche Truppen, die keine staatliche Autorität stoppen kann. Diese drei Personen haben je ihre politischen Parteien oder Satelliten.

Immerhin geht es wirtschaftlich wieder aufwärts.
Nein, die Wirtschaft stagniert. Ein Wirtschaftswachstum von zwei Prozent ist zu schwach bei einer Inflation von 13 Prozent, insbesondere wenn die Wirtschaft im wichtigsten Nachbarland Polen jährlich um fünf Prozent zulegt und auch die Wirtschaft in 80 Prozent der EU schneller wächst als die der Ukraine. Die Ukraine kann sich eine solche Stagnation nicht erlauben, denn das fördert die Zentrifugalkräfte.

Warnen Sie deshalb vor einem Zerfall der Ukraine?
Genau! Der Osten und Süden sterben ökonomisch ab. In der Bukowina und Zakarpatien (Transkarpatien) haben wir große nationale Minderheiten, die Rumänen und Ungarn. Dort wachsen separatistische Strömungen, die im Osten schon vorhanden sind. Immer mehr Ukrainer wandern aus. Ganze Landstriche sind überaltert. Diese Bevölkerungsteile sind besonders anfällig für Korruption. Dies führt zu einer Desintegration und Kriminalisierung des Staates. Das alles ist sehr gefährlich.

Auf der anderen Seite gibt es einen enormen, nicht zuletzt militärischen Druck aus Russland. Damit droht ein Kollaps, danach ist die Ukraine der nächste „failed state“.

Sind damit die Hoffnungen der Maidan-Revolution zerstört?
In den letzten vier Jahren hat die Desintegration zugenommen. Unter Janukowitsch funktionierte immerhin noch die alte sowjetische Verwaltung. Doch seit dem Maidan befindet sich alles in Auflösung. Das alte System wurde zerstört, aber niemand hat ein neues geschaffen. Das ist sehr gefährlich.

Aber Sie hatten doch in Odessa als Gouverneur die Möglichkeit, Neues zu schaffen. Wäre es nicht besser gewesen, das Handtuch nicht so schnell zu werfen?
Ich hatte ja nicht einmal Geld für Reformen! Mir waren die Hände gebunden, ich aber hatte Verbesserungen versprochen. Man kann nicht etwas versprechen und nichts liefern. Das geht nicht! Die Bevölkerung war bereits enttäuscht. Doch ohne Mittel, ohne Rückendeckung aus Kiew und gegen den Widerstand der lokalen Mafia konnte ich nichts machen.

War Ihr Rückzug aus heutiger Sicht nicht dennoch ein taktischer Fehler?
Nein, ich kann doch kein Regierungsamt ausüben, wenn ich meine Versprechen nicht einlösen kann. Das ist gefährlich, vor allem in der Ukraine.

Aber andere machen das doch auch so. Die Regierung in Kiew funktioniert ja laut Ihrer Meinung auch nicht.
Ich kann das nicht. Ich bin eben so. Das ist nicht meine Art.

Taktisch war es dennoch falsch. Zumal Sie nun ausgewiesen wurden.
Saakaschwili: Ich versuchte es, so lange es für mich stimmte. Und ich blieb dennoch zu lange im Amt. Immerhin war der Zoll zwei Jahre lang nicht korrupt. Immerhin konnte ich ein Antragsteller-freundliches Bürgerzentrum eröffnen. Das war immerhin etwas. Aber die großen Versprechen waren unerfüllbar. Deshalb konnte ich nicht bleiben.

Nun zur Taktik des politischen Kampfes: Sie verstehen nicht, dass es in zwei Jahren de facto keine Wahlen mehr geben wird. Wer etwas dagegen tun will, muss es jetzt tun, denn bald ist es zu spät.

Was kann die EU tun? Was kann der Westen tun?
Die USA haben die Schaffung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU) erzwungen. Das war gut. Der IWF hat gerade eine wichtige Kredittranche zurückgestellt, um weitere Reformschritte um einen ernsthafteren Kampf gegen die Korruption zu erzwingen.

