„Hier hat jemand den Lauf der Zeit angehalten“

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Nicht schön, sondern fast schon hässlich wirkt das Gebäude der „Charlys Gare“ beim hauptstädtischen Park. Interessant ist allemal das 50er-Jahre-Feeling im Innenraum. Jean-Marie Backes

Luxemburg – Graffiti an den Außenwänden, ein Zeitungsladen mit ebenso ungewöhnlichen Öffnungszeiten (samstags geschlossen). Dieses Gebäude, das die Stadt Luxemburg vor einigen Jahren erwarb, dient immer noch als „Bahnhof“ für viele Buslinien. Seit einigen Jahren ist der Kundenservice für die Reisenden gleich null und doch birgt der Warteraum einige Überraschungen. Es lohnt sich, den sauberen, aber öde wirkenden Warteraum zu besuchen. Hier ist die Zeit stehen geblieben. Der Stromzähler oben auf der Wand klickt manchmal. Tickets gib es im Zeitungsladen nebenan, sagt ein Schild, und der Fahrplan ist seit Ende 2002 abgelaufen. Der Besucher lässt sich auf der unbequemen Plastikschale nieder, entlang der öden Kachelwand bemerkt er ein Plakat, das leicht vergilbt in einem Glasrahmen angebracht ist. Dieses Plakat ist das „Reglement d’adminstration publique sur la police, la sûreté et l‘exploitation des chemins de fer.“ Das Reglement stammt vom 23. Juni 1952 und wurde von Großherzogin Charlotte und dem Minister für Transport und Justiz, Victor Bodson, unterzeichnet. Als Grundlage dienten das Gesetz vom 17.12.1859 und die Konvention vom 16. Juni 1947 („Convention belge-franco-luxembourgeoise“). Für dieses Plakat und Reglement sollte man sich Zeit nehmen. Hier werden die Bahnfahrten reglementiert und der Benutzer musste höllisch aufpassen, damit keine Tiere die Gleise blockieren, und natürlich ist man gehalten, den Anweisungen des Bahnpersonals und der Bahnpolizei zu folgen. Es gibt mehrere Aufrufe zur öffentlichen Ordnung, wobei der Artikel 58 („défense de cracher ailleurs que dans les crachoirs disposés à cet effet“) einer der skurrilsten ist.

Ungewisse Zukunft

Was mit dem Gebäude der „Charlys Gare“ geschieht, steht noch nicht fest. Vorgesehen war hier ein Rastraum für Busfahrer, doch die Abfahrt der meisten Busse hat sich verlagert. Das öffentliche WC am Hintereingang ist seit langer Zeit aus Sicherheitsgründen geschlossen. Die Stadt Luxemburg stellte in der Nähe eine „Sanisette“ auf. Reparaturbedürftig ist das Gebäude allemal und wenn nun in der Villa Vauban nebenan die neuen Ausstellungsräume mit ihrer modernen Architektur fertig sind, täten zumindest eine Reparatur des Daches und ein Facelifting der „Charlys Gare“ gut. Der museale Charakter des einmaligen Warteraums ist aber erhaltenswert und das Reglement sowieso absolut lesenswert.