Veteran will US-Flagge nicht rausrücken

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Als Saddam Husseins Statue in Bagdad gestürzt wird, bedeckt ein GI dessen Gesicht mit einer US-Flagge. Nun will sie ein Museum. Doch der Veteran denkt nicht dran, sie rauszurücken – aus Gewissensgründen.

Saddam Hussein wird am 9. April 2003 gestürzt. Nicht politisch, aber symbolisch. An jenem Tag rücken US-Truppen in Bagdad bis zum Firdos-Platz vor, auf dem eine grosse Statue von Saddam Hussein steht. Ein Soldat hält eine US-Flagge vor das Gesicht des Diktators, ein Fotograf hält den Moment fest.

Das Bild vom „Paradies-Platz“ geht ebenso um die Welt, wie die Videos, in denen die Skulptur mit einem Seil umspannt und von einem Truck der US-Armee zu Boden gezerrt wird. Ein CNN-Journalist fühlt sich an „unauslöschliche Momente wie den Fall der Berliner Mauer“ erinnert, während sein Kollege den Moment ausmachte, der „den Tag und in vielerlei Hinsicht den Krieg an sich“ zusammenfassen würde.

Zum zehnjährigen Jubiläum des Ereignisses hätte das „National Museum of the Marine Corps“ gerne jene Flagge in seine Sammlung aufgenommen. Doch der Veteran, der den metallenen Saddam bedeckt hatte, denkt gar nicht daran, sie rauszurücken. Der Grund: Tim McLaughlin will nicht, dass sie für eine Verherrlichung des Krieges genutzt wird. Der heute 35-Jährige sieht in dem damaligen Denkmalsturz von Bagdad eine Propagandaveranstaltung und ist alles andere als stolz, Teil davon gewesen zu sein.

Die Fahne hatte McLaughlin mitgebracht, um sie in einem fremden Land zu fotografieren. „Es war keine große Absicht dahinter“, erinnert er sich im Gespräch mit „Salon“. „Mein Befehlshaber sagte: ‹Hey Mac, wenn du einen Moment Zeit hast, wollen wir ein Bild von deiner Fahne mit Saddams Statue machen.› Sobald das erledigt war, ging ich zu meinem Panzer zurück und habe den Rest des Tages Wache gehalten.“

Erst Wochen später merkt er, was passiert ist. Zeitungen titeln: „Bagdad jubiliert“, „Game Is Over“ oder „Freude in Bagdad“ – darüber sein Bild. Dabei sind die 300 Menschen auf dem Platz keine glücklichen Zivilisten, sondern Soldaten und Vertretern der Presse sind, wie Journalist Peter Maass in einem preisgekörnten Artikel des „New Yorker“ beschreibt. Es ist ein reiner Propaganda-Akt –genau wie 1945 beim Pulitzer-prämierten Bild von Iwojima.

Als McLaughlin vom Irak heimkehrt, trinkt er zu viel. Er kann nicht mehr ohne Medikamente einschlafen und geht nicht mehr unter Leute. Die Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörung. „Das ist keine Störung. Das ist einfach nur eine natürliche Reaktion“, sagt er heute.

Wenn er an den Irak denkt, denkt er an den Zivilisten, den er versehentlich angeschossen hat und der seinen Wunden wohl erlegen ist. Oder an den Kameraden, der bei einem Angriff starb, weil er als Zugführer zögerte. Oder an Feldwebel May, dessen Panzer bei einem Sandsturm in den Euphrat fiel und die gesamte Crew in den Tod riss.

„Müllwagen nähert sich, hält nicht an“

Was ihn umtreibt, hält er im Tagebuch fest. „Müllwagen nähert sich, hält nicht an“, zitiert „DNAInfo New York“ einen Eintrag. Der Amerikaner feuert drei Mal. „20 Frauen, Kinder + Väter kommen schreiend heraus. Durch Gottes Gnade kam niemand ums Leben, obwohl ein Typ ein neues Loch in sich hatte + Tonnen von Blut.“

Mit der Distanz zum Krieg wächst auch die Erkenntnis über seine eigene Rolle darin. „Mit den Jahren wurde mir bewusst, welche Symbolik in dieser Flagge steckt. Aber für mich hat sie davon gar nichts. Und ich will nicht, dass sie wieder welche hat.“ Er schämt sich für seinen Einsatz im Irak „Weil es für mich eine Zeit des Todes und des Tötens war. Ich mag nicht, dass sie die Version der Medien fördert, nach der Kriege sauber und ordentlich sind.“

„Unsere Sichtweise wird meistens gefiltert“

McLaughlin deponiert die Flagge in einem Bankschliessfach. Heute verdient er sein Geld als Anwalt, doch er hat auch eine Organisation ins Leben gerufen, die Obdachlose und Veteranen in juristischen Fragen gratis berät. Mit dem „New Yorker“-Journalist Peter Maass und dem Kriegsfotografen Gary Knight zusammen hat er eine Ausstellung ausgearbeitet, die die andere Seite des Einsatzes zeigt.

„Unsere Sichtweise wird meistens zwei, drei, vier Mal gefiltert“, sagt Maas über McLaughlins Tagebucheinträge, die vergrössert worden sind. „Das ist seine Handschrift auf der Wand. Keine Filter.“ Der Ex-Marine aber ist nachdenklich. „Ich mache mir manchmal wirklich Sorgen, ob Amerika irgendwann weiterzieht und vergisst, dass es seine Männer und Frauen gebeten hat, seine Kriege zu führen.“
Hätte sich das Museum der Marines über den Ex-Kameraden informiert, hätten die Macher gemerkt, dass ihre Anfrage dem Mann wie eine Beleidigung vorkommen muss.