Sanem, das größte Dorf im Süden

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SANEM – Die Polemik um "Eis Epicerie" bestimmt den Wahlkampf.

In der sechstgrößten Gemeinde Luxemburgs werden in diesem Jahr zwei Mandate mehr als 2011 vergeben. Die LSAP dürfte ihre solide Mehrheit behalten. Spannend könnte es aber
bei der Suche nach einem Koalitionspartner werden.

Im Vergleich zu den Nachbarstädten Esch/Alzette und Differdingen haben die vier Ortschaften der Gemeinde Sanem ihren dörflichen Charakter noch weitgehend behalten. In den 50er- und 60er-Jahren verzeichnete die flächenmäßig größte Südgemeinde regen Zuwachs. Arbeiter aus der Stahlindustrie, die es zu bescheidenem Wohlstand gebracht hatten, verließen die Städte und bauten sich hier ihr Eigenheim. Heute zählt die Gemeinde über 16.000 Einwohner. Mit der fortschreitenden Erschließung Belvals wird sie in den kommenden Jahren weiter wachsen.

Misstrauensvotum 1997

Jahrzehntelang war Sanem eine sozialistische Gemeinde. Erst 1997 musste die LSAP die Mehrheit nach einem Misstrauensvotum, dem Abgang mehrerer LSAP-Urgesteine (unter ihnen der langjährige Bürgermeister Metty Greisch) und anschließenden Neuwahlen an die CSV abgeben. Acht Jahre lang hielt die schwarz-grüne Koalition unter Bürgermeister Fred Sunnen.
2005 war es dann eine deutlich verjüngte LSAP-Mannschaft, die die Wahlen gewann und nun ihrerseits mit den Grünen eine Koalition einging. Als er am 1. Januar 2006 zum ersten Mal das Bürgermeisteramt antrat, war Georges Engel gerade einmal 37 Jahre alt.

Jos Piscitelli war damals schon 47. Er war kein Senkrechtstarter wie Engel. Anfang der 90er war er von der CSV zur LSAP gewechselt. 1993 wurde er Mitglied des Gemeinderats und ging vier Jahre später mit den Sozialisten in die Opposition, nachdem seine Parteikollegen ihm das Schöffenamt verwehrt hatten. Bei den Wahlen 2005 erzielte Piscitelli hinter Engel und Marco Goelhausen das drittbeste Resultat. Das Koalitionsabkommen sah vor, dass er 2009 das Schöffenamt von der grünen Dagmar Reuter-Angelsberg noch für zwei Jahre übernehmen durfte.

LSAP wieder im Rennen?

Bei den Wahlen 2011 konnte die LSAP der CSV, die ohne den 2014 verstorbenen Fred Sunnen ins Rennen ging, weitere zwei Sitze abnehmen. Georges Engel erhielt die meisten Stimmen und Jos Piscitelli musste Marco Goelhausen und Simone Asselborn-Bintz bei der Postenverteilung den Vortritt lassen.

Piscitelli wurde Fraktionssprecher der LSAP im Gemeinderat und erhielt sein soziales Engagement aufrecht. Als Präsident des „Office social“ gründete er vor drei Jahren zusammen mit Myriam Cecchetti, die im Oktober 2010 das grüne Schöffenamt von Robert Rings „geerbt“ hatte, das solidarwirtschaftliche Projekt „Eis Epicerie“. Im Juni 2015 wurde der Nachbarschaftsladen in einer Partnerschaft mit der Gemeinde und dem Sozialamt eröffnet. Ziel war es, regionale und biologisch angebaute Produkte zu verkaufen. Sozial Benachteiligte erhalten, wie in einer „Épicerie sociale“, Vergünstigungen beim Einkauf. Als Personal sollten auch unqualifizierte Arbeitnehmer beschäftigt werden.

