Der Busfahrer mit dem großen Herz: Michel Bouzid (67) will Menschen in Marokko helfen

Der Busfahrer mit dem großen Herz: Michel Bouzid (67) will Menschen in Marokko helfen

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„Die Presse?“ Ach nein, ein Interview sei seine Geschichte nicht wert, sagt Michel Bouzid (67) am anderen Ende der Telefonleitung. Er sei außerdem sehr schüchtern. Es kostet Überredung, den Busfahrer, der eigentlich in Rente ist, doch zu einem Gespräch zu bewegen. Immerhin ist das, was er gerade macht, ein echtes Abenteuer. Ein Jahr nach der Pension ist er wieder hinter das Steuer geklettert, um Menschen in Marokko zu helfen.

Michel Bouzid reist für sein Leben gerne. Das Gefühl, unterwegs zu sein, treibt ihn an. Wahrscheinlich war die Berufswahl, als Busfahrer Touristen durch die Welt zu kutschieren, unausweichlich. So unausweichlich wie das, was er jetzt macht. Das Wohnmobil, in dem er während der Woche in Longwy lebt, ist mit Wüstenmotiven aus Sand, Kamelen und Oasen verziert. Er hat es gebraucht gekauft und es passt zu ihm. „Ich habe die arabische und die europäische Kultur in mir“, sagt das Kind eines Marokkaners und einer Belgierin. Er selbst hat die französische Staatsbürgerschaft. Seine ersten acht Lebensjahre verbringt er in Fes in Marokko bei den Großeltern, den Rest seiner Jugend lebt er in Brüssel. Nach Marokko zieht es ihn nach seinem Renteneintritt im Juni 2018 zurück.

Das 3.300 Kilometer entfernte Tiznit, südlich von Agadir, ist die Stadt seiner Wahl. Es ist eine Empfehlung. Die Menschen dort seien so freundlich und herzlich, hat man ihm erzählt. Er will auf den Camping „Tinbar“ mit den vielen Campingcarplätzen. Dort steigen in den Wintermonaten viele Europäer ab, deren Rente in der Heimat nicht zum Leben reicht. „Ungefähr 8 Euro kostet ein Platz pro Tag mit Elektrizität und ein Brot kostet dort umgerechnet noch nicht mal 10 Cent“, erzählt Michel Bouzid.

Der erste gemeinsame Urlaub

Es ist der erste gemeinsame Urlaub mit seiner Frau, auch eine Busfahrerin, den sie ohne Touristen im Gefolge miteinander verbringen wollen. Zwei Marokkaner managen den Platz. Dem einen von ihnen, er heißt Nordine und ist 41 Jahre alt, sagt Bouzid, fehlen viele Zähne im Mund. „Das geht doch nicht, wenn man mit Touristen zu tun hat“, sagt Michel, der sein ganzes Leben im Dienstleistungsgewerbe gearbeitet hat. Dem Marokkaner, der den Platz in Schuss hält, fehlt das Geld für den Zahnersatz. Es wird nicht die erste Erfahrung mit der Armut bleiben. Auf einem Spaziergang durch das Viertel „Source bleue“ in Tiznit werden die Bouzids zum alljährlichen Fest des Stadtteils eingeladen. Sie verbringen einen schönen Abend. Bei der Gelegenheit erzählen die Bewohner ihm von einem Problem. Es gibt keine Mülltonnen. Niemand weiß, wohin mit dem Abfall. „Ich kann so etwas nicht mit ansehen“, sagt Michel. Schon auf dem Weg zurück ins lothringische Saint-Avold, wo er nach 17 Jahren als Busfahrer in Luxemburg hinzieht, reift ein Plan in ihm. Das Busunternehmen, das ihn in Luxemburg zuletzt beschäftigt hat, hatte ihm angeboten, trotz Rente noch ein Jahr weiterzuarbeiten. Damals lehnt er ab. Jetzt will er es machen – für den guten Zweck.
Er fängt wieder an, zu fahren

