Bahnreform in Frankreich

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Der Streik der Bahnbediensteten in unserem Nachbarland sendet Schockwellen in alle Richtungen, findet Jean-Claude Thümmel in seinem Forumsbeitrag.

Die Gewerkschaften sehen sich bestätigt und die Politik versucht, den Eindruck zu vermitteln, sie suche nach Auswegen aus der Krise. Bietet Gespräche an und gibt sich kompromissbereit. Gleichzeitig wird natürlich versucht, die Gewerkschafts-/Streikfront zu schwächen.

Das ist bislang nicht gelungen. Denn es geht bei dieser Auseinandersetzung um weit mehr als die Frage des Statuts der heutigen und künftigen Bahn beschäftigten. Es geht um den grundlegenden Umbau des Kolosses SNCF. Und weil das nicht anders sein kann, gehen die Meinungen darüber wie das vonstattengehen soll, weit, sehr weit, auseinander.
Um die derzeitige Lage zu verstehen, muss man auf die Anfänge blicken. Der einstige Air-France-Boss Jean-Cyril Spinetta erhielt von der Regierung den Auftrag, das Unternehmen SNCF einer grundlegenden Analyse zu unterwerfen. Und einen Bericht mit entsprechenden Reformvorschlägen zu präsentieren.

Das tat er dann auch am 15. Februar 2018. Und was viele befürchtet hatten, das SNCF-Audit ist alles andere als beruhigend. Spinetta spricht von einer besorgniserregenden Lage des Schienentransportes ganz allgemein. Die Leistungsfähigkeit des Systems, so der Bericht, müsse dringend verbessert werden, um den drohenden Kollaps abzuwenden.
Jean-Cyril Spinetta beschreibt insgesamt 43 mögliche Auswege aus der Krise. Im Rahmen dieses Beitrages werden allerdings nur fünf zentrale Reformvorschläge, die allesamt riskieren das komplette bekannte Schienensystem SNCF über den Haufen zu werfen, behandelt.

Die Gruppe setzt sich heute aus drei Betrieben zusammen. Unter einem SNCF-Überbau befinden sich zwei weitere öffentliche Betriebe. „SNCF Réseau“, verantwortlich für das komplette Schienennetz, und „SNCF Mobilités“, welche für den gesamten Schienentransport verantwortlich zeichnet.

Die Risiken

„SNCF Réseau“ und „SNCF Mobilités“ sollen in Aktiengesellschaften umgewandelt werden. Für die einen hätte dies den Vorteil, dass der Staat als Mehrheitseigner oder sogar als alleiniger Aktionär den Daumen drauf hat. Und das vor allem, was die Finanzen anbelangt. Für die Gewerkschaften wird hier unschwer erkennbar der Privatisierung Tür und Tor geöffnet.

Eine Sorge, die man verstehen kann angesichts des Wildwuchses im liberalisierten europäischen Eisenbahnwesen. Eine Liberalisierung, die ihren Anfang mit der EU-Direktive 91/440 nahm und mit dem vierten Eisenbahnpaket ihren vorläufigen, wenn auch nicht wirklich ruhmreichen Höhepunkt verzeichnet. Der viel beschworene Paradigmenwechsel hat allerdings noch nicht stattgefunden.

Auch diese Tatsache mahnt zur Vorsicht, wenn Liberalisierung auf dem Menü steht. Und genau diese Erkenntnis hat sicherlich die französischen Eisenbahnbeschäftigten zum sehr entschlossenen Handeln bewegt. Und weil es anders gar nicht geht, steht im Spinetta-Bericht natürlich auch ein Passus zum Thema Rentabilität.

Der frühere Air-France-Boss schlägt vor, eine tiefgreifende Bestandsaufnahme in Sachen Nebenlinien zu starten. Immerhin würden diese „petites lignes“ 16 Prozent der Budgetmittel verschlingen, aber nur zwei Prozent des Passagieraufkommens generieren.
Rentabel geht anders! Der Rückzug aus der Fläche und die Abkoppelung ganzer Regionen könnten laut Spinetta die Lösung sein. Der – nennen wir ihn mal – „Universaldienst“ auf der Schiene würde also wenig nachhaltigen Rentabilitätskriterien ge opfert.

