KampfsportJudo-Nationaltrainer Jasper Huitsing: „Ich bin ein strenger Vater für meine Athleten“

Kampfsport / Judo-Nationaltrainer Jasper Huitsing: „Ich bin ein strenger Vater für meine Athleten“
Jasper Huitsing war bis zuletzt für den niederländischen Verband tätig Archivbild: judoinside.com/Rui Telmo Romao

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Der Niederländer Jasper Huitsing wird in ein paar Tagen nach Mersch ziehen – und zum ersten Mal ein Weihnachtsfest in Luxemburg erleben. Seine aktuellen Sorgen, Trainingspläne und Ziele: Im Interview mit dem Tageblatt hat der zukünftige Judo-Nationaltrainer erste Einblicke in seine Philosophie gewährt.  

Tageblatt: Sie haben vor ein paar Monaten eine neue Herausforderung in Luxemburg angenommen. Aus welchen Gründen haben Sie entschieden, Ihren Job am Olympiastützpunkt im Norden Hollands aufzugeben?

Jasper Huitsing: Ich war über einen längeren Zeitraum als Cadets-Trainer (U18) eingestellt. Im niederländischen Vereinssystem war es das höchste Level, das es dort gibt. Ich selbst war allerdings immer davon überzeugt, mehr von meinem Wissen weitergeben zu wollen. Es war mein Wunsch, auch älteren Jahrgängen auf dem Weg zum Champion weiterzuhelfen. Ich war zuletzt beim Verband eingestellt und konnte dort mit Junioren und Senioren arbeiten. Das hat mir sehr gut gefallen. Allerdings wird jetzt die Struktur in den Niederlanden geändert und dort werden vier Stützpunkte abgeschafft. Ich hätte meinen Job also nicht mehr ausüben können. Als ich die Möglichkeit gesehen habe, hierherzukommen, habe ich das mit meiner Ehefrau besprochen. Wir haben gemeinsam entschieden, diese Bewerbung abzuschicken.

Steht also ein Umzug mit der kompletten Familie bevor?

Ja. Ich habe dem Vorstand der FLAM auch gleich mitgeteilt, dass ich mit der ganzen Familie hierherziehen möchte, um die Kultur und Menschen kennenzulernen. Es ist unmöglich, einen guten Job zu machen, wenn man nicht Teil des Systems ist. Nächste Woche werden wir die letzten Kisten nach Mersch bringen und dann die Feiertage bereits hier verbringen. 

Bei Ihrer letzten Mission in den Niederlanden ging es vor allem um das Scouting. In Luxemburg ist die Masse an Athleten deutlich geringer. Was wird Ihre neue Rolle sein?

Wir hatten einerseits das nationale Trainingszentrum und vier vor-olympische Stützpunkte. Meine Aufgabe war es, die besten Junioren der Region zu nominieren und ihnen Trainingsprogramme zur Verfügung zu stellen, damit sie ins olympische Programm aufgenommen werden. Hier in Luxemburg geht es zuerst darum, eine Bestandsaufnahme zu machen und zu sehen, welche Ambitionen und Ziele die einzelnen Judokas verfolgen. Wir möchten sowohl das System als auch das Niveau verbessern. Bislang gab es aufgrund von Corona nur wenig Kontakt, aber wir planen in den nächsten Wochen viele Gespräche.

Wen haben Sie denn bereits kennengelernt?

Ich habe viele in den letzten Jahren bei den Wettkämpfen gesehen. Ich weiß aber nicht, ob die Athleten, die ich vom Namen her kenne, noch alle auf diesem Niveau aktiv sind. Claudio dos Santos und Annetka Mosr haben jetzt, beim neuen Start, das größte Potenzial. Als ich vor ein paar Wochen ein Training beobachtet habe, sind mir ebenfalls starke Cadets aufgefallen. Um das Niveau zu steigern, müssen wir allerdings auch die Basis stärken. Ich sehe das als eine Pyramide: Je breiter es unten ist, umso breiter ist auch die Spitze. Aber trotz der kleinen Masse will ich das Maximum herausholen. Wir haben hier derzeit zwei Aushängeschilder, die sich langsam auf einem guten Niveau etablieren. Allerdings gibt es vom Level her einen großen Unterschied zum Rest der Gruppe um sie herum. Mein Ziel ist es, jedem Athleten zu helfen, sich zu verbessern – bei der Technik oder der Fitness. 

Inwiefern ist es denn umsetzbar, auf alle Sportler einzugehen, wenn die Schere so weit auseinandergeht?

Claudio muss mit den stärksten Judokas der Welt trainieren. Wir werden ihm deshalb wohl ein Programm liefern, das auf ihn zugeschnitten ist. Die Junioren können wir trotzdem zu den Lehrgängen schicken, damit sie auf diesem Niveau Erfahrung sammeln. Vielleicht kann man eine kleine Gruppe um Claudio aufbauen. Gleichzeitig sollte es ein sekundäres Programm geben, um die generelle Basis zu stärken. 

