An ihm scheiden sich die Geister

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Kevin Haas ist Luxemburgs Muay-Thai-Ikone. Als dreifacher Europameister und seit Samstag (15.10.) auch WFCA- Weltmeister ist der gebürtige Luxemburger mit französischen Wurzeln zum Gesicht der Thai-Box Bewegung des Großherzogtums geworden.

Seine Fans lieben ihn. Feinde werfen ihm Etikettenschwindel vor. Seine Titel seien bloß Teil seiner durchdachten Maskerade. Ein Porträt.

Muay Thai in Luxemburg

Die Muay-Thai-Szene ist in Luxemburg stark zersplittert. Es existieren kaum offizielle Angaben. Je nach Quelle haben sich erste Muay-Thai-Begeisterte Ende der Achtzigerjahre in Luxemburg aufgerafft, um ihrer Leidenschaft nachzugehen.

Insgesamt gibt es in Luxemburg sechs bis sieben ernsthaft trainierende Clubs mit schätzungsweise 200 Mitgliedern. Zu den fünf bekanntesten Clubs gehören WFCA-Weltmeister Kevin Haas Club in Esch/Alzette, Kick Thai Boxing Club Rubino Gym (Differdingen), Lonesah Gym Luxembourg (Luxemburg-Stadt) und der Wisdom Dragon Academy-Kickboxing Club Diekirch und neuerdings auch Sandsak Muay Thai (Luxemburg-Stadt).

Als Haupt-Föderation des Muay Thai fungiert seit einem Jahr die MTFL (Muay Thai Federatioun Lëtzebuerg). Weltmeister Kevin Haas hat sie ins Leben gerufen. Sie kooperiert mit der vom COSL anerkannten FLB („Fédération luxembourgeoise de boxe“). Die meisten Clubs trainieren zwei bis drei Mal pro Woche. Es werden Thai-Box-Workshops mit ausländischen Kämpfern veranstaltet. International anerkannte Thai-Box-Wettkämpfe finden bislang in Luxemburg eher sporadisch statt.

Internet
www.mtfl.lu

Nachdem sich Haas den WFCA-Weltmeistertitel im Muay Thai ergattert hat, dürfte hierzulande so schnell keiner mehr an seinem Thron als Botschafter der thailändischen Sportart rütteln. Sein Umfeld sagt über ihn, er organisiere seinen Alltag mit eiserner Disziplin und einem übertriebenen Perfektionismus. „Ich kann ohne Post-its nicht leben. Jeder meint immer, ich hätte Alzheimer. Aber ich will einfach alles erledigen, was ich mir vorgenommen habe“, witzelt Haas. Er runzelt seine narbenüberzogene Stirn dabei. Sie erinnert an die harten Schlagabtausche vergangener Kämpfe.

Brutal und blutrünstig

Der 30-Jährige hat in Virton eine Ausbildung zum Lehramt absolviert und gilt nicht nur deswegen, sondern auch wegen seines respektvollen und – für einen Kampfsportler nicht unbedingt typisch – bedachten Auftretens als Aushängeschild der Thai-Box-Kultur, die hierzulande einen eher negativen Ruf genießt. Zu brutal und blutrünstig sei sie.

Haas lässt sich von diesen Vorurteilen nicht demotivieren. Er trainiere mit der gleichen Disziplin, wie es Athleten anderer Sportarten auch täten: eine gesunde Diät, viel Schlaf, kaum Freizeitbeschäftigungen, keinen Alkohol, keine Drogen und strategisches Denken. Intelligent kämpfen. Muay Thai ähnle einem Schachspiel, betont Haas – er weiß, wie man eine harte Sportart öffentlichkeitswirksam promotet.

Ehrlicher Idealist

Aber in Haas schlummert auch ein ehrlicher Idealist. Er ist regelmäßig nach Thailand gereist, hat mehrere Wochen mit Thailändern trainiert, zusammengelebt und ihr bescheidenes Kämpferdasein am Limit geteilt. Wenn er über diese Erfahrung spricht, wird klar, dass er die teils dramatischen Lebensumstände der Thaiboxer nicht romantisiert. „Als ich zum ersten Mal da war, konnte ich meine Euphorie kaum bremsen. Beim zweiten Mal war es anders. Diese Männer haben teilweise kein Feuer mehr in den Augen“, beschreibt Haas seine Erfahrungen.

