Erkundungstour in Berlin

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Der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire begibt sich auf Erkundungstour nach Berlin. Vordergründig tritt er auf einem deutsch-französischen Business-Forum auf, das von den Wirtschafts-Tageszeitungen Handelsblatt und Les Echos veranstaltet wird.

Nach einem zweistündigen Auftritt bei dem Forum wird Le Maire den Nachmittag und den Abend mit Vertretern der deutschen Politik verbringen. Mit dabei sein werden Christian Lindner, FPD-Parteivorsitzender und -Verhandlungsführer in den Koalitionsverhandlungen, und Kanzleramtsminister Peter Altmeier. Der gebürtige Saarländer, derzeit geschäftsführender Finanzminister, ist ausgewiesener Frankreich-Kenner.

Le Maire wird sich 90 Minuten mit dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) unterhalten. Die deutsche Wirtschaft ist verärgert über die europäische Einigung zu einer neuen Entsenderichtlinie – sie wird als bürokratisch und protektionistisch empfunden und die Begrenzung auf 12 Monate als Behinderung. Ingenieure, die für Projekte ins Ausland reisen, brauchen in der Regel mehr Zeit als ein Jahr. Eine Integrationsarbeit wie im Falle Siemens-Alstom ist mit der neuen Regelung – auf französische Wünsche zurückgehend – nicht möglich. Die interregionale Arbeit in Grenzräumen wie Deutschland-Luxemburg oder  Saarland-Lothringen wird für Handwerker erheblich erschwert.

Eurozonen-Parlament mit eigenem Budget

Zwei Stunden nimmt sich der Präsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Schäuble, für ein Gespräch mit dem französischen Wirtschafts- und Finanzminister. In der politischen Hierarchie in Deutschland ist Schäuble die Nummer zwei hinter dem Staatspräsidenten. Der deutsche Bundestag ist das mächtigste Parlament in der Eurozone. Von ihm hängt ab, inwieweit Deutschland den Europa-Vorstellungen Frankreichs folgen kann.

Staatspräsident Macron will die Eurozone vernetzen und wünscht sich ein Eurozonen-Parlament mit einem eigenen Budget. In Berlin stoßen diese Vorstellungen hingegen eher auf Zurückhaltung. Christian Lindner hat dazu eine eigene Vorstellung: „Es wird nicht gehen, dass wir deutsche Steuermittel zur Bezahlung französischer Beamten zur Verfügung stellen.“ Lindner wird in einer möglichen „Jamaika“-Regierung mit den Liberalen und den Grünen, denen Le Maire ebenfalls 90 Minuten widmet, als möglicher Finanzminister gehandelt. Der Finanzminister hat traditionell in der deutschen Regierung bei Ausgaben ein Vetorecht. Die Gespräche mit Lindner, Schäuble und dem BDI-Präsidenten haben noch einen anderen Hintergrund. Deutschland und Frankreich wollen die Keimzelle für eine europäische Basis-Besteuerung der Unternehmen werden.

Die Unternehmenssteuer liegt in Frankreich für den Zentralstaat bei 33,3 Prozent, in Deutschland bei 29 Prozent. Hinzu kommen lokale Steuern. Macron hat angekündigt, im Laufe seines Mandates als Staatspräsident die Unternehmenssteuer auf 25 Prozent für den Zentralstaat zu senken – künftig möglicherweise eine Leitlinie für Europa.

Luxemburg ist allerdings gerade auf einer anderen Linie. Hier liegt die Unternehmenssteuer im zu Ende gehenden Jahr bei 19 Prozent und soll im kommenden Jahr für den Zentralstaat auf 18 Prozent sinken. Luxemburg wird daher – zusammen mit Malta, Zypern, Irland und den Niederlanden – zu den Ländern gehören, die sich mit diesem deutsch-französischen Steuerprojekt auseinandersetzen müssen. Le Maire wird in Berlin erkunden, wie die Haltung der zukünftigen Regierungspolitiker zu diesen Fragen ist. Als Kundschafter ist er in Berlin geradezu ideal. Er spricht perfekt deutsch und verfügt über eigene Netzwerke in der deutschen Wirtschaft und Politik.