Tageblatt: Was kann man sich unter maximaler medizinischer Kontrolle der Athleten vorstellen?
ADAMS
Das ADAMS (Anti-Doping Administration & Management System) wurde Mitte 2005 als Pilotprojekt eingeführt. Es ist ein Web-basierter, globaler Informations- und Management-Service, ein System zur Datenerfassung, Datensicherung und Datenweitergabe, das den Athleten, Verbänden und den Anti-Doping-Organisationen bei der Erfüllung ihrer Pflichten gemäß dem WADA-Code hilft. Aufenthaltsort und Trainingszeiten werden von den Sportlern selbst in ihr „Konto“ über das Internet eingetragen.Luxemburg: Die nationale Anti-Doping-Agentur ALAD beteiligt sich seit Ende 2006 an ADAMS. „Betroffen“ davon sind in Luxemburg die Sportler des COSL-Elitekaders sowie die Mitglieder der Elitesportler-Sektion der Armee.
Testzeitfenster: Die Athleten müssen für jeden Tag ein Testzeitfenster von 60′ angeben, wo sie von den Kontrolleuren aufgesucht werden können.
Andreas Gösele: „Wir haben nur ein Ziel: Unsere Athleten sollen gesund bleiben. Wenn sie krank werden, müssen wir versuchen, ihnen jederzeit zur Verfügung zu stehen. Verletzungen oder Krankheiten sind der Grundstein für Misserfolge.“
Wie sieht Ihr Alltag aus?
A.G.: „Ich bin als Chef für die Gesamtorganisation zuständig. Ich organisiere mit meinen Kollegen, wer wohin geht, und alle Belange mit der UCI. Die ganzen Untersuchungen, die wir brauchen. Ich bin auch der Ansprechpartner für die Teamleitung und mittelfristig für Projekte, wenn es um Bekleidung oder Ernährung geht.“
Kleidung?
A.G.: „Die wirkt sich jetzt nicht so sehr auf die Gesundheit der Fahrer aus. Sport unter bestimmten klimatischen Bedingungen ist nicht immer ganz gesund. An uns, dafür zu sorgen, dass unsere Athleten unter diesen Maximalbelastungen, wie z.B. Hitze, keinen Schaden davontragen bzw. dass die Adaptation so optimal ist, dass sie ihre volle Leistung entfalten können.“
Der alte Spruch „Sport ist keine Wissenschaft“, gilt der nicht mehr?
A.G.: „Nein. Im Gegenteil. Im Sport wird mit sehr viel Intellekt gearbeitet. Das ist die neue Generation.“
Ist es eine gesunde Generation?
A.G.: „Ich glaube, der Radsport hat sich in den letzten Jahren … Also ich erkläre mich: Ich komme aus der Leichtathletik, aus dem Bobsport, bin Leiter eines ‚Medical Centers‘. Meine Erfahrung als Arzt bei Swiss Olympic (Nationales Olympisches Komitee der Schweiz, d. Red.) und die Kenntnis der Bedürfnisse waren auch unheimlich viel mit intellektueller Arbeit verbunden. Wir haben bei Swiss Olympic viel Basisarbeit geleistet. Diese Arbeit ist zum Teil noch gar nicht im Radsport angekommen, wo man sich keine großen Gedanken gemacht hat. Es ist alles wissenschaftlicher geworden. Diese Aspekte versuchen wir zur Verfügung zu stellen.“
Der Radsport war in der Vergangenheit ja wissenschaftlich auf dem letzten Stand, was die Medizin betrifft.
A.G.: „Richtig, aber leider in die falsche Richtung. Die Medizin wurde missbraucht.“
Was unternehmen Sie, damit junge Radfahrer die Finger davon lassen?
A.G.: „Die jungen Radfahrer haben verstanden, um was es geht. Die wissen, dass die Nachweismethoden sehr genau und spezifisch sind. Die Maschen sind nicht mehr so groß und sie wissen, dass wenn man es heute nicht nachweisen kann, die Proben über mehrere Jahre aufbewahrt werden und auch nachkontrolliert werden können.“
Aber ist die Pharmaindustrie nicht schon so weit, alles Illegale verstecken zu können, sodass auch Nachkontrollen nichts bringen?
A.G.: „Das können wir Mediziner nicht beantworten. Die Idealvorstellung wäre, dass die Pharmaindustrie mit der WADA (Welt-Antidoping-Agentur, d. Red.) zusammenarbeitet und das Präparat, das missbraucht werden könnte, im Vorfeld zur Verfügung stellt, damit man entsprechende Nachweismethoden entwickeln kann. In der ganz frühen Phase, vielleicht schon bei Tierversuchen, wäre es denkbar, dass diese Produkte an die Doping-Labors geschickt werden.“
Das geht doch eigentlich nur, wenn die WADA der Pharmaindustrie mehr bezahlt, als es die Betrüger tun. Zwingen kann man sie nicht.