Viele Thaiboxer kämpften nur noch weiter, um ihre Familien zu ernähren. Ein Thaiboxer verdient nämlich mehr als ein Bauer in einer ländlichen Region Thailands. Haas scheint viel von diesen hart arbeitenden Menschen gelernt zu haben. Er opfert das bequeme Leben aus Prinzip: „Ich arbeite Teilzeit als Lehrer und verdiene so weniger, kann mich dafür aber dem Sport hingeben.“

Existenzängste

Durchschnittlich könne ein europäischer Muay-Thai-Kämpfer mit zehn bis 15 Profi-Kämpfen im Gepäck „eine Gage von 1.000 bis 1.500 Euro pro Kampf verlangen“, so Haas. Verletze man sich und müsse einen Kampf absagen, sei man direkt mit Existenzängsten konfrontiert. Dennoch hat er vor einem Jahr die erste Muay-Thai-Föderation Luxemburgs, die MTFL (Muay Thai Federatioun Lëtzebuerg), gegründet.

Im Gegensatz zu anderen Kampfsport-Föderationen ist ihm die Anerkennung der MTFL durch luxemburgische Instanzen nicht wichtig. Er ließ sie durch das Mutterland des Muay Thai anerkennen: Thailand. Dort kenne man den wahren Stellenwert der Kampfsportart. Der Nachteile ist Haas sich bewusst: „Wir kooperieren dennoch mit der FLB (‚Fédération luxembourgeoise de boxe‘, d. Red.), um von einigen Hilfen profitieren zu können und offiziell anerkannt zu werden. Wenn man nämlich nicht im COSL (‚Comité olympique et sportif luxembourgois‘, d. Red.) ist, liest oder hört man kein Wort von sich in den Medien. Wenn ich nicht im COSL bin, kann ich Weltmeister sein, aber bin trotzdem nichts wert.“ Haas ist neben dem Vorzeigesportler aber auch eine umstrittene Figur. Wer seine Fühler in die Muay-Thai-Szene ausstreckt, hört immer wieder die gleichen Vorwürfe: „Ja, so kann ja jeder Europa- oder Weltmeister werden. Einfach mal selbst eine Kampfsport-Föderation gründen und die Titelkämpfe selbst ins Leben rufen“, moniert etwa ein Hobby-Muay-Thai-Kämpfer. Ähnliche Kritik konnte man auch auf diversen Websites nach seinem Gewinn des Weltmeistertitels lesen. Worauf diese Kritiker anspielen, ist die Tatsache, dass Haas nach langer Kampferfahrung im Ausland auf eigene Initiative Europameisterschaften und zuletzt die Weltmeisterschaft im Muay Thai in Luxemburg organisiert hat, selbst angetreten ist und den Titel gewonnen hat.

Hingabe zum Sport

Im Vier-Augen-Gespräch zeigt der Thaiboxer sich gegenüber solchen Vorwürfen gelassen und lässt seinen disziplinierten Kämpferblick kurz erweichen. Er ist sich dieser öffentlichen Wahrnehmung bewusst: „Genau wegen dieses dummen Geredes habe ich mir für den Weltmeistertitel Cédric Muller als Gegner ausgewählt. Vierfacher Weltmeister, 135 Kämpfe. Er hat sogar gegen Saiyok (gilt derzeit als die Nummer eins im Muay Thai, d. Red.) gekämpft. Meine Kritiker sollen sich ruhig mal Mullers Lebenslauf anschauen. Ich habe die Latte hoch gelegt.“ Wenn Haas auf seine Kritiker zu sprechen kommt, lernt man sein Wesen sehr gut kennen. Man versteht seine Motivation, die Hingabe zum Sport, den Drang, sich Gehör zu verschaffen. Aber auch den Frust. „Das Problem ist doch folgendes: Niemand hat mir bisher eine WM organisiert. Welcher belgische, französische oder niederländische Promoter würde das freiwillig tun? Und wenn er es täte, dann nur, wenn er mich für chancenlos hielte und sich beste Chancen für seinen Kämpfer ausmalte.“

Haas ärgert sich bei diesem Thema. Er habe seine ganze Karriere ausschließlich im Ausland gekämpft. Er sei für die luxemburgische Thai-Box-Nationalmannschaft angetreten. Das alles habe aber niemanden interessiert. Dass er die MTFL gegründet habe und sich an der Spitze der Föderation betätige, habe einen einfachen Grund:

„Wenn ich es könnte, würde ich mich nicht um die Föderationsarbeit kümmern. Ich bin Sportler. Ich mache das zwar aus Liebe zum Sport. Aber vor allem, weil ich dazu gezwungen bin. Ich versuche, Luxemburg in dieser Sportart zu promoten. Wer täte es denn sonst?“