Von China nach Europa – und umgekehrt: Die Eisenbahn als Herzstück der neuen Seidenstraße

Von China nach Europa – und umgekehrt: Die Eisenbahn als Herzstück der neuen Seidenstraße

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In 14 bis 16 Tagen schafft es ein Güterzug aus China nach Deutschland. Ein Schiff benötigt für die gleiche Strecke einen Monat. Auch wenn nach wie vor 90 Prozent der Fracht über den Seeweg transportiert werden, hat die Bahn zu tiefgreifenden Veränderungen im Logistikbereich geführt.

Von Helmut Wyrwich

Vor zehn Jahren wütete weltweit eine Finanzkrise, die sich in eine Wirtschaftskrise ausweitete. In Hamburg aber kam im Herbst 2008 nach 15 Tagen Fahrt ein Güterzug aus China an, der eine neue Transport-Ära im Handel eröffnete. Die „neue Seidenstraße“ war geboren: Sie stellt das größte internationale Investitionsvolumen seit 1945 dar – insgesamt 730 Milliarden Euro.

Für den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn, Hartmut Mehdorn, war der Herbst 2008 eine bahnbrechende Jahreszeit. Er reiste nach Hamburg, um den ersten kompletten Güterzug aus China, genauer gesagt: Xiangtang, in Empfang zu nehmen. Mehdorn kündigte damals die Zukunft im Transportbereich zwischen China und Westeuropa an.

See- oder Landweg?

Der Seeweg gilt als traditioneller Handelsweg und ist in dieser Hinsicht nach wie vor unangefochten. 23.000 Kilometer müssen hierfür bewältigt werden. Dank des Suezkanals wird eine Umrundung von Afrika überflüssig, außerdem kommt dem griechischen Hafen Piräus hierdurch eine neue Rolle als Anlauf- und Umladestelle für die Waren nach Europa zu. Ohne Piräus muss man noch um Spanien herum nach Rotterdam und Hamburg fahren. Diese Strecke wird innerhalb eines Monats bewältigt.
Per Eisenbahn werden derzeit zwölf Tage benötigt. Mit acht bis zehn Stunden ist die Luftfracht am schnellsten, aber auch am teuersten.

Diese Vision wurde Wirklichkeit. Heutzutage rollen täglich Containerzüge zwischen Europa und China. Sie kommen mittlerweile aus Österreich, Belgien, Frankreich und natürlich dem Pionier in der neuen „Eisenbahn-Seidenstraße“, Deutschland.

Die Deutsche Bahn hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2020 insgesamt 100.000 Container auf dem Schienenweg ins Reich der Mitte zu befördern. Diesem Ziel nähert sich die Bahn rasant: 90.000 davon sind bisher in diesem Jahr unterwegs gewesen. Niemand zweifelt daran, dass das Ziel erreicht werden kann. Seit dem ersten Zug vor zehn Jahren sind alleine aus Deutschland 3.600 Güterzüge mit Containern unterwegs gewesen. Mit Ziel-Städten wie Leipzig, Duisburg, Hamburg oder Nürnberg ist Deutschland das unumgehbare Land für die neue Eisenbahn-Seidenstraße geworden.

Auf dem nunmehr klassischen Transportweg wird von Kleidung über Papier bis hin zu Konsumgütern und Elektronik fast alles in den Containern zwischen Europa und China transportiert. Und nachdem in der Anfangsphase Autoteile per Eisenbahn ins Reich der Mitte verschickt und dort zu Autos zusammengebaut wurden, kam nun die Idee auf, ganze Autos zu transportieren.

Der vierfache Preis

Der baden-württembergische Autospediteur Mosolf will fertige Modelle über die Schiene nach China schicken. Bisher geschieht das per Schiff. Das Problem hierbei: Für die Schifffahrt wird ein ganzer Monat benötigt. Per Bahn geht das in 14 bis 16 Tagen, der Preis ist aber pro Tonne Fracht viermal so teuer wie auf dem Seeweg.

Es rechnet sich dennoch, sagt der Unternehmer. Das Auto ist schneller beim Kunden, wird zügiger bezahlt, die Kapitalbindung ist kürzer als beim Schiff. Sprich: Das Geld ist auch schneller bei ihm und beim Hersteller.

