Bosnien-HerzegowinaNeu-Bürgermeisterin Benjamina Karic will in Sarajevo Zeichen der Aussöhnung setzen

Bosnien-Herzegowina / Neu-Bürgermeisterin Benjamina Karic will in Sarajevo Zeichen der Aussöhnung setzen
Vergangene Woche wurde in Sarajevo gegen die bosnische Regierung demonstriert: Die Menschen im Land wollen einen politischen Wandel Foto: AFP/Elvis Barukcic

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Weltoffen, klug und jung: Sarajevos Oberbürgermeisterin Benjamina Karic will ausgerechnet im zerrissenen Vielvölkerstaat Bosnien und Herzegowina den multikulturellen Neuaufbruch wagen. Die 30-jährige Sozialdemokratin streitet gegen Korruption – und für eine neue politische Kultur.

Neue Besen fegen anders. Als erste Amtshandlung hat sich Sarajevos neue Oberbürgermeisterin Benjamina Karic in dieser Woche von ihrer von ihrem Vorgänger widerrechtlich angeschafften Dienstlimousine getrennt. Sie habe Anweisung erteilt, „den schwarzen Passat zu verkaufen“, und werde bei Bedarf eben ein anderes verfügbares Fahrzeug des kommunalen Fuhrparks nutzen, ließ die 30-jährige Sozialdemokratin wissen: „Wir werden uns ohnehin alle auf der Straße sehen.“

Ein neues Gesicht sorgt in Bosniens Hauptstadt für frischen Wind. Sarajevo sei eine „freisinnige und kosmopolitische“ Metropole, so das Credo der neuen Rathauschefin. In der Vielvölkerstadt gebe es seit Jahrhunderten Moscheen, Synagogen, katholische und orthodoxe Kirchen: „Wir tragen die Multikulturalität in uns, die Liebe gegenüber den Nachbarn, der Stadt und ihren Kulturdenkmälern.“ Der Respekt gegenüber anderen Religionen und Traditionen sei in der Stadt „tief verwurzelt“: „Teilungen erkenne ich weder an noch unterstütze ich sie. Meine Mission ist, dass wir uns vereinen.“

Weltoffen, klug und jung: Ausgerechnet in dem seit den Schrecken des Bosnienkriegs (1992-1995) tief zerrissenen Vielvölkerstaat will die engagierte Jung-Politikerin den multikulturellen Neuaufbruch wagen. Persönlich lebt die schon zu Studienzeiten ausgezeichnete Juristin und Historikerin die von ihr propagierte Überwindung der ethnischen Verwerfungen schon länger vor.

Im Gegensatz zu den meisten ihrer Landsleute fühlt sich die engagierte Mutter keiner von Bosniens drei „konstitutiven Nationen“ der muslimischen Bosniaken, Serben und Kroaten zugehörig, sondern hat sich zur Gruppe der „Übrigen“ bekannt. Dazu zählen nicht nur Bosniens kleinere Minderheiten, sondern auch Kinder aus gemischten Familien und antinationalistische Freigeister. Für die Selbstklassifizierung als „Übrige“ nimmt die eloquente Vizechefin der SDP auch die Einschränkung ihrer politischen Karriereperspektiven in Kauf: Denn bisher können laut Bosniens Verfassung nur Angehörige der drei größten Nationen ins nationale Parlament oder ins Staatspräsidium gewählt werden.

Unablässig halten die geschäftstüchtigen Strippenzieher in Bosniens dysfunktionalem Staatslabyrinth die ethnischen Spannungen für den eigenen Machterhalt bewusst am Köcheln: Auch die Furcht vor einem neuen Krieg und das mit nationalistischen Gepolter geschürte Misstrauen vor den anderen Ethnien lässt viele Bosnier an Wahltagen sich meist hinter die korrupten Vormänner der eigenen Volksgruppe scharen.

Akzente für eine „andere politische Kultur“

Auch das einst als „Europas Jerusalem“ gepriesene Sarajevo hat seit Kriegsende viel von seinem liberalen Charakter verloren. Doch bei den Kommunalwahlen im November setzte sich in der jahrzehntelang von der konservativ-muslimischen SDA dominierten Hauptstadt überraschend ein linksliberales Vierparteienbündnis unter Führung der SDP durch. Groß war indes das Entsetzen, als der antinationalistische Wähleraufbruch schon früh an Intrigen und Streitigkeiten in den Reihen der Wahlsieger zu scheitern drohte.

Als Bosniens serbischstämmige, von der SDP aufgebotene Politikerlegende Bogic Bogicevic Ende März im ersten Wahlgang durchfiel, zog dieser seine Kandidatur ernüchtert zurück. Mit der Nominierung von Karic gelang es der SDP, die Politturbulenzen zu beenden: Einstimmig wurde die Juristin und Historikerin an ihrem 30. Geburtstag zur Oberbürgermeisterin gewählt.

„Null-Toleranz“ gegenüber dem Landesübel der Korruption verkündet die Sozialdemokratin. Die Mittel für den angekündigten Feldzug gegen die Vetternwirtschaft sind in ihrer eher repräsentativen Funktion als Oberbürgermeisterin allerdings beschränkt. Die Stadtteilkommunen und der Kanton von Sarajevo verfügen über wesentlich mehr Mittel und Macht als die zentrale Stadtverwaltung. Mit einer möglichst transparenten Amtsführung und landesweiten umweltpolitischen Initiativen hofft sie aber zumindest Akzente für eine „andere politische Kultur“ in ihrem Land zu setzen: „Auch der längste Weg beginnt mit kleinen Schritten.“