Giro d’Italia: Ein Jahrhundert Leidenschaft

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Wenn nicht in diesem Jahr, mit opulenten Voraussetzungen, wann dann kann der Giro d’Italia (9. bis 31. Mai) im Rundfahrten-Duell mit der Tour de France punkten?

Selbst Marketing-Strategen hätten keine besseren Accessoires finden können: Der sportliche Zweikampf zwischen dem trotz seiner zweijährige Sperre bei den Azzurri unverändert beliebten Ivan Basso gegen Lance Armstrong auf Comeback-Pfaden, der mit 37 Lenzen seine Premiere bei der „corsa rosa“ erlebt. Um die Herausforderungen, beginnend mit einem spektakulären Mannschafts-Zeitfahren auf dem Lido von Venedig, spannt sich der Bogen von 100 Jahren Giro-Geschichte. Das von der Tageszeitung Gazzetta dello Sport, gedruckt auf rosa Papier, 1909 initiierte Rennen um das „maglia rosa“ des Führenden feiert Jubiläum – an den Kiosken stapeln sich die Jubiläumsbände. Zum Beispiel: „Die große Geschichte eines Mythos“. Oder: „Ein Jahrhundert Leidenschaft“.
Die Organisatoren um Direktor Angelo Zomegnan bemühten sich um Anlehnungen an die historische Strecke. Man rollt über österreichisches und schweizerisches Terrain, offeriert ein ultralanges Einzelzeitfahren (61 km), fünf Bergankünfte, darunter auf dem Vesuv. Ein Kampf gegen die Uhr in der Hauptstadt Rom beendet ein Etappenrennen, das – zumindest in Italien – drei Wochen lang für Schlagzeilen sorgen wird.
Dennoch reagierte die Velo-begeisterte Nation zuletzt schockiert, als „der liebe“ Davide Rebellin als Dopingsünder enttarnt wurde. Zumal im vergangenen Jahr mit Ricardo Riccò und Leonardo Piepoli zwei heimische Cera-Pfuscher aussortiert worden waren.

Massive Kontrollen

Mit massiven Kontrollen vor dem ersten Pedaltritt an den Gestaden der Adria reagieren die Veranstalter – und Superstar Lance Armstrong zeigte sich „geschockt“ über die Verfehlung seines Altersgenossen. Nein, Siegesambitionen hegt der siebenmalige Gewinner der Tour im Stiefelland nicht. „Basso, Cunego, Garzelli, Simoni und mein Teamkollege Leipheimer bringen eine bessere Form mit.“ Er selbst wolle ein gutes Zeitfahren abliefern (den Parcours durch die malerischen Cinque Terre testete Lance im Frühjahr) und bei einer Bergetappe „etwas versuchen“.
Ansonsten sieht Armstrong die 3.395 Kilometer als Aufgalopp für die Frankreich-Rundfahrt. „Den Giro in den Beinen, fühlst du dich in der zweiten Hälfte der Tour einfach besser“, hatten ihm Ex-Kollegen geraten. Doch dann hätte die Sturz-Verletzung fast das gesamte Programm gefährdet. „Ich muss auf die Zähne beißen. Wie bei sieben Tour-Siegen. Nur ein einziges Mal bin ich wegen Schmerzen einmal vorzeitig vom Rad gestiegen“, legt Lance Armstrong typisch amerikanischen Competition-Geist an den Tag.
Auch Ivan Basso spricht nicht vom großen Coup. Sein Betreuer meinte nach allerletzten Leistungsdiagnosen, der 31-Jährige befinde sich in einer „Bestform für die Berge“, aber für das ellenlange Zeitfahren fehle ihm der Push. Beim Training hinter einem Motorroller simulierte Basso eine andere Trittfrequenz für die einsame Tortur. Vielleicht schlägt ja die Stunde des 34-jährigen Vorjahres-Dritten Marzio Brusegin. Das wäre weniger im Sinne der Marketing-Abteilung. Der Mann der Berge, der auf seiner Farm 27 Esel zählt, dessen Prosecco und Salami aus eigener Produktion stammen, der Literatur wälzt, während andere vor der Playstation chillen, bildet den Kontrapunkt zur Show. Er hatte sich zuletzt in den heimischen Gefilden getrimmt, während Basso und Cunego auf den Kanaren Kilometer bolzten.
Mit Alessandro Petacchi (35) meldete sich der Mann für die Sprintankünfte dank seinem siebten Saisonerfolg zurück. Beim Giro della Toscana reüssierte Ale-Jet auf insgesamt 24 Etappen. Unter den 198 Startern aus 22 Mannschaften aber befindet sich Petacchi im Kreis der Kritiker des nervösen Parcours: weniger Flachetappen, jedoch anachronistische Teilstrecken wie die Königsetappe Cuneo – Pinerolo über 260 km. Dafür versprechen Ankünfte in den Zentren Mailand, Florenz, Bologna oder Neapel Stimmung und Zuschauermassen.
„Buon compleanno (alles Gute zum Geburtstag), Giro!“ Und hoffentlich ohne störende Nebengeräusche …