Die Tötung der Musik durch Effekthascherei

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Alle reden von Lang Lang, so als ob das 21. Jahrhundert nun endlich auch seinen Franz Liszt habe. Der chinesische Pianist als Superstar, na ja, aber als Musiker? Gut, einmal sollte man ihn „live“ erlebt haben. Das genügt dann aber vollkommen.

Beginnen wir mit der 2. Zugabe zum Konzert in der Philharmonie vom 2. Oktober: „La Campanella“ von Liszt, vor einem Saal, der völlig aus dem Häuschen geraten zu sein schien: Ovationen, Pfiffe, hysterische Schreie. Wie bei einem Popstar à la mode. Und mehr als das ist Lang Lang auch nicht … Oder doch? Man erahnt kaum noch, dass er tatsächlich schier unglaubliche technisch-pianistische Fähigkeiten hat. Die legte er rücksichtslos in diesem berühmten Virtuosenstück von Liszt – nach Paganini – bloß: Um der Musik willen? Nein, Buddha bewahre! Um seiner selbst willen. Exzessivität bis zum Gehtnichtmehr.

Das klirrt und plärrt, das schnarrt und rattert, das seufzt und stöhnt. Dabei schließt der Showmann dann die Augen, so als ob er verzückt in eine andere Welt hineintauchte, oder aber er stiert in den Saal, so als wollte er sagen: Seht nur, was ich kann, ich, ich, ich! Und den gutgläubigen, geblufften Hörern stockt der Atem, und sie antworten genauso verzückt: Ja, ja, ja! Was aber bleibt auf der Strecke? Die Musik. Die wird zugedeckt, schlimmer: getötet, durch Lang Langs Manieriertheit und seine schamlos ausgenutzte Effekthascherei, die die Klänge ihres Gehalts und die Musiksequenzen ihres Inhalts entleeren.

„Duracell-Hase“

Und dann erst Griegs wunderbares Klavierkonzert, das in seiner Musikalität die ganze Weite und Schönheit der norwegischen Landschaft trägt. Doch das ist eine herbe, wie in den Himmel hineingemeißelte Landschaft, und nicht die hier vorgelegte Mischung aus falschem Pathos, raunenden Akkorden und zusammenhanglosen Tonreihen. Dabei triefte im Adagio und im Andante maestoso das Schmalz nur so zwischen den Tasten herunter.

Und immer wieder diese exzentrischen Gesten: die unbeschäftigte Hand auf dem Knie oder nach außen schwingend, die künstliche Hohlkreuzhaltung, der nach hinten geworfene Kopf, die geschlossenen Augen, die der chinesische Pianist, dieses pure Marketing-Produkt, dann mit einem Aufschlag zur Decke wieder öffnet, um zu kontrollieren, ob er das Publikum noch immer an sich gefesselt hat und ob dieses schon bereit ist zur herausgeforderten Ovation. Armer Grieg, armer Daniel Harding, armes Concertgebouw Orkest: Da konnte einfach kein Zusammen-Spiel entstehen. Da versuchten hochrangige Musiker nur noch irgendwie mit diesem „Duracell-Hasen“ (Remy Franck) Schritt zu halten.

Entfesselter Beethoven

Welche Klangschönheit, Spielfreude, Kunst des Zusammenspiels bei einem solchen Orchester jedoch möglich sind, zeigte die Interpretation der 3. Symphonie, der „Eroica“, von Beethoven.

Zwar ging sie Daniel Harding, meinem Geschmack nach, zu rasch, zu emphatisch an, so dass mehr als einmal das Wechselspiel der Instrumente nicht den großen Atem hatte, den es haben müsste. Dennoch, die gewaltige Dynamik, die Entladung von Klangkraft und instrumentaler Schönheit sowie die Sensibilität des solistischen Spiels schufen großartige Musik. Ihr verlieh Daniel Harding dank seiner Akkuratesse und seines inneren Feuers die Intensität, die Beethovens Musik zum einmaligen Energiespender macht.