Damit würden in Frankreich die gleichen Fehler wiederholt, die anderorts schon gemacht wurden. Mit fatalen Folgen für die betroffene Bevölkerung. Öffentliche Daseinsvorsorge, eine leere Worthülse; Rentabilität und Performance das Gebot der Stunde, könnte das Fazit lauten. So was lockt nicht nur die Gewerkschaften aus derReserve.
Was die französischen Gewerkschaften aber sicherlich so richtig wild gemacht hat, ist die Frage ihres Statuts. Jean-Cyril Spinetta schlägt vor, das SNCF-Statut auf die momentan Beschäftigten zu beschränken. Die rund 150.000 Angestellten der SNCF haben aufgrund des oben genannten Statuts eine mit den Staatsbeamten vergleichbare Arbeitsplatz sicherheit, arbeiten 35 Stunden die Woche und gehen statistisch gesehen mit 57,5 Lebensjahren in Rente.

Und genau dieses Statut, das die Gewerkschaften in harten Auseinandersetzungen erkämpft haben, soll also jetzt der Rentabilität geopfert werden. Eine solch frontale Attacke auf ihren sozialen Besitzstand können die SNCF-Beschäftigten doch nicht einfach so akzeptieren? Oder? Es wäre ein Trugschluss, zu meinen, dass durch diese Spaltung der Belegschaften der Druck auf das Statut nachlassen würde. Im Gegenteil. Das gegeneinander Ausspielen von „privilegierten Alten“ und „weniger privilegierten Jungen“ hat überall dort, wo dieses System praktiziert wurde und wird, zu Missgunst und Entsolidarisierung geführt. Mit teilweise fatalen Folgen für die Beschäftigten. Inakzeptabel für Arbeitnehmervertretungen, die ihre Aufgabe ernst nehmen.

Der Spinetta-Bericht kommt, wie könnte es anders sein, auch auf das Thema „Öffnung der Eisenbahnmärkte“ zu sprechen. Das vierte Eisenbahn(liberalisierungs)paket sieht bekanntlich vor, dass die einzelnen EU-Staaten ihren jeweiligen Eisenbahnmarkt für die Konkurrenz öffnen müssen. Für die SNCF heißt dies ganz konkret, dass ab 2021 Konkurrenten um die Gunst der Passagiere buhlen dürfen. Ob es am Ende nur Gewinner geben wird, darf bezweifelt werden.

Liberalisierung

Das Herzstück des vierten Eisenbahnpakets ist bekanntlich die Neufassung des PSO-Reglements 1370/2007. Das genannte EU-Reglement sieht vor, dass alle EU-weiten Schienentransportleistungen in zu definierenden Dienstleistungsverträgen gebündelt werden. Und diese „Contrats de service public“ werden öffentlich ausgeschrieben.
Diese öffentlichen Ausschreibungen sind die Regel. Kleinere Länder wie beispielsweise Luxemburg können von einer Ausnahmeregel Gebrauch machen und auf eine sogenannte Direktvergabe, also ohne Ausschreibung, zurückgreifen.

Zur Ausschreibungsprozedur. Gesetzt den Fall, diese wird von „SNCF Mobilités“ gewonnen … oder auch einem Wettbewerber. Im ersten Fall ändert sich für die Beschäftigten wenig. Im zweiten Fall sieht das allerdings ganz anders aus. Diejenige Gesellschaft, die die Ausschreibung gewinnt, hat möglicherweise ihre Kosten tiefgerechnet, um ganz sicher den Zuschlag zu bekommen. Dieses Szenario ist gar nicht so weit hergeholt! Zum einen weil das Konkurrenzunternehmen nicht gezwungen ist, die jeweilige Belegschaft von der SNCF zu über nehmen. Zum zweiten weil aus Kostengründen auf billigere Leiharbeiter zurück gegriffen wird. Was dann auch noch ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellt.

Oder aber Teile der alteingesessenen Belegschaft erklären nicht, in das neue Unternehmen wechseln zu wollen. Diese müssten dann in einer anderen Region oder einem anderen Unternehmensbereich unterkommen. In einem Land dieser Größenordnung kann man sich ungefähr ausmalen, was es heißt, im Norden des Grand Est zu wohnen und gezwungen zu sein, einen Job im Midi anzunehmen. Unabhängig von dieser Tatsache ist nicht geklärt, zu welchen sozialen Bedingungen der Wettbewerber die Stammbelegschaft übernehmen kann oder muss.

