„Inkohärent“ oder „demokratisch“?

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Geht es nach der aktuellen Regierung, sollen 16-Jährige ein fundamentales Recht erhalten: das Wahlrecht. Am Sonntag organisierte das Jugendparlament eine Debatte zu diesem Thema.

Der 16. Geburtstag bringt für Jugendliche eine neue Selbstständigkeit mit sich. Sie sind nicht mehr schulpflichtig und dürfen zum ersten Mal den Mofa-Führerschein machen sowie legal Alkohol trinken. Dennoch bleiben sie minderjährig und somit nicht automatisch schuldfähig. Geht es nach der aktuellen Regierung, soll ein zusätzliches fundamentales Recht für 16-Jährige hinzukommen: das Wahlrecht.

Österreich als Pionier

In Europa dürfen 16-Jährige nur in Österreich an Parlamentswahlen teilnehmen. In allen anderen europäischen Staaten darf man erst mit 18 Jahren an die Wahl-Urne treten.

Auch im Rest der Welt sieht es für 16-Jährige düster aus. Nur in wenigen Staaten wie Brasilien, Kuba oder Nicaragua dürfen sie wählen. Erst mit 21 Jahren darf man in Kamerun, dem Libanon und Nigeria seine Stimme abgeben. In Japan, Marokko und Tunesien muss man 20 Jahre alt sein.

In Deutschland dürfen 16-Jährige in einigen Bundesländern an den Landtagswahlen teilnehmen. Hierzu gehören unter anderem Schleswig-Holstein, Brandenburg und Baden-Württemberg. In Luxemburg musste man bis 1972 21 Jahre alt sein, um wählen zu dürfen.

(dvv)

Vor dem Hintergrund des Verfassungsreferendums organisierte das Jugendparlament eine Diskussionsrunde, bei der Abgeordnete der im Parlament vertretenen Parteien über das Pro und Contra dieses Reformvorhabens debattierten.

Deutliche Fronten

Die Fronten wurden bei der Diskussionsrunde schnell deutlich. Die Gegner des Wahlrechts ab 16 Jahren, Gast Gibéryen (ADR) und Laurent Zeimet (CSV), standen den Befürwortern Eugène Berger (DP), Alex Bodry (LSAP), Claude Adam („déi gréng“), Justin Turpel („déi Lénk“) sowie der Mehrheit des jungen Publikums, gegenüber.

Gleich zu Beginn bekannten die Politiker Farbe und gingen schonungslos und in aller Deutlichkeit auf ihre Argumente ein. Gaston Gibéryen attestierte vor einem jungen Publikum der Mehrheit der Jugendlichen „eine mangelnde politische Kenntnis“ und eine „Unfähigkeit, in voller Verantwortung eine politische Entscheidung zu treffen“. Jede Grenzsetzung sei nun mal arbiträr, aber die Jugendlichen hätten ja die Möglichkeit, sich politisch zu engagieren auch ohne zu wählen.

Der Generalsekretär der CSV, Laurent Zeimet, ging ebenfalls ohne Umwege auf die aus seiner Sicht zahlreichen Nachteile eines Wahlrechts ab 16 Jahren ein: „Man braucht eine Kohärenz zwischen dem Wahlalter und der Volljährigkeit, ein Alter, ab dem man auch rechtlich Verantwortung tragen muss. Andernfalls können wir das Wahlrecht auch auf 14 Jahre herabsetzen.“

Der CSV-Politiker monierte zudem den Widerspruch, ab 16 Jahren wählen zu dürfen, aber nicht wählbar zu sein: „Das aktive und das passive Wahlrecht zu trennen ergibt keinen Sinn“, so Zeimet.

Die Befürworter der geplanten Reform, welche ein fakultatives und aktives Wahlrecht ab 16 Jahren vorsieht, widersprachen Zeimet und Gibéryen vehement. Laut Eugène Berger waren das Wahlrecht und das Zivil- beziehungsweise Strafrecht oft nicht gekoppelt: „Man denke nur an das Wahlrecht für Frauen ab 1919. Noch viele Jahrzehnte späte hatten die Frauen nicht alle Zivilrechte. Eine solche Koppelung war noch nie zwingend, warum sollte sie es jetzt sein?“ Claude Adam bezweifelt seinerseits die angeblich bedeutende Unkenntnis der Jugend: „Viele Jugendliche engagieren sich politisch. Davon abgesehen gibt es viele Erwachsene, die manipulierbar sind und sich nicht für Politik interessieren, und die dürfen auch wählen.“

Der LSAP-Fraktionsvorsitzende Alex Bodry reagierte auf die Behauptung, das passive und aktive Wahlrecht müssten gekoppelt sein: „16-Jährige erhalten kein passives Wahlrecht, weil sie rein strafrechtlich nicht automatisch voll schuldfähig sind. So ist es beispielsweise schwer vorstellbar, dass ein gewählter Jugendlicher Abgeordneter wird, weil er sich auch rechtlich in diesem Amt verantworten muss.“

Berger und Bodry wiesen zudem darauf hin, dass eine Demokratie von der Beteiligung lebe. „Die Leute müssen mitbestimmen dürfen, denn die Entscheidungen des Parlaments betreffen auch Jugendliche“, so Berger. Das Wahlalter auf 16 Jahre herabzusetzen sei somit ein demokratischer Vorgang.

Gleichgewicht

Bodry wies zudem darauf hin, dass „wir die älteste Wahlbevölkerung Europas haben. Hier geht es um ein Gleichgewicht innerhalb der Gesellschaft. Wir müssen den jungen Leuten vertrauen.“ In einem Punkt waren sich jedoch alle Abgeordneten einig: die politische Bildung in der Schule sollte verbessert werden. Die sogenannte „instruction civique“ reiche nicht aus und dürfe nicht erst mit 16 oder 17 Jahren im Schulprogramm auftauchen. Turpel und Bodry sprachen sich für eine höhere Präsenz politischer Themen in der Schule aus. Einzig Berger relativierte diese Haltung ein wenig: „Die Staatsbürgerkunde ist wichtig, aber nicht alles. Viele Erwachsene hatten nie ein solches Fach und dürfen trotzdem wählen. Man darf die Anforderungen an die Jugend nicht zu hoch setzen. Eine reflektierte und unabhängige Meinung bildet sich auch durch das Elternhaus und den Freundeskreis.“

Ob es letztlich beim Referendum am 7. Juni über das Wahlrecht ab 16 Jahren spannend wird, darf bezweifelt werden. Laut der letzten TNS-Ilres-Umfrage zu diesem Thema sprechen sich nur 33 Prozent für eine Reform aus.