Ein gemeinnütziger Verein, in dem jeweils ein Mitglied der im Gemeinderat vertretenen Fraktionen im Vorstand ist, übernahm die Verwaltung von „Eis Epicerie“, die die Gesellschaftsform einer Kooperative hat. Jos Piscitelli wurde Präsident der EcoSol-Sanem asbl., Myriam Cecchetti übernahm die Leitung der Kooperative EpiSol-Sanem S.C. In den beiden vergangenen Jahren erhielt das innovative Projekt mehrere Auszeichnungen, darunter auch den Bio-Agrar-Preis. Doch trotz ihres Erfolges wurde „Eis Epicerie“ in den vergangenen Monaten zum Zankapfel im Sanemer Gemeinderat.

Gönnten die Parteikollegen Piscitelli nicht den Erfolg?

Im Dezember 2016 hatte die LSAP, mit Unterstützung der Grünen, beschlossen, Jos Piscitelli im Vorstand des „Office social“ abzuwählen und ihn auch nicht mehr als Kandidat auf ihrer Wahlliste zuzulassen. Myriam Cecchetti hatte gegen seine Absetzung und damit auch gegen die Linie ihrer Partei gestimmt. Piscitelli selbst sprach damals von einem „Coup monté“ seiner Parteikollegen, die ihm den Erfolg des solidarwirtschaftlichen Projekts nicht gönnen wollten.

Daraufhin beschlossen der 59-jährige Piscitelli und die 51-jährige Cecchetti im Juni dieses Jahres, auf der Liste von „déi Lénk“ für die kommenden Gemeindewahlen zu kandidieren. Cecchetti weigerte sich trotz eines laufenden Parteiausschlussverfahrens, ihr Schöffenamt niederzulegen. Piscitelli wurde Mitte Juli aus der LSAP ausgeschlossen, blieb aber weiterhin im Gemeinderat.

„Der Laden läuft nicht gut“

„Der Laden läuft nicht gut. Er funktioniert nur dank hoher Investitionen der Gemeinde“, kommentierte der Bürgermeister und Abgeordnete Georges Engel die Angelegenheit gegenüber dem Tageblatt. „Wir helfen gerne dabei, die Karre aus dem Dreck zu ziehen, doch dann wollen wir auch ein Mitspracherecht. Wir haben eine Million Euro investiert“, meinte Engel weiter. Deshalb habe der Schöffenrat kürzlich mit der Asbl. eine Konvention unterzeichnet, die der Gemeindeführung u.a. ein Mitentscheidungsrecht bei Neueinstellungen gewährt. Im Sinne der Transparenz, wie der ehemalige Schöffe und Sektionspräsident von „déi gréng“, Robert Rings, betonte.

Der Vorstand der Asbl. sei kontinuierlich geschrumpft, das Geschäft sei ziemlich einseitig geführt worden, sagte Georges Engel. „Ich hatte Jos Piscitelli schon vor drei Jahren vergeblich darauf hingewiesen, dass das so nicht weitergehen kann.“

Neubauten in Zolwer

Nachdem Georges Engel in der letzten Gemeinderatssitzung angekündigt hatte, dass sich das Grundstück in Zolwer, auf dem das Gebäude der „Epicerie solidaire“ steht, laut einer Studie von 2009 gut dazu eigne, neue Gebäude zu errichten, befürchten die Oppositionsparteien nun, dass mit dem Abriss der alten Gebäude an der place de l’Indépendance auch das Ende der „Eis Epicerie“ eingeläutet werde.

Als Alternative plane der Schöffenrat einen „Cent-Buttek“, erklärte die Gemeinderätin von „déi Lénk“, Patrizia Arendt. Auch sei der Wochensatz für Sozialhilfeempfänger beim „Office social“ von 75 auf 60 Euro gesenkt worden, seit Jos Piscitelli nicht mehr Präsident sei, so Arendt.

CSV-Gemeinderätin Nathalie Morgenthaler kritisierte vor allem die neue Konvention: „Bei anderen gemeinnützigen Vereinen wie dem CIGL hat die Gemeinde auch kein Mitspracherecht. Ich verstehe nicht, wieso es bei der ‚Epicerie‘ anders sein soll. Ich vermute, es liegt daran, dass der Schöffenrat der Meinung ist, dass die ‚falschen Leute‘ im Vorstand sind“, monierte Morgenthaler, die zudem auf den solidarwirtschaftlichen Aspekt der „Epicerie“ verwies. Und auch die DP-Rätin Patricia Speck-Braun ist nicht mit dem Vorgehen des aktuellen Schöffenrats in dieser Angelegenheit einverstanden. Den CIGL finanziere die Gemeinde ja auch mit, ohne dass er Gewinn abwerfe.

