Die Mär der Zwei-Prozent-Wirtschaftsleistung

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Laut Duden bedeutet das Wörtchen Mär Folgendes: „Erzählung, seltsame Geschichte, unglaubwürdiger oder unwahrer Bericht“. Es trifft genau den Punkt in der schon seltsamen Geschichte, wie sich innerhalb des NATO-Bündnisses die Mitgliedstaaten mit einer Budgeterhöhung der Militärausgaben auf bis zu zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) hochschaukeln.

Von Raymond Becker, Ko-Initiator der „Friddens- a Solidaritéitsplattform Lëtzebuerg“

In Zeiten von Fake News oder dem Verbiegen von Wahrheiten ist es wichtiger denn je, einfach die Fakten mal zu hinterfragen.

Seit Mai 2017 anlässlich eines NATO-Gipfeltreffens in Brüssel mäkelt ein politisch unberechenbarer amerikanischer Präsident an seinen NATO-Partnern rum, sie sollten gefälligst die Abmachungen einer zukünftigen Militärpolitik, die im September 2014 in Wales beschlossen wurden, einhalten.

Für den amerikanischen Präsidenten wäre dies ein Beweis der Bündnistreue. Er übt unverhohlen Druck aus. Er ist der festen Überzeugung, dass alle Partner die Zwei-Prozent-Schwelle bis 2024 erreicht haben müssen.

Ist dem wirklich so? Eine Analyse von Peter Vonnahme (Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof i. R.) kommt zu einem anderen Schluss. Doch der Reihe nach.

Keine neue Vorgabe

Die Zwei-Prozent-Vorgabe ist so neu nicht. Die 29 Mitgliedstaaten dieses militärisch-politischen Bündnisses finanzieren ihr Funktionieren über Beiträge.

Diese Beiträge sind durch einen Verteilungsschlüssel festgelegt. Regelmäßig wird dieser Schlüssel, der sich an der Wirtschaftskraft eines Landes orientiert, untereinander neu verhandelt. 2006 einigten sich die Mitgliedstaaten der NATO auf die freiwillige Zielmarke, jährlich 2% ihres Bruttoinlandsproduktes für Militär und Rüstung auszugeben.

Dies war ein unverbindlicher Vorsatz.

Der damalige NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer sprach auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Jahr 2007 von einem „informal benchmark of two percent defence spending.“

Unter dem Eindruck der Ukraine-Krise haben die Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten bei dem Treffen in Wales zur zukünftigen Militärpolitik des Bündnisses Folgendes formuliert: „Wir werden von folgenden Überlegungen geleitet (’we are guided by the following considerations‘): Bündnispartner, deren Militärausgaben unter zwei Prozent ihres BIP liegen, werden

1. die Verteidigungsausgaben nicht weiter kürzen;

2. darauf abzielen, die realen Verteidigungsausgaben im Rahmen des BIP-Wachstums zu erhöhen;

3. darauf abzielen, sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von 2% zuzubewegen (’aim to move towards the 2% guideline within a decade‘).“

Die Sprache der Diplomatie

Wer die Sprache der Diplomatie etwas analysiert, merkt sehr schnell, dass ein „informal benchmark“ hier immer noch vorliegt. Man bestärkte den Willen der zwei Prozent, unterlegte ihn aber mit einem Zeitkorridor bis 2024. Die integrale Wales-Erklärung kann hier eingesehen werden.

Start des Militärsatelliten

Auch in Luxemburg wird nun so getan, als ob die zwei Prozent eine Verpflichtung wären. Beim Start des luxemburgischen Militärsatelliten im Januar dieses Jahres wird der zuständige Minister wie folgt zitiert: „(…) Luxemburg überhaupt einen Militärsatelliten in den Weltraum befördert, liegt daran, dass „wir unsere Verteidigungsausgaben erhöhen müssen. (…) Wir müssen solidarisch mit unseren Partnern sein und Verantwortung zeigen.“ Zurzeit gibt unser Land etwa 0,4 Prozent seiner Wirtschaftskraft an das Militärbündnis. Geplant ist bis 2020 einen Zielwert von 0,6 Prozent zu erreichen. Wie es dann bis 2024 weitergeht, steht im wahrsten Sinne des Wortes in den Sternen.

Peter Vonnahme kommt in seiner Analyse zum Schluss, dass seit jeher „Politik- und Rechtswissenschaftler sich einig sind, dass die Zwei-Prozent-Zielvorgabe der NATO keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet (…).“ Prozentvorgaben wie in der Abschlusserklärung von Wales seien eine politische Willensbekundung („non-binding requirement“, „gentlemen’s agreement“, „informal benchmark“). Sie enthielten jedoch keine bindende Verpflichtung der Mitgliedstaaten. Der Rechtswissenschaftler formuliert klar: „Diese Bewertung wird durch den Wortlaut der Waliser Erklärung gestützt. Dort ist nämlich nur von Überlegungen (’considerations‘) die Rede und davon, dass die Bündnispartner auf einen bestimmten ‚Richtwert (…) abzielen‘ (’aim to (…) guideline‘). Eine Textform, wie sie für bindende Verträge üblich ist (z.B. ‚Die Parteien verpflichten sich‘), fehlt vollkommen. Außerdem fehlen jegliche Regeln für den Fall der Nichteinhaltung von Abreden. Die Gipfelerklärung hat somit schon von der Sprachform her den Charakter einer bloßen Absichtserklärung.“

Das Zwei-Prozent-Muss ist nichts weiter als eine Mär, da kann ein amerikanischer Präsident wüten, wie er will. Wir sollten einfach aufhören, diese Kriegstreiberei weiter zu unterstützen. Es gilt, finanzielle Mittel freizustellen, um vertrauensbildende, deeskalierende Wege zu beschreiten.

 

Bistrot
14. Mai 2018 - 16.38

Kaufe ich Waffen im eigenen Lande (wie die USA das machen) erhöhe ich nicht nur die Verteidigungsausgaben, sondern subventioniere auch noch die Wirtschaft. Länder ohne große Waffenindustrie, wie Luxemburg, geben nur Geld aus, ohne eine Rückführung in die eigene Wirtschaft zu generieren. In diesem Sinne: zum Wohl Herr Trump. Die Europäer müssen ihre eigene Verteidigung aufbauen, wie sie ihre eigene Hightech-Industrie aufbauen sollten.