Verzwickter Brexit: Alle Seiten scheinen auf den Zaubertrick zu warten

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London will den Austrittsvertrag noch einmal aufmachen, Brüssel lehnt das strikt ab. Doch die europäische Position ist nicht so stark, wie sie aussieht. Der Knackpunkt ist Irland.

Von unserem Korrespondenten Eric Bonse, Brüssel

Nachverhandeln? Das kommt überhaupt nicht infrage. Den Backstop für Irland ändern? Völlig ausgeschlossen! Die Europäische Union hat prompt und kompromisslos auf die jüngsten Forderungen aus dem britischen Unterhaus zum Brexit reagiert. Die Fronten sind hoffnungslos verhärtet, Bewegung zeichnet sich in Brüssel nicht ab.

Die EU klammert sich an den Austrittsvertrag, der nach fast zweijährigen Verhandlungen im November auf einem Sondergipfel mit Premierministerin Theresa May geschlossen worden war. Der deutsche Außenminister Heiko Maas betonte am gestrigen Mittwoch, dieser Vertrag sei die „beste und einzige Lösung“ für einen geordneten EU-Austritt.

Verärgerung

Fast wortgleich äußerte sich Chefunterhändler Michel Barnier. Die EU stehe geschlossen hinter dem Brexit-Vertrag, sagte der Franzose. Der Brexitbeauftragte des Europaparlaments, Guy Verhofstadt, forderte die Briten zum Einlenken auf. London komme am vereinbarten Brexit-Deal nicht vorbei, erklärte der liberale Belgier.

Einige Europaabgeordnete reagierten verärgert. Es sei „unfassbar“, dass May nun an einem Vertrag rüttele, den sie selbst ausgehandelt habe, beschwerte sich der EVP-Politiker Elmar Brok. May wirke wie ein Zauberer mit Zylinder, aber ohne Kaninchen, meinte sein grüner Parlaments-Kollege Reinhard Bütikofer. „Sie probiert es zwei-, drei-, viermal – es springt einfach kein Kaninchen aus dem Hut.“

Doch auch der EU will kein Zaubertrick gelingen. Es scheint ein böser Fluch über dem Brexit zu liegen, den niemand brechen kann. Dabei hatten es die EU-Politiker mit einigen versteckten Ködern versucht. Wenn die Briten endlich einmal erklären würden, was sie wollen, statt immer nur zu sagen, was sie nicht wollen, könne man wieder ins Gespräch kommen, hieß es zuletzt in Brüssel.

Doch nun, da May vom britischen Parlament mit einem neuen Mandat ausgestattet wurde, das erstmals politischen Gestaltungswillen erkennen lässt, ist es der EU auch nicht recht. Ratspräsident Donald Tusk, der am Mittwochabend mit der britischen Premierministerin telefonieren wollte, zieht sich auf ein formales Argument zurück: Internationale Verträge könnten nicht einseitig infrage gestellt werden, May stehe gegenüber der EU im Wort.

Ernstfall

Allerdings hat es immer wieder Situationen gegeben, in denen die Europäer ausgehandelte Verträge wieder „aufgemacht“ haben. Das war beim EU-Vertrag von Lissabon so, der auf Wunsch Irlands nachträglich ergänzt wurde. Oder auch bei den Verhandlungen mit Kanada über das Freihandelsabkommen CETA.

Auch die EU-Argumente für den Backstop für Irland sind nicht so stark, wie sie aussehen. Der Backstop, der eine unbefristete Anbindung Großbritanniens an die EU durch eine Zollunion vorsieht, gilt als „Lebensversicherung“ gegen eine „harte Grenze“ zu Nordirland. Wenn an der inneririschen Grenze wieder Polizisten oder Soldaten aufziehen sollten, würde dies den Frieden gefährden.

Doch eine „harte Grenze“ würde auch bei einem ungeordneten Austritt Großbritanniens entstehen – und ausgerechnet das EU-Mitglied Irland müsste sie errichten. Das hat die EU-Kommission klargestellt. Irland wäre nach EU-Recht verpflichtet, die neue Außengrenze zu sichern und den Grenzverkehr zu überwachen, um den europäischen Binnenmarkt nicht zu gefährden.

Im Ernstfall wäre der Binnenmarkt womöglich wichtiger als der Frieden – ein Dilemma, über das man in Brüssel ungerne spricht. Doch genau dieses Dilemma könnte May nutzen, um die Front der 27 verbleibenden EU-Staaten zu brechen. Sie könnte mit dem „harten Brexit“ drohen, um doch noch Zugeständnisse in letzter Minute zu erreichen, mutmaßen EU-Diplomaten. Mit der Debatte über einen „alternativen“ Backstop übt May schon jetzt Druck auf Irland aus.

Bisher zeigt dieser Druck allerdings keine Wirkung – jedenfalls nicht in Brüssel. „Heute sind wir alle Iren“, erklärte der belgische Außenminister Didier Reynders vor zehn Tagen. An dieser Haltung hat sich bis heute nichts geändert. Doch wenn Irland seine Position überdenken würde, könnte eine neue Lage entstehen.