Mittlerweile gibt es eine Verbindung von Duisburg nach Schengdu und Schanghai, von Hamburg nach Zhengzhou und von Leipzig nach Shenyang zu BMW. Duisburg, von wo aus auch ArcelorMittal im Taktverkehr Züge mit Stahl-Vorprodukten in seine lothringischen Fabriken fahren lässt, hat sich mit dem Bestimmungsort Chengdu den passenden Partner ausgesucht. Die chinesische Regierung richtet dort eine Freihandelszone mit einem gigantischen Güterbahnhof als Umschlagplatz für Asien und die Seidenstraße ein. Mosolf will hier ein Logistik-Unternehmen mit chinesischen Partnern gründen, die seine Autos dann zu den Kunden bringen.

Mosolf ist nicht der Einzige, den der Schienenweg fasziniert. Das Logistik-Unternehmen UPS hat angekündigt, sich auf dem Eisenbahnweg zu engagieren. Das hat seinen Grund: Musste man vor zehn Jahren noch einen ganzen Zug buchen, um die Strecke befahren zu können, werden heutzutage auch einzelne Container und sogar einzelne Pakete als Sammelgut befördert. Das braucht zwar mehr Zeit als per Flugzeug, ist aber erheblich preiswerter. Die neue Seidenstraße über den eisernen Weg ruft in der Logistikwelt zwar Begeisterung hervor, Tatsache ist aber, dass der Schienenweg dem Schiff bisher nicht so wehgetan hat, dass es wirklich spürbar wäre, etwa durch Verluste an Marktanteilen.

Das Schiff ist mit 90 Prozent der transportierten Fracht immer noch die bevorzugte Option. Nur hat die Eisenbahn logistische Wege verändert. Ein Schiff ist von Schanghai aus durch das chinesische Meer, durch den Pazifik nach Afrika unterwegs und fährt dann durch den Suezkanal ins Mittelmeer. Von dort führt der Weg nach Rotterdam oder Hamburg rund um Spanien, durch die Biskaya und den Ärmelkanal.

Die alte Seidenstraße

Die alte Seidenstraße war eigentlich keine Straße, sondern ein Netzwerk von Verbindungen.
Es war 6.400 Kilometer lang und wurde mit Karawanen überwunden. Die Waren benötigten auf dem Weg bis zu zwei Jahre von China nach Westeuropa.

Die alte Seidenstraße war ein Netzwerk, das von vielen Orten zu vielen Orten führte. Die Logistiker von heute bestimmen Orte anders. Im Norden arbeitet die Deutsche Bahn daran, Waren mit der Eisenbahn bis nach Kaliningrad zu fahren, dort auf ein Schiff umzuladen und sie über die Ostsee nach Rostock zu transportieren, wo sie wieder auf die Bahn umgeladen und beim Kunden in Europa landen können.

Für den Seeweg im Süden bereitet sich der Hafen von Piräus darauf vor, Anlaufhafen für die Europäische Union und Verteilerhafen für die Bahn zu werden. Der Grund: Ein Schiff aus Schanghai durchquert vom Suezkanal und das Mittelmeer nach Griechenland und bringt die Waren schneller zur Bahn und zum europäischen Kunden. Die neue Seidenstraße wird nicht nur zu einem Netzwerk von Orten, sondern auch zu einem Netzwerk von verschiedenen Transportsystemen, die sich ergänzen und in dem ein griechischer Hafen das Tor zu Europa wird.

Luxemburg sucht Partner

Das hat seinen Grund: In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Operationsmodus nicht wesentlich geändert. Der erste Zug aus China brauchte 15 Tage. Mit 14 bis 16 Tagen rechnet man heute immer noch. Denn: Die Spuren der einzelnen Länder sind unterschiedlich. Die Container müssen zweimal umgeladen werden. Über die Grenzen hinweg werden trotz Elektrifizierung Dieselloks eingesetzt. Der Verlust beträgt zwei Tage. Mit der Modulierung zwischen Eisenbahn, Schiff und wieder Eisenbahn im Norden versucht die Deutsche Bahn, Zeit zu gewinnen. Entwicklungen zeigen sich auch beim Buchen der Züge: Die chinesische Staatsbahn hat mit den einzelnen Ländern Verträge abgeschlossen und bietet wie im Flugverkehr Slots zur Nutzung an.