Wir ziehen an einem Strang, obschon wir unterschiedliche Menschen sind, mit anderen Stärken

Jasper Huitsing, Judo-Nationaltrainer

Mit dem Technischen Direktor Wolfgang Amoussou und Jugendnationaltrainer Sascha Herkenrath hat die FLAM ein komplett neues Trio eingestellt. Wie bildet man aus drei Fremden ein Team?

Bei meinem Vorstellungsgespräch wurde mir die gleiche Frage gestellt. Meine Antwort war, dass die größte Herausforderung für den Vorstand sein würde, drei Menschen zu finden, die zusammenpassen. Wir ziehen an einem Strang, obschon wir unterschiedliche Menschen sind, mit anderen Stärken. Wir unterstützen und brauchen uns gegenseitig. Es gab bereits sehr viele Gespräche und es sieht aus, als hätte der Vorstand drei Trainer gefunden, die exakt die gleiche Vision und Pläne für Veränderungen haben. Ich bin überzeugt, dass wir ein gutes Team darstellen. Zudem bin ich sehr gespannt darauf, alle Vereins-Coaches kennenzulernen, die wir im Gesamtbild brauchen. 

Was gehört zu den anderen kurzfristigen Plänen?

Wir werden uns auf die Entwicklung fokussieren. Ein Athlet, der gerade keine Wettkämpfe bestreiten kann, wird durch bessere Fitness-Statistiken oder Verbesserungen bei den Techniken motiviert. Sollten die Turniere wieder beginnen, wünsche ich mir natürlich, dass Annetka und Claudio sich auf dem Senioren-Niveau etablieren können. 

Gibt es für Claudio dos Santos noch realistische Chancen auf eine Teilnahme bei den Olympischen Spielen?

Solange es auch nur noch den Hauch einer Chance gibt, muss er daran glauben und sich darauf fokussieren. Ich hoffe, dass er genug Punkte sammelt. Allerdings ist er weit von diesen Plätzen entfernt. Möglicherweise ändert der internationale Verband seine Qualifikationskriterien ja auch noch aufgrund der Pandemie. Ich bin nicht sicher, ob es mehr Quoten-Plätze geben wird. Normalerweise wird es kein Turnier geben, sondern über die Weltranglistenpunkte laufen. 

Und welcher Typ Trainer wird Dos Santos und Co. denn in den nächsten Jahren gegenüberstehen?

(lacht) Ich versuche immer, eine strenge Vaterfigur darzustellen. Ich möchte eine enge Verbindung zu den Athleten aufbauen. Wenn sie Probleme haben, sollen sie zu mir kommen können. Aber es muss gleichzeitig eine klare Grenze geben. Es ist keine Freundschaft. Sie können mir alles anvertrauen, aber ich bin ebenfalls derjenige, der sie anspornt und mit ihren eigenen Plänen konfrontiert. Wir haben gemeinsame Ziele, die wir erreichen wollen. Um auf dem höchsten Level erfolgreich zu sein, braucht es täglich einen großen Einsatz und Willen. Wir müssen wirklich hart arbeiten. 

Müssen Sie Ihre Philosophie den Gegebenheiten in Luxemburg anpassen?

Der erste Schritt ist, alle kennenzulernen und festzustellen, wo wir stehen. Erst dann wird entschieden, in welche Richtung es gehen soll. Natürlich muss auch ich mich an die Athleten anpassen. Es gibt Trainer, die nur mit Sportlern arbeiten, die in ihr Raster passen. Ich versuche, bei allen das maximale Potenzial herauszubekommen. Es ist eine ständige Suche.

Training im Freien

Da derzeit nur die beiden COSL-Athleten Annetka Mosr und Claudio dos Santos normal trainieren dürfen, will das neue Trainerteam ab Januar andere Wege beschreiten. Bis Ende der Woche soll das Programm feststehen: In kleinen Gruppen sollen Fitnessübungen, Läufe oder auch Schattenjudo mit der neuen Mannschaft stattfinden. Das neue Trio erwartet sich sowohl bei der Jugend als auch bei den Senioren rund 15 Athleten. Viel wird sich in der nationalen Judowelt von den beiden Trapp-Brüdern Noah und Luca erwartet, die bereits Jugendnationaltrainer Sascha Herkenrath aufgefallen sind. Ein gutes Auge bewies ebenfalls Jasper Huitsing bei der ersten Besichtigung. Als „sehr empathisch“ beschrieb der Technische Direktor Wolfgang Amoussou den niederländischen Trainer. Hinzu kommen eine gute Portion Humor und das „richtige Verständnis vom Leistungssport“. 

Zur Person

Jasper Huitsing wuchs in der niederländischen Kleinstadt Groningen auf und besuchte im Alter von sechs Jahren sein erstes Judo-Training. Im Alter von 19 Jahren wurde sich der Niederländer damals bewusst, dass er sich eher in der Rolle des Coachs sehen würde. Gleichzeitig studierte er vier Jahre Sport- und Trainerwissenschaften in der Heimat, mit einer zweijährigen Spezialisierung im Judo.