A.G.: „Nein, natürlich nicht. Ich weiß, dass es verschiedene Firmen schon praktizieren.“
Sie können keine 25 Athleten 24 Stunden am Tag kontrollieren und nicht jeder Athlet nimmt das auf, was Sie ihnen vermitteln. Sie sind Arzt, Leiter einer Klinik – da besteht das Risiko, seinen Ruf zu ruinieren. Geht man das einfach so ein?
A.G.: „Richtig. Ich und mein Team haben uns Gedanken gemacht. Macht es Sinn, im Radsport als Mediziner überhaupt noch tätig zu sein? Es ist eine Gewissensfrage. Von außen her betrachtet, ist es ein Spiel mit dem Feuer. Aber Sportmediziner ist mein Beruf. So wie der Pastor mit der Kirche und der Banker mit Geld umgeht, ist das mein Kerngeschäft. Da gehört auch der Radsport dazu. Wenn wir uns weder daran beteiligen, irgendwelche Handlungen zu vertuschen, noch uns daran beteiligen, irgendwelche Handlungen zu unterstützen oder zu vermitteln, so lange wir das garantieren können, müssen wir uns außer einem Imageschaden keine Sorgen machen. In der Vergangenheit haben nur die Ärzte Probleme bekommen, die auch wirklich beteiligt waren. Die sich nichts vorzuwerfen haben, sollen weiter in der Sportmedizin arbeiten, sonst öffnen wir den Markt für andere Leute. Damit es nicht zu Seilschaften kommt, betreut ein Arzt nicht immer die gleichen Athleten. Ich erwarte eine ‚distance professionelle‘. Sie gehen ja auch nicht abends mit Ihrem Hausarzt zur Party oder sind der Patenonkel. Der dritte Punkt ist, dass wir miteinander kommunizieren und sich niemand profilieren muss, nicht versuchen muss, der bessere Arzt zu sein.“
Was muss, darf und kann ein Radsportler zu sich nehmen?
A.G.: „Viel weniger, als Sie dürfen. Wir haben schlechtere Bedingungen als die Normalbevölkerung. Bei verschiedenen Erkrankungen dürfen wir verschiedene Medikamente, die gut wären, nicht einsetzen. Beispiel Ephedrin, das tut Ihnen bei Schnupfen gut. Bei den ganzen Zusatzmitteln, wie Multivitamin-Präparaten usw., haben wir versucht, mit Firmen Kooperationen abzuschließen. Wir benutzen z.B. eine ganz spezielle Milch fürs Müsli. Was es ist, will ich jetzt nicht sagen, um nicht auch anderen einen Vorteil zu verschaffen.“
„True racing“, Leopard-Trek, macht keine internen Kontrollen. Der richtige Weg?
A.G.: „Ja, absolut. Vor zwei Jahren haben viele Teams externe Spezialisten gehabt und haben interne Kontrollen gemacht. Was wollen diese Firmen? Wir haben den Blutpass, den gläsernen Athleten. Die werden über 30x pro Jahr kontrolliert und aus gesundheitlichen Aspekten gibt es weitere vier von der UCI geforderte Standarduntersuchungen. Da kommt ganz schön was zusammen. Fragen Sie die Teams, ob sie es immer noch machen. Ich weiß es nicht, glaube aber nicht. Wenn ich etwas finden würde, diese Untersuchung würde niemals in einem offiziell akkreditierten Kontrollinstitut stattfinden. Die dürfen das gar nicht. Aus gutem Grund: Die Institute wollen verhindern, dass verschiedene Leute ausprobieren, ob man etwas nachweisen kann. Das wäre ja mal ’ne gute Idee. Machen wir mal ein bisschen weniger, bis es klappt und man nichts mehr nachweisen kann.“
Befürworten Sie das ADAMS-Kontrollsystem?
A.G.: „Es bedeutet für die Athleten schon eine gewisse Belastung, aber vom Grundsatz her ist es der richtige Weg. Wenn Sie jeden Tag an einem gewissen Ort und zu einem gewissen Zeitpunkt verfügbar sein müssen, das bedeutet schon einen gewissen Einschnitt in Ihrem Leben. Und das nur, weil Sie Ihren Beruf als Rennfahrer ausüben. Ich sehe im Moment keine Sportart, wo das Kontrollsystem so ausgeklügelt und aufwendig ist wie beim Radsport.“
Warum werden bei der Schwimm-WM keine Blutkontrollen durchgeführt?
A.G.: „Keine Ahnung. Gute Frage.
Gab es bereits Kontrollen hier auf Mallorca?
A.G.: „Bis jetzt nicht. Aber die kommen noch, da bin ich ganz sicher.“
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