Am Ende werden die Gelder dennoch fließen, auch wenn Kiew seine Hausaufgaben nicht macht. Denn die Ukraine liegt an der Front eines noch nicht erklärten Krieges mit Russland, der kein Pochen auf Werte mehr erlaubt.
Bestimmt ist die Politik des Westens heute weniger werteorientiert. Auch haben die Politiker in der Ukraine – wie auch in meinem Heimatland Georgien – gelernt, jene Sprache zu sprechen, die die EU und die USA hören wollen. Doch zum Glück ist Putin noch nicht für einen Krieg mit der NATO gerüstet, etwa im Baltikum. Trump wiederum investiert endlich wieder in die US-Armee. Putin wird die Wahlen im März gewinnen, doch sein Stern sinkt, er wird immer unpopulärer. Auch deswegen ist diese Auseinandersetzung vor allem ein Kampf gegen die Zeit.

Derweil transferieren die Oligarchen bereits ihr Vermögen ins Ausland, etwa auf Schweizer Banken.
Die Schweiz ist besser als ihr Ruf, sie hat ihre Hausaufgaben gemacht. Bei den Oligarchen steht heute eher Österreich hoch im Kurs. Dort parken alle ihre Vermögen, die alte Riege um den nach Russland geflohenen Ex-Präsidenten Janukowitsch wie auch die neuen ukrainischen Oligarchen. Alle sind in Wien willkommen.

Und Sie sind bald in den Niederlanden, woher Ihre Ehefrau stammt. Was haben Sie dort vor?
Ich bleibe staatenlos, bekomme aber holländische Papiere, mit denen ich mich frei in der EU bewegen kann. Meine ukrainische Staatsbürgerschaft wurde mir rechtswidrig entzogen, das will ich weiterhin in der Ukraine vor Gericht aufzeigen. Einstweilen bin ich in der EU; in der Ukraine aber habe ich ein gutes junges Team, das auch aus dem Ausland geleitet werden kann. Ich habe viele sehr loyale Anhänger aus der Mittelklasse. Die Umfragen werden dieser Stärke meiner „Bewegung Neuer Kräfte“ (RNS) nicht gerecht. Jemand anders kann meine Anhänger in der Ukraine anführen, das muss nicht immer ich sein. Ich jedenfalls kämpfe weiter; ich bleibe der Ukraine treu.


Einst gefeierter Präsident Georgiens, später ukrainischer Gouverneur, heute Staatenloser

Der 50-jährige gebürtige Georgier hat 2003 die pro-westliche Rosenrevolution angeführt und amtierte danach zwei Amtsperioden lang bis 2013 als Staatspräsident des Kaukasus-Landes.

Dabei gelang Saakaschwili ein international anerkannter Kampf gegen die Korruption, allerdings wurde auch ein Verfahren wegen Amtsmissbrauchs gegen ihn erhoben. Ende 2013 setzte er sich deshalb in die USA ab, wo er als Hochschullektor arbeitete. 2015 holte ihn sein einstiger Studienfreund Petro Poroschenko als gefragter Reformer in die Ukraine, schenkte ihm die Staatsbürgerschaft und setzte ihn als Gouverneur von Odessa ein.

Von dieser Funktion trat Saakaschwili ein gutes Jahre später zurück und gründete in Kiew die Oppositionspartei „Bündnis Neuer Kräfte“. Staatspräsident Poroschenko entblößte ihn daraufhin während einer Auslandsreise der Staatsbürgerschaft, doch Saakaschwili reiste im September 2017 illegal wieder in die Ukraine ein und organisierte – insgesamt wenig erfolgreiche – Proteste gegen Poroschenko. Nach einer ersten Festnahme im Dezember 2017 befreiten ihn seine Anhänger; am 12. Februar wurde er deshalb sofort nach seiner zweiten Festnahme in einem Privatflugzeug nach Polen abgeschoben. Seit dem Valentinstag weilt er in den Niederlanden, woher seine Ehefrau stammt. (flü)