Luxemburg-StadtVom Verpflegungsort für Pilger zum Volksfest: Der „Oktavmäertchen“ 

Luxemburg-Stadt / Vom Verpflegungsort für Pilger zum Volksfest: Der „Oktavmäertchen“ 
Viele Pilger mussten sich nach ihrer Reise erst mal stärken  Foto: Pierre Charles Schoren

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Der „Mäertchen“ ist wieder in der Hauptstadt und damit ein Termin, der in Luxemburg schon lange Tradition hat. Er ist eng mit der Wallfahrt zum Bildnis der Trösterin der Betrübten, der Mutter Gottes, verbunden. Hier ein kleiner Überblick, woher die Tradition kommt. 

Schon vor vielen Jahrhunderten pilgerten die Menschen aus weit entlegenen Orten zum Gnadenbild in der Kapelle am Glacis in Luxemburg-Stadt. Später dann auch zur Kathedrale. Mitten in der Nacht brachen viele von ihnen auf, um betend und singend, in Begleitung der örtlichen Musikkapellen, den langen Weg in die Stadt zurückzulegen. Bis Anfang der 1960er Jahre durften die Gläubigen vor der Kommunion nichts essen. Und so lag es auf der Hand, sich nach den Strapazen und dem Gottesdienst auf dem „Mäertchen“ zu stärken. 

Bereits 1625 soll am Glacis, in unmittelbarer Nähe der sogenannten „Neipuerts“-Kapelle, ein „Mäertchen“ stattgefunden haben. Diese Kapelle wurde zwischen 1625 und 1627 an der Ecke des Liebfrauenfriedhofs an der Kreuzung Avenue de la Faïencerie – Allée des Résistants et des Déportés errichtet. Darin befand sich eine Statue der Trösterin der Betrübten. Jährlich pilgerten tausende Gläubige zur Kapelle. Im Jahr 1639 wurde das Gnadenbild in die Jesuitenkirche (heutige Kathedrale) übertragen und dort während acht Tagen verehrt – was auch der Ursprung für die Bezeichnung „Oktav“ ist. Zum Abschluss wurde das Gnadenbild in einer feierlichen Schlussprozession zurück zur Kapelle auf dem Glacis getragen.

Während der Französischen Revolution wurde das Mobiliar versteigert und die Kapelle 1796 abgerissen. Die Statue der Trösterin der Betrübten wurde infolgedessen in der heutigen Kathedrale aufgestellt. Sie wurde 1678 zur Schutzpatronin des damaligen Herzogtums Luxemburg und der Grafschaft von Chiny gewählt. Die achttägige „Oktav“ wurde erstmals 1898 verlängert, ein zweites Mal im Jahr 1921, auf zwei Wochen.

Eine Postkarte zeigt die Rückfahrt einiger Pilger nach der Oktavmesse
Eine Postkarte zeigt die Rückfahrt einiger Pilger nach der Oktavmesse Foto: Fotograf unbekannt, Aufnahme um 1900

Handelsfreudige Pilger

Fast genauso wichtig wie die Verpflegung am Wallfahrtsort war das Angebot des sogenannten Devotionalienhandels, also der Verkauf von Andenken an die jährliche Pilgerreise. Um 1900 war den Verkäufern dieser Andenken ein fester Platz zur Seite der rue du Fossé und der rue de la Reine zugewiesen. Die Gläubigen kauften diese aber nicht nur für sich selbst, sondern auch für Angehörige und Bekannte. Seit jeher war es üblich, Andachtsbilder, Figürchen, Medaillen oder Pilgerzeichen mit nach Hause zu bringen. Ab 1970 gab der Missionsverein ein massives Andenken aus: eine „Taak“ von Louis Rivodini, hergestellt in Kayl. 

Die Standplätze waren scheinbar heiß begehrt. Im Tageblatt vom 25. April 1938 etwa rief die Stadtverwaltung zur Versteigerung der Plätze auf. Diese fand vier Tage später statt; zugelassen war der Handel von Kaffee, Zucker- und Spielwaren. Willkommen waren auch „Kirmesbuden” sowie Verkäufer von religiösen Andenken und Obst.