Bei der Frage der enormen Schulden der SNCF, immerhin 45 Milliarden Euro im Jahr 2016, gehen die Meinungen auseinander. Fest steht, dass der französische Staat zumindest einen Teil dieser Schulden übernehmen muss. Und zwar komplett ohne Gegenleistung! Die finanziell schwierige Situation der SNCF sei schließlich das Ergebnis einer verfehlten Transportpolitik des Staates, meinen die Gewerkschaften.

Die französischen Gewerkschaften führen also nicht nur einen Kampf für den Erhalt ihrer sozialen Errungenschaften und für ihr Arbeitsinstrument Eisenbahn, sondern auch einen exemplarischen Kampf gegen ein neoliberales Modell, bei dem vor allem die Lohnabhängigen auf der Strecke bleiben.

Frank Bertemes
12. April 2018 - 11.34

Gutt Jacques a Claude ! De Claude beschreiwt d’Situatioun beschtens….Minus 9000 Kilometer Schinn, Strecken déi zougemaach ginn, sprich een Drëttel vum franséische Schinneréseau – Frankräich risquéiert den „désert ferroviaire“. A quoi bon ? A weem notzt dat ? Alles fir den TGV tëscht deene grousse franséische Metropolen als „Prestige“- Beweis ? Just nach d’Bedénge vun der mëttlerer Distanz? Do, wou Geld ka gemaach ginn ? Flott fir deen normale „client du rail“, deen da rëm dierf Bus fueren – souwäit däer iwwerhaapt een do ass oder awer, natierlech, (erëm) mam …Auto fueren ! Super, Här Macron! Sou mécht een dat, sou nennt een eng zukunftsorientéiert Verkéierspolitik am Sënn vun der neoliberaler EU-Commissioun –Objectif: Zerstéierung vun der SNCF! Mä d’Décisioun dréckt dee Super-President op d’Régiounen, mä déi brauchen natierlech och Geld fir den Entretien vum Netz – a besonnësch och fir déi manner befuere Linnen....Konsequenz? Een Débat national gëtt net fir näischt vu villen a Frankräich gefuerdert, wëssend, datt dee längst iwwerfälleg war, ass a wuel bleiwt! An datt d’SNCF als „patrimoine de la Nation“ den 1te Januar 1938 aus der Fusioun vu privaten, völleg endettéierten Gesellschaften „gebuer“ ginn ass, weess wuel kee méi…. Le „TOUT PRIVE“, sou wéi d’EU-Commissioun dat mat der Ouverture vun der Konkurrenz am Trafic Voyageurs gären hätt, als „Allheilmittel“? An dann natierlech dee bëllege Sozialnäid géint den Eisebunnerstatut….een anert Reizthema! Résumé: Do hu vill Leit villes NACH ëmmer net verstanen…. Privatiséierung vun ëffentlechen Déngschtleeschtungen…een absoluten Irrwee! Mon oeil… Frank Bertemes

Jacques Zeyen
12. April 2018 - 9.58

Genau Herr Thümmel, auf billigere Arbeiter zurückgreifen.So wir wir das auch bei den CFL erlebt haben.So wie wir das auf unseren Autobahnen sehen wo rumänische LKW's zahlreicher sind als einheimische. In einem großen Land wie Frankreich ist es fatal wenn Nebenstrecken geschlossen werden nur weil die Züge nicht vollbesetzt sind. Das ist nämlich "öffentlicher" Transport. Wenn abgelegene Städte und Dörfer keine Verbindung mehr zu den Großstädten haben sterben sie aus. In Frankreich werden alte Menschen,falls sie nicht noch mit 90 Jahren selbst Auto fahren,kostenaufwendig mit Privat-Taxis zum Arzt oder Spital gefahren.Auf Kosten der Kassen natürlich und zur Freude der Taxibetreiber. Wenn Militärausgaben in öffentlicher Hand liegen,dann sollte das auch für Bildung,Gesundheit und eben auch öffentlichen Transport gelten. Vive la France