Die Trauer machte sie zu Brüdern: „Combatants for Peace“ streben gewaltfrei nach Friedenslösung

Die Trauer machte sie zu Brüdern: „Combatants for Peace“ streben gewaltfrei nach Friedenslösung

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Zwei Männer, zwei Welten, ein Schicksal: Rami und Bassam haben beide ihre Tochter durch einen Angriff der Gegenseite verloren. Gemeinsam kämpfen sie nun für Frieden im Nahen Osten. Das Tageblatt hat sie vergangene Woche getroffen.

Von Michelle Schmit

Für ihren Aufenthalt in Luxemburg sind sie bei Freunden untergekommen. Rami wartet bereits im Wohnzimmer und bemerkt: „Bassam kommt gleich, der alte Mann ist ziemlich erschöpft.“

Im gleichen Augenblick betritt Bassam den Raum und tut so, als wolle er Rami schlagen. Beide lachen. Sie kennen sich nun bereits seit 13 Jahren. Auf die Frage, wie sie sich kennengelernt haben, antwortet Rami scherzhaft: „Es war ein schöner, sonniger Tag, die Vögel zwitscherten …“

Rami Elhanan ist Israeli, Bassam Aramin Palästinenser. Sie leben beide mit ihren Familien in Jerusalem. 2005 gründete Bassam gemeinsam mit Ramis ältestem Sohn die Organisation „Combatants for Peace„, welche 2017 für den Friedensnobelpreis nominiert wurde. Dort treffen sich Palästinenser und Israelis, die durch gewaltlosen Widerstand eine friedliche Lösung für die Region finden wollen.

Als Rami das erste Mal bei einer Versammlung der NGO dabei war, lernten sich die beiden kennen. „Es war Liebe auf den ersten Blick. Meine Frau beschwert sich ständig, dass ich Bassam lieber habe als sie“, lacht Rami und schlägt Bassam freundschaftlich aufs Bein.

Versöhnung statt Rache

„Wir wurden Freunde, obwohl wir Feinde sein müssten“, erzählt Bassam. Ihre tragische Geschichte verbindet sie. Ramis 14-jährige Tochter Smadar wurde 1997 von einem Mitglied der Hamas bei einem Selbstmordattentat in den Tod gerissen. Bassams Tochter Abir wurde 2007, im Alter von 10 Jahren, von einem israelischen Soldaten auf dem Nachhauseweg erschossen.

Rami und Bassam haben die Kraft, die aus diesem unglaublichen Schmerz entstanden ist, nicht dafür genutzt, um Rache zu nehmen, sondern um ihre Mitmenschen darauf aufmerksam zu machen, dass es so nicht weitergehen kann.

Seit ihrem ersten Treffen 2005 sind die beiden unzertrennlich und kämpfen gemeinsam dafür, dass keine weiteren Kinder in der Region ihr Leben verlieren. Die Grundvoraussetzung für eine politische Lösung im Nahen Osten ist für sie ganz klar der Dialog.

Für Rami war es 2005 das erste Mal, dass er überhaupt mit Palästinensern geredet hat. Er gibt zu, sie vorher nicht als Menschen anerkannt zu haben. Als er jedoch an jenem Tag bei „Combatants for peace“ die persönlichen Leidensgeschichten von palästinensischen Familien hörte, erwachte er aus seiner Blase. „Ich war selbst Opfer der Gehirnwäsche, die wir Israelis bereits in der Schule verpasst bekommen. Wenn du aber plötzlich die Menschlichkeit deines Feindes erkennst, verändert sich einfach alles.“

Durch seine Freundschaft zu Bassam hat er einige seiner alten Freunde verloren, jedoch fiel es ihm leichter, sie gehen zu lassen, als auf Bassam zu verzichten.
„Ich habe Freunde verloren und bekam dafür eine Familie. Wir stehen uns sehr nah. Die Aramins kommen zu uns zum Essen und umgekehrt.“ Bassam sieht ihn anerkennend an und bemerkt scherzhaft: „Aber unser Essen schmeckt besser als ihres.“

Gemeinsam reisen sie seit zehn Jahren durch die Welt

Rami und Bassam reisen seit mehr als zehn Jahren gemeinsam durch die Welt, um ihre Message zu verbreiten: Das Töten im Nahen Osten wird erst aufhören, wenn beide Parteien anfangen, einander zu respektieren und miteinander zu reden. Sie haben den ultimativen Preis des Konflikts gezahlt, indem sie ihr Kind verloren haben.

Sie erzählen ihre Geschichten in israelischen und palästinensischen Schulen. Oft ist das Feedback jedoch ernüchternd. „Wir halten den Menschen einen Spiegel vor, den sie verständlicherweise nicht sehen wollen, denn das Bild, das sich ihnen dort bietet, ist voller Hass“, erzählt Rami. Sie wissen, dass sie die Ansichten der Palästinenser und der Israelis nicht von heute auf morgen ändern können. Zu viel ist passiert. Es geht ihnen lediglich darum, Zweifel zu schaffen, ob Gewalt der einzige Weg ist.

Sie wollen Risse in die Mauer des Hasses schlagen, damit Licht durchdringen kann. „Manchmal erkennen wir, dass Schüler uns am Ende des Vortrags anders ansehen. Sogar wenn nur ein einziger Schüler aufgrund unserer persönlichen Geschichten anders denkt, haben wir unser Ziel erreicht. Denn das heißt, wir haben das Vergießen weiteren Bluts verhindert“, sagt Bassam ernst.

Beide Völker müssen nebeneinander leben

Die zwei Männer teilen die Ansicht, dass die einzige politische Lösung darin besteht, dass die beiden Völker nebeneinander leben. Ob das nun in einem, in zwei oder in fünf Staaten ist, sei egal. „Palästina muss ein unabhängiger, demokratischer Staat sein. Die Palästinenser müssen frei sein, damit die Israelis in Sicherheit leben können. Und die Israelis müssen sicher sein, damit die Palästinenser frei sein können“, erklärt Bassam.
Gegen Unterdrückung und Demütigung

Mit ihren Reisen ins Ausland wollen sie Unterstützung für ihren gewaltlosen Widerstand bekommen. Die Situation im Nahen Osten gehe nicht nur die Palästinenser und die Israelis etwas an, sondern die ganze Welt. „Wir sind alle miteinander verbunden. Wir müssen uns gegenseitig helfen und die Werte der Humanität schützen“, meint Bassam. Rami fügt hinzu, dass sie nicht wollen, dass wir ihren Konflikt importieren.

„Als meine Großeltern vor 75 Jahren in Auschwitz zu den Öfen gebracht wurden, sah die zivilisierte Welt zu. Und jetzt, wo sich unsere beiden Nationen massakrieren, schaut ebenfalls jeder nur zu. Wir wollen nicht, dass ihr pro Israel oder pro Palästina seid, das hilft uns kein bisschen. Wir wollen, dass ihr pro Frieden seid, gegen Ungerechtigkeit und somit gegen die Okkupation, die Unterdrückung und Demütigung eines Volkes durch das andere. Denn eins sei ganz klar gesagt, und das von einem Juden: Über ein anderes Volk zu herrschen, es zu unterdrücken und zu demütigen, ist nicht jüdisch. Sowie dagegen zu sein, nicht antisemitisch ist!“