Seine ehemaligen Chefs willigen ein und stellen ihn wieder ein. So wie sie ihn schon damals, 2002, problemlos genommen haben. Bouzid hat Tausende gefahrene Kilometer vorzuweisen. Angefangen hat er seine Karriere als Zeitungsbote für La Dernière Heure in Brüssel – damals noch mit dem Lieferwagen. Später fährt er große Doppeldeckerbusse voller Touristen für französische und belgische Reiseveranstalter. Saudi-Arabien, Russland, Ägypten, Griechenland, Italien, Frankreich, Deutschland, London … Als er beim Einstellungsgespräch in Luxemburg seinen Pass mit den vielen Stempeln und Visa zeigt, hat er den Job. Das Längste waren 49 Tage, die er ohne Unterbrechung auf einem Europatrip unterwegs ist. Er bringt Touristen von Paris mit zahlreichen Zwischenstopps nach Italien und wieder zurück. Während der Ruhezeiten bis zur Rückfahrt schaut er sich die Städte an. „Ich kenne Rom besser als Metz“, sagt er. 1990 bringt er Pilger nach Mekka und ist 33 Tage am Stück unterwegs. „Mich interessieren andere Kulturen“, sagt Bouzid. In Tiznit lernt er die Kultur der Berber, die dort leben, kennen und sieht die Empfehlung bestätigt. „Sie haben ein Herz – enorm“, sagt er. Aber immer wieder begegnet ihm auch die andere Seite, die allgegenwärtige Armut. „Als ich mir im Urlaub meine Brille habe richten lassen, hat mir die Optikerin erzählt, sie verdiene 100 Euro im Monat“, sagt er, „sie hat nicht das Geld, um den Führerschein zu machen.“

All das lässt ihn nicht in Ruhe. An einem Tag im April dieses Jahres sitzt er zum ersten Mal wieder hinter dem Steuer der Linie 321 zwischen Villerupt und Luxemburg. Er wird das noch bis November tun, um die Hälfte des Verdienstes den Einwohnern von „Source bleue“ für Mülltonnen zu spenden. Und um für den Zahnersatz des Campingwächters aufzukommen. „Ich werde den Campingmanagern auch warme Jacken kaufen, sie haben keine ordentlichen“, sagt Bouzid. Er legt einen Stofffetzen mit dem gestickten Logo des Campings auf den Tisch. „Das kommt drauf“, sagt er, der immer perfekt gekleidet in weißem Hemd mit dem Logo seines Arbeitgebers und mit gebundener Krawatte über der Stoffhose zur Arbeit erscheint. Wenn er über sein Leben als Busfahrer spricht, wird eines schnell klar: Bouzid liebt seinen Beruf. „Ich habe ein so schönes Arbeitsleben gehabt, es ist fast zu schnell vorbeigegangen“, sagt er. Vor allem auf seinen letzten Arbeitgeber in Luxemburg lässt er gar nichts kommen. „Das sind tolle Leute“, sagt er.

Trotzdem wird es bei diesem Einsatz bleiben, denn er nimmt viel auf sich. „Es ist nicht die Arbeit“, sagt er, „es ist dieses Leben hier und das Warten darauf, dass ich endlich in den Linienbus kann.“ Bouzid arbeitete nach einer Krebserkrankung schon halbtags, bevor er in Rente ging. Das macht er jetzt wieder. Die Vormittage hat er frei. Schön ist es nicht auf dem Stellplatz in Longwy – umgeben von Betonwüste, allein und ohne soziale Kontakte. Montags bis freitags lebt er so, es ist näher an der Arbeit. Freitagabends fährt er die 110 Kilometer nach Hause, um montags aus Saint-Avold wiederzukommen. Er wird es durchziehen. Er weiß wofür. „Aber irgendwann ist auch mal Schluss“, sagt er, „man ist schließlich nicht mehr der Jüngste.“

titi
26. Juni 2019 - 18.27

Hut ab vor Michel Bouzid! Die Menschen von seinem Schlag werden immer seltener . Er tut es mit Goethe: " Edel sei der Mensch, hilfreich und gut "! Aber wer ist Goethe?