„Accident de parcours“

„Accident de parcours“
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Ein wegen sexuellen Missbrauchs angeklagter Pfarrer muss sich seit Dienstag vor der Kriminalkammer verantworten.

Bei einer viertägigen Pilgerfahrt nach Taizé soll es 2008 zu einem kurzen, aber regelmäßigen Missbrauch durch den Pfarrer Emile A., der heute in Belair amtiert, an einem damals 13-jährigen Schutzbefohlenen gekommen sein, für den er sich seit Dienstag vor der Kriminalkammer verantworten muss. Am Dienstag wurde das Video der ersten Vernehmung des jungen Mannes gezeigt, in dem er von dem Ausflug berichtete, bei dem nur noch ein Platz im Bett des Beschuldigten frei war. Er war der Jüngste der ganzen Pilgergesellschaft und zu diesem Zeitpunkt noch keine 14 Jahre alt. Der Mann habe ihm gesagt, er hätte ihn lieb.

Er habe nackt neben ihm gelegen und dann sei es zu gegenseitiger Masturbation und oralem Verkehr ohne Penetration gekommen. Es sei einfach so gekommen, meinte der Junge bei dem latent suggestiven Verhör, bei dem er immerhin schon 20 war und den moralischen Schaden besser einschätzen konnte. Bei einem zweiten Ausflug nach Rom zwei Jahre später habe er sich gewehrt. Er habe probiert, dem Mann aus dem Weg zu gehen und war mit seinen Freunden zusammen. Warum er schließlich zur Polizei ging, erklärte er mit Gesprächen zwischen seinen Freunden und dem Rat einer Lehrerin, es nicht länger zu verschweigen.

Selbstmordgedanken

„Ich fühle, dass etwas falsch gelaufen ist“, so das Opfer, das kurz danach an Schlafstörungen litt. Ein Schock war es nicht nur, weil es ein Mann war, sondern „sein“ Pfarrer. Er habe ihn nicht direkt dazu gezwungen, doch habe er allein seine Autorität dazu benutzt, nicht ohne sein Opfer davor zu warnen, irgendjemandem davon zu erzählen. Zwei Jahre nachdem er mit seinen Schulkameraden darüber gesprochen hatte, spielte er mit Selbstmordgedanken. Er verdrängte das Ganze und mit der Anzeige wollte er die Last der Erinnerung loswerden. Das sich seiner damaligen Unschuld bewusste Opfer sprach von Vergewaltigung, weil es ausgenutzt wurde.

Bis zum Verhör, also sieben Jahre nach den mutmaßlichen Fakten, habe er keine sexuellen Erfahrungen gemacht, weil das Ganze ihm immer noch im Hinterkopf herumgeisterte. Der Verteidiger des Opfers hielt darauf, dass die Vorsitzende dem jungen Mann in diesem heiklen Fall die Fragen stellt, um Streit mit der Gegenpartei zu vermeiden.

„Degoutéiert a rosen“

Das Opfer trat dann in den Zeugenstand und eröffnete seine Aussagen mit dem Hinweis auf seine – verständliche – Nervosität. Schon im Bus sei es damals zu ersten Intimitäten gekommen, indem der Pfarrer ihm die Hand auf die Schenkel legte, so das Opfer weiter.

Beim Besuch einer Kirche sei es zu einem flüchtigen Wangenkuss gekommen. In Taizé habe sich die Frage nicht gestellt, da er das Bett mit dem Pfarrer teilen musste. Auch in Rom habe er ihn angemacht. Bei den ersten sexuellen Handlungen sei er wie versteinert gewesen. Er sei in dem Alter äußerst scheu gewesen und traute sich nicht, Gegenwehr zu leisten. Während des Akts wurde nicht gesprochen, der Pfarrer führte ihn nur mit der Hand zu seinem Geschlechtsteil. Erst später habe ihm der Pfarrer gesagt, das könnte ihn den Job kosten. Da nach damaliger Gesetzlesage die Vorwürfe gegen den Pfarrer verjährt sind, wollte die Vorsitzende vom Opfer wissen, ob eine Nötigung vorlag, was der junge Mann aber nicht eindeutig bestätigen konnte. Es sei nur enttäuscht von diesem Autoritätsmissbrauch gewesen. „Ech war degoutéiert a rosen, well e sech ni bei mir entschëllegt huet.“

Ausflug nach Rom

Nach vier Jahren Schweigen habe er als Erster mit seinem Bruder darüber gesprochen. Dazwischen habe er sich als Schwuler geoutet, was ihn ziemlich aus der Bahn geworfen hatte. Der Verteidiger des Pfarrers wollte wissen, warum das Opfer im ersten Verhör aussagte, es sei auf seinen Mandanten zugegangen, als der nackt aus der Dusche kam, woran dieser sich nicht mehr genau erinnern konnte. Auch konnte er sich nicht erklären, warum sein Freund aussagte, er sei beim Sex immer einen Schritt voraus gewesen. Er sei mit den Messdienern nach Rom gefahren, um zu verhindern, seinen Eltern eine Erklärung für seine Weigerung zu geben. Nach Rochefort sei er mitgefahren, um seine Firmung nicht aufs Spiel zu setzen. Die Frage, warum er sich nicht gegen den Pfarrer gewehrt habe, ließ das Opfer unbeantwortet.

Es war dann der ehemalige Generalvikar Mathias Schiltz, der von der Verteidigung vorgeladen war und im Zeugenstand ein Loblied auf den Beschuldigten sang. Dieser sei auch nie in den Akten der kirchlichen Missbrauchs-Kommission aufgetaucht. Dass er bei der Klage gegen seinen Untergebenen aus allen Wolken fiel, könne er nicht bestätigen.

Brief an den Bischof

Die Vorsitzende wollte dann vom Zeugen wissen, ob die Aussage des Beschuldigten, der Pfarrer sei an das Zölibat, aber nicht an die Askese gebunden, mit dem kanonischen Recht zu vereinbaren ist. Der Zeuge antwortete darauf, dass er nichts von dieser Aussage wisse.

Er wusste auch nichts von einem Brief des Beschuldigten an den Bischof. Ob sich die Kirche um das Opfer gekümmert habe, wollte dessen Verteidiger wissen, worauf der Zeuge darauf hinwies, dass er zu der Zeit nicht mehr im Dienst war. Er habe zwar den Brief gesehen und meinte damals, dass die Unschuldsvermutung darin nicht gewahrt wurde. Dass er alles zugegeben hätte, schien dem Zeugen unwichtig.

Dieser plädierte dann für mildernde Umstände. Er sah das Ganze als „accident de parcours“ und bestätigte damit, dass die Römisch-katholische Kirche den Weg der Beratungsresistenz einfach nicht verlassen möchte. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.