Das für den Frachtverkehr zuständige Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn, Alexander Doll, hat angesichts des rasanten Wachstums mit täglicher Nutzung der Schienenstränge auf bessere Kommunikation gesetzt. DB, die russische sowie die polnische Staatsbahn haben ein Abkommen über besseren elektronischen Frachtdaten-Austausch unterschrieben, um die grenzüberschreitende Abfertigung zu verbessern.

Wo steht nun Luxemburg in dieser Entwicklung? „Irgendwo am Anfang“, hatte François Bausch, Verkehrsminister der letzten luxemburgischen Regierung, noch vor den Wahlen in einem Gespräch mit dem Tageblatt erklärt. Das könnte auch bedeuten, dass hier eine Entwicklung am Land vorbeigerauscht ist. Bausch hatte die neue Seidenstraße im Tageblatt-Gespräch als Herausforderung für die CFL beschrieben. Man müsse Partner für die Fracht und für das „Handling“ der Container auf der Strecke suchen, meinte Bausch weiter. Denn immerhin stünde mit dem Zentrum in Bettemburg eines zur Verfügung, das durchaus Anfangs- und auch Umschlagspunkt für die Seidenstraße sein könnte.

Der wohl wichtigste Partner für eine Positionierung Luxemburgs auf der Landkarte der Seidenstraßen-Städte befindet sich quasi in Bettemburger Reichweite. Die Deutsche Bahn hat in Schanghai eine Tochtergesellschaft, „Eurasia“, gegründet, heißt es in einer Mitteilung. Die soll zu einer Erhöhung des Eisenbahnfrachtverkehrs zwischen China und Europa durch ein „Fracht von Haus zu Haus“-System führen. Die Durchführung soll in der Hand der Bahntochter Schenker liegen. Der Logistiker würde mit der DB Cargo kooperieren und versuchen, durch eine Koordinierung von Straße, Schiene und Schiff Transportzeiten zu verkürzen.

Die zentrale Rolle von Duisburg

Nach wie vor geht aber im China-Verkehr nichts ohne Duisburg. Die Verbindung mit Chengdu wird in dem asiatischen Land als strategisch angesehen. Sie ist so wichtig, dass Staatspräsident Xi Jinping vor vier Jahren bei seinem Deutschlandbesuch als einziger Industrieort den Hafen von Duisburg besuchte, um die Umschlagplätze der für China bestimmten Container zu besichtigen und sich den Ausbau erklären zu lassen. Duisburg hat einen Vorteil: Der Hafen ist durch eine Rheinvertiefung für Küstenmotorschiffe erreichbar und damit Partner für Rotterdam und auch Antwerpen.

In Duisburg redet man heutzutage von einer chinesischen Zone für Gewerbe und Import/Export. Die vom Niedergang der Stahlindustrie wirtschaftlich angeschlagene Stadt sieht sich bereits als China-Stadt, so wie Düsseldorf als Japan-Stadt gilt.

Davon hatte auch der Norden Lothringens mit Thionville und Illange geträumt. Der Unterschied: Dort musste alles erst geschaffen werden. Der Moselhafen musste von Arcelor gekauft werden. Die administrativen französischen Vorgänge dauerten zu lange für die Chinesen. Das Vorhaben scheiterte. Duisburg sieht sich hier besser aufgestellt.

China finanziert die neue Seidenstraße mit seinen finanziellen Export-Überschüssen. Und macht die Anrainer-Länder gleichzeitig abhängig. Kasachstan, Weißrussland und die Ukraine werden die chinesischen Kredite nie zurückzahlen können. Regionen der Seidenstraße erleben gleichzeitig wirtschaftlichen Aufschwung.

China verbindet geostrategische Ziele mit dem Projekt, zumindest für die unmittelbaren Anrainer-Regionen. Hier, am Rande Russlands, herrscht häufig der Eindruck, dass Moskau viel verspricht, aber wenig hält. Stattdessen richtet sich das Interesse China zu. Die neue Seidenstraße schafft eben auch ihre wirtschaftlichen Abhängigkeiten und neue politische Einflusszonen.


Das neue Routen-Netzwerk

Auch die neue Seidenstraße wird ein Netzwerk von Routen sein. Die eurasische Landbrücke, die durch die westeuropäischen Länder bis nach Spanien und Portugal führt, wird als die eigentliche Seidenstraße betrachtet. Darüber hinaus führen eine Straße von China durch die Mongolei nach Russland und ein Landweg von Kalkutta über Teheran nach Deutschland.