In den 1920er Jahren lockten die Geschäftsleute in der Hauptstadt mit Sonderangeboten. Immerhin reisten die Menschen aus dem ländlichen Raum zu dem Zeitpunkt eher selten in die Stadt. Also eine gute Gelegenheit, Lagerware unters Volk zu bringen. So warb etwa 1925 Rudolf Frischbier aus der Zithastraße mit 10 Prozent Nachlass auf Decken, Matratzen und Textilien. Im Modehaus „Au Costume Elégant” in der rue du Curé gab es ebenfalls Nachlass, in der Werbeanzeige geht die Rede von „extrem billig“.

Und auch Ende der 1960er bis in die 1970er wusste der Einzelhandel die Oktave für sich zu nutzen. Ein „wertvolles, gediegenes und kostbares Andenken“ gab der Verband der Uhrmacher und Goldschmiede im Jahre 1966 heraus. Anlass war die Dreihundertjahrfeier der Widmung der Stadt und des Landes an die Trösterin der Betrübten. Die Nachfrage war so groß, dass laut einer Mitteilung im „Luxemburger Wort“ von 1970 eine Neuauflage dieser Medaille veranlasst wurde. Die Muttergottesmedaille war in 18-karätigem Gold und in Silber erhältlich.

Reges Treiben am Knuedler zeigt diese Postkarte 
Reges Treiben am Knuedler zeigt diese Postkarte  Foto: Charles Bernhoeft, um 1900

Weg vom kirchlichen Beginn

Im Laufe der Jahre erlebte der Markt schrittweise einen Wandel zu einem Vergnügungsmarkt bzw. einem Volksfest. Das Angebot an Andenken und Rosenkränzen ist deutlich kleiner geworden. Heute ist der „Mäertchen“ vor allem ein sozialer Treffpunkt. Zwar treffen sich dort weiter Gläubige nach den Gottesdiensten, in der Mittagspause suchen Angestellte aber auch die gastronomische Abwechslung. Sprich: „Gromperkichelcher“, Grillspezialitäten oder den „gebakene Fësch“. Für andere Menschen wiederum ist es ein beliebter Treffpunkt, um gemeinsam mit Freunden und Bekannten eine Runde über den Markt zu drehen. Die kleinen Besucher ihrerseits dürfen sich über Fahrgeschäfte und das „Entenfischen“ freuen, zwischendurch gibt es Süßwaren, gebrannte Nüsse und Mandeln oder eine leckere Zuckerwatte. Fehlen darf auf keinen Fall die traditionelle „Gaufre aux fraises“ mit Schlagsahne.

Große Restaurants gibt es 2023, wie schon im vergangenen Jahr, keine, die place de la Constitution ist zu klein. Ob die heutigen Preise für eine Grillwurst gerechtfertigt sind, sei dahingestellt. Aber Diskussionen um Preis/Leistung sind nicht neu: Bereits 1973 beschwerte sich die ULC in einer Pressemitteilung über die „schnöden schamlosen Kleinkrämer“, die keine Gelegenheit auslassen würden, schutzlose Bürger aus Stadt und Land auszubeuten. Im Mittelpunkt der deftigen Pressemitteilung stehen Bratwürste, die für „18 inflationsschwangere Franken“ verkauft würden. Und dem Fass den Boden ausschlagen würde der Aufpreis von zwei Franken für eine „Prise Senf“, so die Beschwerde der ULC, die zudem die Frage nach der (nicht) bestehenden Preisüberwachung stellt.

Nach wie vor bleibt der Besuch des „Märtchen“ eine Tradition, verbunden mit Erinnerungen an die eigene Kindheit und Jugend. Eine Oktav ohne diese Attraktion wäre undenkbar, hier lassen sich auch Politiker und Menschen aus allen Gesellschaftsschichten gerne blicken.

Muttergottes-Statue in der „Porte Neuve“ zur Erinnerung an die Wallfahrt in der „Neipuerts“-Kapelle. Alle Ansichtskarten stammen aus der Sammlung von Martine Feller.
Muttergottes-Statue in der „Porte Neuve“ zur Erinnerung an die Wallfahrt in der „Neipuerts“-Kapelle. Alle Ansichtskarten stammen aus der Sammlung von Martine Feller.  Foto: Charles Bernhoeft, um 1900
Irma
4. Mai 2023 - 11.09

Was für Pilger? Die werden doch nicht heutzutage noch die Strassen versperren mit ihrem Umzug für ihren unsichtbaren Freund?