Oxi und Europa

Oxi und Europa
(Alain Rischard/editpress)

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Mehr als 60 Prozent der Griechen haben sich gegen das Spardiktat der Gläubiger ausgesprochen. Nicht aber gegen Europa. Im Gegenteil.

Politiker wie EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hatten dem Referendum jedoch genau diese Deutung verpasst – und damit selbst am Hungertuch nagende und proeuropäische Griechen massiv unter Druck gesetzt.

Dhiraj Sabharwal dsabharwal@tageblatt.lu

Diese Instrumentalisierung des Referendums verdeutlichte den Widerspruch zwischen der Rhetorik vom sozialen Europa und der gelebten EU-Realpolitik. Oberstes Ziel sind derzeit lediglich Budgetkonsolidierung, Einsparungen und Strukturreformen. Maßnahmen, die zum Teil wohl nötig sind, in Griechenland aber zu einer höheren Arbeitslosigkeit und einer schrumpfenden Wirtschaftsleistung geführt haben. Von einer Verbesserung der Lebenssituation vieler Notleidender kann nicht die Rede sein: Teile Griechenlands durchleben gerade eine humanitäre Krise. Im Herzen Europas. Den Griechen zu unterstellen, sie hätten sich mit ihrem mächtigen Oxi gegen Europa gewendet, ist folglich verlogen, vereinfachend und widersprüchlich. Das Referendumsergebnis verdeutlicht lediglich, dass sich die griechische Bevölkerung mehrheitlich für ein wirklich soziales Europa entschieden hat. Ein Europa, in dem nicht nachgetreten, sondern die Hand gereicht wird. Ein Blick auf die Haltung innerhalb der Eurogruppe verdeutlicht jedoch, wie sehr wir uns von diesem solidarischen Europa entfernen.

Für die Eurogruppe ist nicht ihr eigenes, sondern das Agieren Athens widersprüchlich. Einerseits wolle sich die Syriza-Regierung nicht an die Spielregeln halten – sich zu Tode sparen und das ohnehin stagnierende Wachstum weiter abwürgen –, andererseits aber den Euro nicht verlassen. Selbst Sigmar Gabriel, deutscher Sozialdemokrat und SPD-Chef, leiert das konservative Mantra vom „substanziellen Angebot“, das Athen endlich liefern müsse, herunter. Angebote gab es bislang reichlich. Selbst Yanis Varoufakis ist gestern zum (un)freiwilligen Bauernopfer der Eurogruppe geworden: Niemand kann dem griechischen Premier Alexis Tsipras nach der politischen Opfergabe seines Finanzministers mangelnden Kooperationswillen vorwerfen.

Denn Tsipras und Varoufakis haben sich politisch in bester „good cop, bad cop“-Manier für ihre Überzeugungen eingesetzt und zumindest die europäische Öffentlichkeit für den gescheiterten EU-Austeritätskurs sensibilisiert. Bleibt zu hoffen, dass Varoufakis’ Nachfolger, Evklidis Tsakalotos, diplomatischere Töne als Varoufakis trifft, in der Sache jedoch mindestens genauso entschlossen und konsequent verhandelt. Die Politik der Rettungshilfen ist in Athen noch heftiger als in Spanien oder Portugal gescheitert. Das geforderte Tempo der Strukturreformen ist übertrieben, die verabreichte „Spar-Medizin“ toxisch. Ein teilweiser Schuldenschnitt für Griechenland scheint unausweichlich. Für seine Reformen braucht das Land, damit sie die Oligarchen treffen und nachhaltige Strukturen schaffen, schlicht mehr Zeit.

Der Ball liegt nicht nur bei den Griechen, sondern auch bei den Institutionen.

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