Ein Kampfbudget von einer Milliarde

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(AFP)

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Budget-Sitzung im lothringischen Regionalparlament. Große Auseinandersetzungen gab es nicht am Donnerstag. Zu deutlich ist die linke Mehrheit im Regionalrat. Man kämpfte höflich miteinander.

„Es handelt sich um einen Haushalt des Kampfes“, hatte der Präsident des lothringischen Regionalrates, Jean-Pierre Masseret, in dieser Woche in einem Interview mit der lothringischen Regionalzeitung Républicain Lorrain zu dem Zahlenwerk von einer Milliarde Euro Einnahmen und Ausgaben gesagt.

Und jeder hatte verstanden, dass es sich um einen Kampf-Haushalt zu den Präsidentenwahlen handele sprich um einen Haushalt für eine Auseinandersetzung zwischen links und rechts, wie sie in etwa 90 Tagen bei der Wahl eines neuen Staatspräsidenten ansteht. Masseret aber, seine grauen Haare mit modischem Kurzhaarschnitt tragend, souverän ironisch den Regionalrat führend, hatte die Kampfansage ganz anders gemeint.

Wir brauchen Wachstum

Am Donnerstag früh wurde deutlich, was hinter dem Haushalt 2012 steckt. In Lothringen ist die Arbeitslosigkeit innerhalb eines Jahres um 17 Prozent angestiegen. Die Region mit ihren 2,3 Millionen Einwohnern zählt nun 108.000 Arbeitslose in der offiziellen Statistik.

In Wirklichkeit dürften es einige mehr sein, die von der Statistik nicht erfasst werden. Nimmt man die 100.000 Lothringer hinzu, die ins Saarland, nach Wallonien und nach Luxemburg zur Arbeit fahren, dann weist Lothringen inklusive dieser exportierten Arbeitslosigkeit 208.000 Arbeitslose offiziell auf.

Haushalt gegen soziale Explosion

Das Problem dabei ist: Ältere Arbeitslose haben überhaupt keine Chance, einen Arbeitsplatz zu finden und stellen eine immer größere Gruppe. Und dann gibt es am anderen Ende der Altersspirale die Jugend. Ihr gelingt immer weniger der Einstieg in den Arbeitsmarkt. Frankreich hat an zwei Enden seiner Bevölkerung ein Arbeitslosenproblem. Lothringen tröstet sich zwar damit, dass man im Durchschnitt besser sei als der nationale Durchschnitt, aber das löst das Problem nicht. Auch wenn das Mosel-Departement in den vergangenen zwölf Monaten keine steigende, sondern eine leicht abnehmende Arbeitslosigkeit aufzuweisen hat, weiß der Präsident Lothringens doch, dass er in drei Departements auf einer sozialen Zeitbombe sitzt. Wie die zu entschärfen ist, weiß in Frankreich und damit auch in Lothringen niemand.
Die Bevölkerung aber erwartet vom Staat, dass er dieses Problem löst.

Masseret ist ein gewiefter Politiker, der zu dem eher gemäßigten Spektrum der französischen Sozialisten gehört. Der 64-Jährige legt seinen achten Haushalt als Präsident der Region Lothringen vor. Er befindet sich in seiner zweiten Amtszeit und hatte das Amt des Präsidenten des Regionalrates vor sieben Jahren eher per Zufall gewonnen. Geglaubt hatte er jedenfalls nicht daran. Jetzt, in seiner zweiten Mandatsperiode, hat er den Regionalrat mit seiner Mehrheit des gesamten linken Spektrums voll im Griff. Mit leichter Ironie führt er die Geschäfte, erteilt das Wort mit einem Lächeln und rät dem einen oder anderen die Redezeit nicht mit seinem Lieblingsthema zu verschwenden.

Masseret spielt auf der Instrumentenskala der Ironie, des Scherzes, der Väterlichkeit, lässt aber jeden Moment erkennen, wo er hin will. Die Auseinandersetzung mit Nadine Morano, französische Ministerin der Berufsbildung und Oppositionschefin im Regionalrat, führt er freundlich und ohne Schärfe. Masseret hat zwei Grundeigenschaften, die ihn zum Chef des Regionalrates machen: Er ist ehrlich, führt alle Probleme sachlich auf ihren Grund zurück. Und er vermeidet Polemik und Schärfe. Masseret orientiert sich an der Sache.

Ehrlich, sachlich und ironisch

Was allerdings geschieht, wenn es ihm zu bunt wird, haben die Abgeordneten des interregionalen Parlamentarier-Rates gelernt, als sie ihm mit bohrenden Fragen zu sehr auf den Pelz rückten. Da wurde er laut, verließ den Saal und knallte die Tür von außen zu.

In seiner Eingangsrede zum Haushalt 2012 machte er sich die Deutlichkeit zu eigen, die sein Charakter ist. „Der Verlust des dreifachen ’A’ als Benotung Frankreichs wirft die Frage nach den Wirtschaftswachstum auf. Das ist es, was dahinter steckt“, sagt er. „Wir brauchen Wachstum“, erklärt er. Und überrascht damit. So deutlich haben das Sozialisten in Frankreich bisher nicht ausgedrückt. Und gleichzeitig sagt er damit, dass sein Budget im Rahmen des Möglichen ein Kampf-Budget für Wachstum in Lothringen sein soll. Denn nur mit Wachstum gibt es auch die Arbeitsplätze, die die Region benötigt. Politik, so Masseret als Forderung, müsse die Realität reflektieren. Das Budget einer Region müsse die Region reflektieren.

Keine Freiheit zur Gestaltung

Die Gestaltungsfreiheit dazu habe Lothringen aber nicht, sagt der Vizepräsident für Finanzen. Die Region nämlich lebe von dem, was Paris ihr gebe, dass sie nicht das Recht habe, eigene Steuern zu erheben. Da stoßen sich in Lothringen die Erwartungen und Anforderungen auf der einen Seite und die Möglichkeiten auf der anderen. Frankreich erwartet von seinen 22 Regionalräten, die sich alle in derselben Situation befinden, eine Quadratur des Kreises.