ÖsterreichWieder Mordbefehl aus Grosny?

Österreich / Wieder Mordbefehl aus Grosny?
Wollte sich noch vor Kurzem eine kugelsichere Weste kaufen: Nahe Wien ist erneut ein Kadyrow-kritischer Exil-Tschetschene ermordet worden  Foto: AFP/Herbert P. Oczeret

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Die brutale Erschießung eines Exil-Tschetschenen in einem Wiener Vorort am Wochenende entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als Mord mit dem tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow als mutmaßlichem Auftraggeber.

Ein Streit bei einem Autokauf endete in der Nacht auf Sonntag auf einem abgelegenen Betriebsgelände in Gerasdorf bei Wien für Martin B. tödlich. Das war eine erste Vermutung zur Tatursache, die jedoch schnell ad acta gelegt wurde, als ein Sondereinsatzkommando der Polizei wenige Stunden nach den tödlichen Schüssen den mutmaßlichen Täter im 200 Kilometer entfernten Linz stellte und kurz drauf in Wien ein weiterer Tatverdächtiger inhaftiert wurde. Denn die Festgenommenen sind wie das Opfer Tschetschenen und Martin B. hat in der Vergangenheit einiges getan, um seinen gewaltsamen Tod nicht als bloß kriminelles Ereignis wirken zu lassen.

Eigentlich war B. als Mamichan U. geboren, nannte sich auch „Anzor aus Wien“. Der unauffällige österreichische Name steht im Fremdenpass, den der Ex-Polizist zwei Jahre nach seiner Flucht aus der Heimat im Jahr 2007 als anerkannter Flüchtling bekommen hatte. Schon 2009 führte ihn das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz (LVT) als „gefährdete Person aus der tschetschenischen Diaspora“, was seine Ursache in einem spektakulären Mordfall zu Beginn dieses Jahres hatte: Im Januar 2009 war der tschetschenische Asylwerber Umar Israilov in Wien Floridsdorf auf offener Straße erschossen worden.

Der damals 27-Jährige hatte beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen den autoritären Herrscher von Grosny, Ramsan Kadyrow, ein mit vielen Beweismitteln unterfüttertes Verfahren wegen Folter-Vorwürfen angestrengt, was offenbar sein Todesurteil bedeutete. Der Haupttäter, ein Tschetschene, konnte flüchten, drei Mittäter wurden 2011 in Wien zu 16 und 19 Jahren bzw. lebenslanger Haft verurteilt. Einer der wichtigsten Zeugen in dem Verfahren war Martin B., der aus demselben Dorf wie Israilov stammte und auch dessen Mörder kannte.

Vor Anschlag in Kiew gewarnt, den eigenen Tod befürchtet

Dieser Mordfall war nicht der einzige, in dem der Name Mamichan U. alias Martin B. auftauchte. So hatte er vor drei Jahren vor einem russischen Killerkommando in der Ukraine gewarnt. Tatsächlich wurde im Oktober 2017 in Kiew auf den damaligen nationalistischen Parlamentsabgeordneten Igor Mossijtschuk ein Anschlag verübt, den dieser zwar überlebte, nicht aber sein Leibwächter und ein unbeteiligter Passant. Mossijtschuk vermutete tschetschenische Auftragskiller hinter der Tat, was aber nicht bewiesen werden konnte. Martin B. wurde von den ukrainischen Vermittlern als Zeuge geführt.

Welche Rolle der Flüchtling wirklich spielte, liegt noch im Dunkeln. Er dürfte mit dem österreichischen Verfassungsschutz zusammengearbeitet haben, womit er gegenüber Landsleuten sogar prahlte. Ein unbeschriebenes Blatt war er aber selber nicht: Bis September 2019 verbüßte er eine längere Haftstrafe, die er wegen Schlepperei, Vortäuschung einer Straftat und falscher Zeugenaussage bekommen hatte. Ohne Zweifel war er aber ein entschiedener Gegner des tschetschenischen Potentaten Kadyrow, was diesem nicht entgangen sein konnte: Seit April hatte Martin B. auf Youtube nicht weniger als 29 Videos veröffentlicht, in denen er Kadyrow und dessen Clan nicht nur kritisierte, sondern auf das Wüsteste beschimpfte.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt war er in der tschetschenischen Community eine Berühmtheit, seine Kadyrow-Schmähungen wurden millionenfach angeklickt. Es sei allen klar gewesen, dass das nicht gut gehen könne, sagt ein Wiener Exil-Tschetschene. Es kursierten schon Gerüchte über einen Mordauftrag und das ausgesetzte Kopfgeld. Auch Martin B. dürfte erkannt haben, dass er sich nun selber im Visier befand. Im Juni hatte er den inzwischen Ex-Abgeordneten Mossijtschuk ersucht, ihn beim Kauf einer kugelsicheren Weste in Israel zu unterstützen. Ob die Weste überhaupt in Wien ankam, ist unbekannt. Auf jeden Fall hatte Martin B. keine an, als er in der Nacht zum Sonntag in Gerasdorf regelrecht hingerichtet wurde.