Anspruch und Realität

Anspruch und Realität
(Alain Rischard/editpress)

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Über einen sozialistischen Leitfaden

„Sozial, fortschrittlich, gerecht und solidarisch“ will er sein, der neue sozialistische Leitfaden (den wir in unserer gestrigen Ausgabe ausführlich vorstellten).

Und er ist es auch: Gespickt mit einer guten Portion Selbstkritik (Beispiele: „In den Augen vieler Bürgerinnen und Bürger hat sich die Politik zu weit von den Menschen und ihren Alltagssorgen entfernt“ oder „… die EU … zwingt EU-Staaten einen Spar- und Austeritätskurs mit verheerenden Folgen für die betroffenen Menschen auf“), zeigt der Leitfaden den Weg in jene Gesellschaft, die gerne als fortschrittlich und emanzipatorisch bezeichnet wird. Klare Analysen von Versäumnissen („Die LSAP muss ihr soziales Profil schärfen und zu einer klaren Linie finden; sie muss ihre Werte glaubhaft vermitteln und in die Praxis umsetzen“) sind da von einer sogenannten Resolutionskommission zu lesen, der neben Mitgliedern der Parteileitung, der Fraktion, Generalsekretär, Bezirken, „Femmes socialistes“, Jusos und Gemeindeforum auch die internen Parteikritiker aus der Gewerkschaftsszene angehören.

Ob das an die Mitglieder der Partei verteilte Papier nun die ultimative Antwort an die Kritiker sein soll oder ob die im Faden schlagwortartig als Gerechtigkeitspartei, Fortschrittspartei, Partei für Schutz und Wohl der Arbeiter, Partei des Sozialstaats und Partei der Freiheit und Sicherheit bezeichnete LSAP sich einen ernst gemeinten Zukunftskatalog zusammengestellt hat, wird die nahe Zukunft zeigen.

Jetzt gilt es wohl, die LSAP-Regierungsmitglieder, die nicht an der Ausarbeitung des Papiers beteiligt waren, von der Notwendigkeit der Umsetzung der hehren Ansprüche zu überzeugen. Sie sollten sich nicht in gewohnter Manier hinter Koalitionsräson oder sonstigen vermeintlichen realpolitischen Zwängen verstecken. Oder wie es im Vorwort vorsichtigerweise heißt: „Im Gegensatz zu Wahl- und Koalitionsprogrammen, die maßgeblich politische Vorhaben und konkrete Forderungen für die darauf folgende Legislaturperiode im Blick haben, hat der sozialistische Leitfaden den Anspruch, Parteimitgliedern und sozialistischen Entscheidungsträgern eine längerfristig ausgerichtete Anleitung mit klaren Richtlinien für ihr politisches Wirken anzubieten.“ Ob das Angebot denn nun angenommen wird, hängt demnach u.a. von den kurzfristigen Wahl- und Koalitionsprogrammen ab, meinen wir hier zu verstehen.

Und noch klarer: „Gleichzeitig geht es darum, das Profil einer verantwortungsbewussten linken Volkspartei nach außen hin zu schärfen, um verloren gegangenes Vertrauen durch das Aufzeigen von klaren Leitlinien und politischen Zielsetzungen zurückzugewinnen.“ Wie wäre es denn mit dem Zurückgewinnen verlorenen Vertrauens durch eine entsprechende Politik, statt durch politische Zielsetzungen? Nur so zur Erinnerung: Die LSAP ist Mitglied der Regierung, und das schon lange. Die Zeit der Zielsetzungen müsste eigentlich schon längst der Epoche der Umsetzung gewichen sein.

Doch immerhin: Wo ein (niedergeschriebener) Wille ist, dürfte auch ein (sozialistischer) Weg sein.