Von einer geplanten Schließung will Georges Engel aber nichts wissen. Der Laden solle eher noch ausbaut werden, betonte Engel. Im Musiksaal über der „Epicerie“ könne man das Restaurant oder Depot einrichten. Allerdings brauche man dann einen neuen Musiksaal an anderer Stelle, bemerkte Engel.

Einigkeit beim „Contournement“

Traute Einigkeit herrscht im Sanemer Gemeinderat hingegen beim Widerstand gegen die geplante Umgehungsstraße von Käerjeng, die durch ein Natura- 2000-Gebiet auf Sanemer Territorium führen soll. Nachdem die Gemeinde Klage gegen die Regierungsentscheidung eingereicht hatte, stellte sie vor rund fünf Monaten im Rahmen einer Kampagne Alternativen für die Umgehungsstraße vor. Einig ist man sich allerdings auch, dass diese Alternativen, die sich hauptsächlich auf den Ausbau des öffentlichen Transports beziehen, nicht auf kommunaler, sondern nur auf nationaler Ebene umgesetzt werden können.
Demnach darf man gespannt sein, wie die einzelnen Parteien bei den kommenden Gemeindewahlen abschneiden werden. Am 8. Oktober werden wegen der gestiegenen Einwohnerzahl in Sanem zwei Sitze mehr vergeben als 2011. Der Gemeinderat wird von 15 auf 17 Mandate aufgestockt.

„déi gréng“, die seit 20 Jahren ununterbrochen als Juniorpartner mitregieren, könnten es schwer bekommen, einen Sitz hinzuzugewinnen. Sie durchlaufen zurzeit einen ähnlichen Erneuerungsprozess wie die LSAP vor 20 Jahren. Der langjährige Schöffe Robert Rings, der schon 1997 die Koalition mit Fred Sunnen besiegelt hatte, zog sich 2012 aus dem Gemeinderat zurück. Auch die einstige Schöffin Dagmar Reuter-Angelsberg trat 2015 von der lokalpolitischen Bühne ab und wurde von der Neuntgewählten Chantal Faber-Huberty im Gemeinderat abgelöst, nachdem Laura Pregno, Raphaël Lang, René Meyers und Pascale Gengler das Mandat nicht annahmen. Faber-Huberty ist mittlerweile Spitzenkandidatin.

Kein „Schwergewicht“ bei der CSV

Auch die CSV, die bei den letzten Wahlen zwei Sitze an die LSAP abgeben musste, hat sich trotz der engagierten Gemeinderätin Nathalie Morgenthaler personell nicht erheblich verstärkt und kann in Sanem auch kein erfahrenes „Schwergewicht“ aufbieten, wie sie es in anderen Gemeinden tut.

„déi Lénk“, die bislang nur über ein Mandat verfügt, könnte mit ihrem sozial-ökologischen Programm und dank der Verstärkung durch Jos Piscitelli und Myriam Cecchetti aber durchaus einen Achtungserfolg im rot-grün geprägten Sanem erzielen. Ob die LSAP, die voraussichtlich stärkste Fraktion bleiben wird, eine Koalition mit „déi Lénk“ eingehen wird, ist allerdings fraglich. „Neben programmatischen Überschneidungen sind in der Politik auch persönliche Beziehungen wichtig. Nach allem, was passiert ist, wird es für uns relativ schwer werden, mit ‚déi Lénk‘ eine gemeinsame Basis zu finden“, sagte LSAP-Spitzenkandidat Georges Engel.

„Déi Lénk“ selbst sieht sich indes durchaus imstande, Verantwortung zu übernehmen. Auch gemeinsam mit der LSAP. „In der Politik geht es nicht um Karrieren oder persönliche Gefühlszustände. Man muss einen Partner finden, mit dem man ein Programm für die Menschen mit den Menschen umsetzen kann“, sagte Patrizia Arendt.