Luxemburg„Immer mehr Anreize, um nicht auf der Arbeit zu sein“: Fedil will mehr Freiheiten für Firmen

Luxemburg / „Immer mehr Anreize, um nicht auf der Arbeit zu sein“: Fedil will mehr Freiheiten für Firmen
René Winkin mit Michèle Detaille Foto: Editpress/Julien Garroy

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Im Rahmen seiner Jahreshauptversammlung hat der Unternehmensverband Fedil gegenüber der Presse seine Sorgen und Feststellungen mitgeteilt. Zudem hat die Fedil eine Liste mit ihren Wünschen, was die Wahlprogramme in diesem Jahr anbelangt, vorgelegt. Dazu zählen eine ambitioniertere Industriepolitik und eine Erhöhung der effektiven Arbeitszeit.

Das aktuelle Umfeld sei für viele Luxemburger Unternehmen sehr schwierig, erklärte der Verband am Donnerstagmorgen. In ganz Europa habe sich die wettbewerbliche Situation verschlechtert, so Fedil-Direktor René Winkin. Es sei demnach richtig und wichtig, dass der Staatenblock sich eine eigene Industriepolitik gibt. Es gelte, auf Maßnahmen wie den US-amerikanischen „Inflation Reduction Act“ oder den letzten Fünf-Jahres-Plan aus China zu reagieren.

Weltweit seien die ausländischen Direktinvestitionen wieder am Steigen, hob er weiter hervor. „Nur in der EU gehen sie weiter zurück. (…) Das bereitet Sorgen.“ Gleichzeitig kämen auch kaum neue, gewichtige industrielle Akteure mehr nach Luxemburg. Dabei sei dies überaus wichtig, da es von Zeit zu Zeit gelte, die Struktur der Industrie in einem Land zu erneuern.

Unter Druck stehe Europas Industrie auch in Bezug auf die Vorbereitung einer CO₂-neutralen Zukunft, so Winkin weiter. „Die einfachen Sachen sind bereits gemacht.“ Doch während CO2-Verschmutzungszertifikate immer teurer werden, fehle es beispielsweise an einer Infrastruktur für Wasserstoff.

Es reiche derweil nicht aus, dass die Politik einfach nur Ziele festlege, wie etwa „ein in Europa zu produzierender Anteil der benötigten Wärmepumpen“, so der Sprecher der Unternehmen. „Das allein bringt keine Leistung.“ Verglichen mit den internationalen Wettbewerbern aus den USA oder Asien, hätten vor allem europäische Firmen mit „einem nicht sehr günstigen Umfeld“ zu kämpfen. Dabei denkt er an die hohen Energiepreise, eine schwerfällige Regulierung und an eine nur wenig günstige Besteuerung. „Insgesamt hat sich das regulatorische Umfeld verschlechtert“, so Winkin.

Europas Wettbewerbsfähigkeit ist geschwächt

Neben angemesseneren Preisen für die Energie müsse Europa auch wieder mehr Anstrengungen in puncto internationale Handelsverträge unternehmen, unterstrich er. Das hochgelobte Potenzial einer Kreislaufwirtschaft (Wiederverwertung von Rohstoffen) werde nämlich bei weitem nicht ausreichen, um den Bedarf an gewissen Materialien zu decken. Etwa beim Kobalt oder bei Lithium wird in den kommenden Jahren mit einer Vervielfachung der Nachfrage gerechnet. Handelsverträge seien demnach wichtig, um Abhängigkeiten von einzelnen Quellen oder Zulieferern zu vermeiden.

Gleichzeitig „brauchen wir auch mehr Binnenmarkt“, betonte er weiter. Dieser sei in den letzten Jahren zunehmend zerstückelt worden. Die Kommission erlaube zu viele nationale Sonderwege. „Doch wenn in Europa jedes Land andere Standards anwendet, dann sind die Konkurrenten aus anderen, größeren Ländern besser aufgestellt. (…) Es ist die einheitliche EU-Politik, die den Standort stark macht.“

Insgesamt „ist es wichtig, den Trend der Desindustrialisierung zu stoppen“, so Winkin weiter. Er sieht die Schaffung von speziellen Zonen für gewisse Wirtschaftsaktivitäten als eine mögliche Lösung, um schneller voranzukommen. Er befürchtet aber, dass das aktuelle Regelwerk trotzdem weiter dazu führen wird, den Aufbau jeglicher neuer Aktivitäten zu verlangsamen.

Da in diesem Jahr hierzulande Wahlen anstehen, hat die Fedil als Sprachrohr von fast 700 Unternehmens-Mitgliedern auch eine eigene Wunschliste an die Luxemburger Parteien erstellt. Man wolle darauf hinweisen, dass die Industrien kein „Verursacher von Problemen, sondern ein Lieferant von Lösungen sind“, hob Fedil-Präsidentin Michèle Detaille hervor. Sie erklärte, dass man auf Innovation setzen, neue industrielle Projekte nicht entmutigen und den ökologischen Wandel nicht durch „Überreglementierung“ bremsen solle.

„Immer mehr Anreize, um nicht auf der Arbeit zu sein“

Im Forderungskatalog zu den Wahlen steht zu lesen, dass man vorschlage, „die effektive Arbeitszeit der Angestellten zu erhöhen“. Hintergrund sei, dass die tatsächlich gearbeitete Arbeitszeit in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen sei, sagte Fedil-Generalsekretär Marc Kieffer auf Nachfrage. Das liege unter anderem an einem attraktiveren Elternurlaub. Als dieser eingeführt wurde, sei den Unternehmen im Gegenzug mehr Flexibilität bei der Gestaltung der Arbeitszeit-Modalitäten versprochen worden, sagte er. Das sei jedoch nie passiert.

