Aus Blassrosa wird ein schillernder Regenbogen: Erinnerungen an das erste „Gaymat“ vor 20 Jahren

Aus Blassrosa wird ein schillernder Regenbogen: Erinnerungen an das erste „Gaymat“ vor 20 Jahren

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Vor 20 Jahren fand zum ersten Mal eine Art Pride in Luxemburg statt. Damals zwar noch gediegen und still, doch die Veranstalter von Rosa Lëtzebuerg wussten trotzdem genau, was sie wollten.

1999 in Luxemburg-Stadt: Auf dem kleinen Platz vor dem Kapuzinertheater haben sich ein paar Menschen versammelt. Zurückhaltend haben sie hellrosa Luftballons an den wenigen Ständen befestigt. Die meisten sind weiß gekleidet, von schillernden Regenbogenfarben keine Spur. Noch sind sie schüchtern, doch sie sind da – und sie schreiben Geschichte.

Die Szene beschreibt die erste, zaghafte Ausgabe des Gaymat vor 20 Jahren. Der Kontrast zu dem bunten, glitzernden Umzug, der inzwischen jedes Jahr mit lauter Musik durch Esch fährt, ist enorm. „Wir hatten uns einen kleinen Platz ausgesucht, damit es nicht so auffallen würde, wenn nicht viele kommen“, sagt Patrick Weber, der damalige Präsident der Rosa Lëtzebuerg asbl. Schließlich war es zu der Zeit alles andere als selbstverständlich, sich als Homosexueller in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Erste Erfolge diesbezüglich konnte Rosa Lëtzebuerg allerdings schon zwei Jahre zuvor verbuchen. Bei einem Rundtischgespräch zum Thema „Homosexualitéit – Och zu Lëtzebuerg?“ erscheinen über 100 Menschen. Ein zweites zieht ein Jahr später genauso viele Menschen an. Patrick Weber moderiert das Event damals, als er spontan entscheidet, den Besuchern eine Frage zu stellen: „Ihr seid nun zwei Mal unserer Einladung zu einer Konferenz gefolgt und habt euch damit indirekt öffentlich geoutet, zumindest zwischen den schützenden vier Wänden der Veranstaltungsräume. Wer von euch wäre nun ebenso bereit, im kommenden Frühjahr vor den Landeswahlen in der Hauptstadt an die Öffentlichkeit zu treten?“ Als Weber den Blick durch den Saal schweifen lässt, sieht er, wie sich immer mehr Hände heben. Die Unterstützung ist groß. Das Gaymat ist geboren.

Eine Idee, die schon länger in seinem Hinterkopf schlummert. Denn als Weber 1996 an der ersten Gay Pride in Brüssel teilnimmt, motiviert ihn das ungemein, in seinem Heimatland etwas zu bewegen. Als er dort die Regenbogenflagge mit Gleichgesinnten durch die Nebenstraßen der belgischen Hauptstadt trägt, fühlt er sich integriert. In einer Zeit, in der es noch kein Internet gibt, ist es diese kleine Parade, die ihm zeigt, dass er nicht alleine ist. Als der Umzug einen Berg hinaufgeht und er sich umdreht, überkommt ihn ein unglaubliches Gefühl: „Da waren so viele Menschen. Das hat mich wirklich überrascht“, sagt er. Damals habe keiner so wirklich gewusst, wie viele Menschen die gleichen Dinge durchmachen.

Klare Forderungen

Das erste Gaymat kommt ohne Show und Musik aus. Das Motto lautet „Pour l’HOMOlogation de nos droits“. Die Botschaft ist klar: Einen Monat vor den Landeswahlen stellt Rosa Lëtzebuerg klare Forderungen an die Politik. Es werden Unterschriften für eine Petition gesammelt, die sich für mehr Rechte für Schwule und Lesben einsetzt. Auf weißen Wänden hängen die karikierten Wahlplakate der verschiedenen Parteien. Aus dem Spruch der DP – „Wat wier d’Liewen ouni blo?“ – macht Rosa Lëtzebuerg „Wat wier d’Liewen ouni rosa?“. „Politik ass kee Spill“ von der CSV wird zu „Homosexualitéit ass kee Spill“, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Schon damals wird das kleine Straßenfest gut von den Passanten aufgenommen. „Ich kann mich an nichts Negatives erinnern“, sagt Weber. Das sei allgemein immer so gewesen. Seit diesem Jahr ist das Gaymat mit jeder Ausgabe größer geworden. 2000 findet die Veranstaltung auf der place d’Armes statt – obwohl Patrick Weber skeptisch war: „Ich dachte, wir blamieren uns, weil nicht genug Menschen kommen.“ Zu Unrecht. Das Fest mit Shows und Konzerten wird zu einem großen Erfolg. Die place d’Armes hat einen großen Vorteil: Das Publikum ist sehr gemischt. Viele Menschen kommen zufällig vorbei und werden von der Dynamik mitgerissen. „Durch den zentralen Standort sind Menschen dort gelandet, die von alleine nie dorthin gekommen wären“, sagt Weber.

Nach dem ersten Gaymat erhält die Schwulen- und Lesben-Community in Luxemburg extrem viel positive Berichterstattung in den luxemburgischen Medien. Vor allem der Auftritt von Patrick Weber am Abend nach dem Gaymat im „Top Thema“ auf RTL ist ein Erfolg. „Das war Gold wert, weil damit so viele Menschen erreicht wurden“, erinnert sich Weber, der auf diesen Auftritt später häufig angesprochen wurde. Er war zwar nicht der erste Schwule im Fernsehen, aber es gab nicht viele vor ihm, und schon gar nicht für eine längere Sendezeit.

Dass das Gaymat seit diesem Jahr nicht mehr so heißt, macht den Gründer traurig, „wenn nicht sogar etwas wütend“, sagt er. Beim gemeinsamen Brainstorming war es Claude Neu oder Marc Angel, so genau weiß er es nicht mehr, der die Idee zu dem Wortspiel hatte. Der „luxemburgische Anstrich“ des Namens war bewusst gewählt. Damit wollte Rosa Lëtzebuerg unterstreichen, dass Homosexualität nicht vor der „Insel Luxemburg“ haltmacht. „Auch wir haben Ausländern vor 20 Jahren erklärt, was das bedeutet. Dadurch hatten wir direkt ein Gesprächsthema“, sagt Weber. Er findet es schade, dass der Name aufgegeben wurde – besonders zum Jubiläum.

Für neue Generationen

Gestern Abend hat Patrick Weber an einem Rundtischgespräch in der Kufa teilgenommen. Das Thema: „Brauche mir haut nach eng Pride?“ Die Antwort auf diese Frage hatte er bereits beim Gespräch mit dem Tageblatt parat. Heute höre er oft Sätze wie „Ihr seid doch akzeptiert, was wollt ihr eigentlich noch?“ Als ob die LGBTQ+-Community jetzt still sein müsse, sich nicht mehr so aufzuführen brauche, nachdem die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt ist und sie Kinder adoptieren dürfen. „Hier in Luxemburg wurde das zwar erreicht, aber an vielen anderen Orten in der Welt nicht“, sagt Weber. Solange noch Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung ins Gefängnis kommen oder sogar zum Tode verurteilt werden, sei eine Pride gerechtfertigt. Außerdem gebe es immer wieder neue Generationen, die genau das erleben sollen, was er damals in Brüssel erlebt hat. Sie sollen spüren, dass sie nicht alleine sind.