Streit um Streitkräfte: Kosovos Parlament stimmt für eigene Armee

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Kosovo erhält eine eigene Armee. Gegen den Rat der NATO und vieler EU-Partner, aber mit Unterstützung der USA hat das Parlament für die Umwandlung der Sicherheitskräfte zu Streitkräften gestimmt. Die gespannte Beziehung zum empörten Serbien ist auf einen neuen Tiefpunkt gesackt: Die EU scheint in ihrem Wartesaal zunehmend die Kontrolle zu verlieren.

Von unserem Korrespondenten Thomas Roser, Belgrad/Pristina

Über die holprigen Straßen rumpelndes Kriegsgerät kündigte in Europas Armenhaus Kosovos militärische Zeitenwende an. Schon am Vorabend der Abstimmung über die Umwandlung der bisherigen Sicherheits- zu den künftigen Streitkräften war die internationale Schutztruppe KFOR aus Furcht vor neuen Spannungen mit einer Kolonne von 70 Panzerfahrzeugen in den serbisch besiedelten Nordkosovo eingerollt. Ohne Zwischenfall ging derweil am gestrigen Freitag im Parlament das umstrittene Votum über die Bühne.
Beifallsumtost stimmten 106 der 120 Abgeordneten für das Gesetzpaket, das den Weg zu einer eigenen Armee unter Umgehung der dafür eigentlich notwendigen Verfassungsänderung freimacht. „Von jetzt an haben wir offiziell eine Kosovo-Armee!“, jubilierte nach der Abstimmung freudig der Parlamentsvorsitzende Kadri Veselli.
Zwar ist geplant, die Mannschaftsstärke der leicht bewaffneten Sicherheitskräfte von derzeit 2.200 auf 5.000 Soldaten zu erhöhen. Doch die Umwandlung in eine schlagkräftige Armee wird nicht nur aus logistischen, sondern auch aus finanziellen Gründen einige Jahre erfordern: Zu einer schnelleren Aufrüstung fehlen dem bitterarmen Balkanstaat einfach die Mittel.

Die zehn Minderheitsabgeordneten der Serbischen Liste waren dem Parlament am gestrigen Freitag dennoch aus Protest und auf Geheiß Belgrads ferngeblieben.
Die Schaffung einer Kosovo-Armee stehe „im völligen Gegensatz“ zu allen internationalen Abkommen, klagte Serbiens allgewaltiger Präsident Aleksandar Vucic.

Labile Nachbarschaftsehe

Die „Terroristen“ hätten die „sogenannte Kosovo-Armee“ nur geschaffen, „um Serbien und die Serben anzugreifen“, wetterte Verteidigungsminister Aleksandar Vulin: „Doch unsere Bürger können beruhigt sein: Sie haben die absolute Unterstützung unserer Armee und unseres Präsidenten.“

Nicht nur zahlreiche EU-Partner, sondern auch die NATO hatte Pristina von der von den USA und Großbritannien unterstützten Umwandlung der Sicherheitskräfte in eine Armee zum derzeitigen Zeitpunkt ausdrücklich abgeraten. Er bedauere, dass die Entscheidung trotz der von der NATO vorgebrachten Sorgen getroffen worden sei, erklärte in einer ersten Twitter-Reaktion NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg: „Alle Seiten müssen sicherstellen, dass die heutige Entscheidung die Spannungen in der Region nicht noch weiter erhöhen.“

Tatsächlich ist in der labilen Nachbarschaftsehe nicht mehr das von Brüssel forcierte Bemühen um einen Ausgleich, sondern wieder einmal unversöhnlicher Grabenkrieg angesagt. Der EU, die bis vor kurzem noch auf ein rechtlich bindendes Nachbarschaftsabkommen hoffte, scheint die Kontrolle in ihrem Wartesaal zusehends zu entgleiten.

Erst verhinderte Belgrad mit einer Lobby-Kampagne im November die eigentlich wünschenswerte Aufnahme des Staatenneulings in die internationale Polizei-Organisation Interpol. Dann verhängte Pristina zum Ärger Belgrads 100-prozentige Einfuhrsteuern auf serbische Importe.

Die EU-Appelle zur Rücknahme der gegen das Freihandelsabkommen CEFTA verstoßenden Strafzölle stoßen in Pristina bisher auf taube Ohren. Nach dem erneuten Aufschub der mehrfach zugesagten Aufhebung der Visapflicht bei Einreisen ins Schengen-Reich trotz Erfüllung aller technischen Bedingungen hat die EU in den Augen vieler Kosovaren völlig an Glaubwürdigkeit verloren.

Ohne überzeugende Köder hat Brüssel gegenüber dem noch Lichtjahre von der EU entfernten Kosovo kaum Druckmittel in der Hand. Über Serbien ist Pristina verärgert, von der EU derzeit vor allem enttäuscht. Verstärkt scheint sich der Kosovo wieder in Richtung USA zu orientieren: Auffallend zahlreich waren am Tag der Armee-Gründung US-Flaggen gehisst.