Heute werde derweil im Schnitt weniger als 40 Stunden gearbeitet, so Kieffer weiter. Besonders missfällt den Unternehmensvertretern, dass schnell viele Überstunden anfallen. Der Rahmen, den die Politik gesteckt habe, sei einfach nicht für alle Unternehmen passend. Gleichzeitig „werden immer mehr Anreize geschaffen, um nicht auf der Arbeit zu sein“, so Kieffer. Die gearbeitete Zeit gehe damit immer weiter zurück.

Als geradezu „unverantwortlich“ bezeichnete die Fedil alle aktuellen Vorschläge, die darauf abzielen, die offizielle Arbeitszeit zu verkürzen. Mit dem vorherrschenden Mangel an Fachkräften würde das nur zu noch mehr Überstunden führen, klagte sie. Insgesamt wünsche man sich, dass Unternehmen hierzulande deutlich mehr Flexibilität bei der Gestaltung der Arbeitszeit-Modalitäten erhalten sollen, so Michèle Detaille. Das Mehr an Flexibilität würde dann Unternehmen und den Arbeitnehmern zugutekommen.

Einige Vorschläge aus dem Katalog 
Einige Vorschläge aus dem Katalog 

Es brauche eine „angepasste Herangehensweise“, die innerhalb des Betriebes, im Sozialdialog mit den Mitarbeitern ausgehandelt werde, erklärte Kieffer die Überlegungen weiter. „Wir wollen kein Gesetz nach dem Motto ‚one size fits all’“, fügte Winkin hinzu. „Wir wollen Freiheit für die Betriebe.“ Das Unternehmen wie auch die Mitarbeiter müssten das alles selber entscheiden können. In Zeiten von Fachkräftemangel seien die Betriebe zudem automatisch verpflichtet, auf die Wünsche der Mitarbeiter einzugehen.

Bestehende Urlaubsregelungen und Feiertage wolle man nicht abschaffen, so Kieffer auf Nachfrage weiter. Was man wolle, sei, „die künstliche Schaffung von Überstunden zu vermeiden“. Gleichzeitig wünscht sich die Fedil auch eine „bessere Überprüfung“ von Krankenscheinen und ein „weniger attraktives Ersatzeinkommen“. Alles mit dem Ziel, „die Anwesenheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz zu erhöhen“.

Ein Vorteil wird zum Nachteil

Was Energiepreise in Luxemburg angeht, so beklagt die Fedil eine noch ungünstigere Preisentwicklung als in den Nachbarländern. „Was in der Vergangenheit ein Pluspunkt war, hat sich gedreht und ist zu einem Nachteil geworden“, sagte René Winkin.

Zur Erklärung: Luxemburg ist abhängig von Strom-Importen. Nur rund 20 Prozent werden im Lande produziert. Der verbrauchte Strom für die Luxemburger Wirtschaft wird demnach an der Börse gekauft. Traditionell waren hier die Preise günstig und die Luxemburger Steuern leicht niedriger als anderswo. Nun jedoch hat die Lage sich gedreht: Gas, die einstige Basis für den billigen Strom, ist heute teurer. Gleichzeitig ist auch der Preis für CO₂-Zertifikate deutlich gestiegen. Die billigeren Produktionskosten der erneuerbaren Energien seien jedoch noch nicht auf dem Markt zu spüren.

Luxemburger Industrie-Unternehmen hätten zu Jahresbeginn eine Verdreifachung ihres Anteils an den Netzkosten hinnehmen müssen, so Winkin. Das liege an Spezifitäten des deutschen Netzes, an das Luxemburg angeschlossen ist. In Deutschland würden die Firmen da größtenteils vom Staat entschädigt. In Luxemburg sei das jedoch nicht so einfach. „Die großen Länder machen das“, so der Fedil-Direktor. Bei kleineren Ländern gebe es jedoch schnell einen Einspruch der EU-Kommission. Auch Frankreichs Regierung hat den Preis für Atom-Strom gedeckelt, den die Firmen des Landes kaufen können.

„Luxemburg ist jetzt wohl eines der teuersten Länder, was Energie angeht“, so Winkin. Man sehe, dass das Funktionieren des EU-Binnenmarktes sich zuletzt verschlechtert hat. „Wir hoffen jetzt auf eine Reform des EU-Strommarktes.“ Die Fedil befürchtet aber, dass das noch dauern wird. Erst müsse der Anteil der Erneuerbaren an der Produktion wohl noch deutlich zulegen.

 Foto: Editpress/Julien Garroy

Grober J-P.
16. März 2023 - 22.13

"beim Kobalt oder bei Lithium wird in den kommenden Jahren mit einer Vervielfachung der Nachfrage gerechnet." Dann bitte mal informieren lassen wieviel noch vorhanden ist! Was hat der Mann früher mal getan?

Grober J-P.
16. März 2023 - 22.05

„ist es wichtig, den Trend der Desindustrialisierung zu stoppen“, Jawoll, er hat's!

Grober J-P.
16. März 2023 - 21.59

"Heute werde derweil im Schnitt weniger als 40 Stunden gearbeitet, so Kieffer weiter. Besonders missfällt den Unternehmensvertretern, dass schnell viele Überstunden anfallen." He? Jetzt bin ich wieder raus!