Deutschlands „Aufklärer der Nation“ ist tot

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Mit seinen Büchern und Filmen hat Oswalt Kolle stets für einen offenen Umgang mit Sexualität gekämpft. "Liebe kann man nicht lernen, Sexualität sehr wohl", lautete sein Credo. Vor einer Woche ist der "Aufklärer der Nation" gestorben, wie seine Familie jetzt erst mitteilte. Am Samstag wäre Kolle 82 Jahre alt geworden.

Sein Zorn über die Sexualmoral der Adenauer-Ära ließ ihn in den 60er und 70er Jahren zum „Sexualpapst“ werden und machte ihn über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. „Ich bin ein zorniger junger Mann gewesen, ich bin ein zorniger Alter“, erklärte Kolle in einem Interview zu seinem 80. Geburtstag. Deswegen wünschte er sich anlässlich seines Ehrentages einen Eichenstock, um damit auch im Alter weiterhin auf den Tisch hauen zu können.

Und auch in einem seiner letzten Interviews vom Februar dieses Jahres erzürnte sich Kolle – über den damaligen Augsburger Bischof Walter Mixa, der die sexuelle Revolution für die Missbrauchsfälle mitverantwortlich gemacht hatte. Es sei unglaublich, dass der Bischof jenen Menschen, die gegen den Willen der Kirche für sexuelle Freiheit gekämpft hätten und damit glücklich seien, nun wieder die Schuld gebe, schimpfte Kolle. Bis Kolle seine Lebensaufgabe gefunden hatte, dauerte es allerdings einige Zeit. Zunächst hatte der am 2. Oktober 1928 in Kiel geborene und in Frankfurt am Main aufgewachsene Sohn eines Psychiaters nämlich eine Landwirtschaftslehre begonnen, die er mit der Gehilfenprüfung abschloss. Danach machte er allerdings doch noch das Abitur und wurde Journalist. 

Der Schweißgeruch von Sophia Loren

Nach ersten Schritten als Lokaljournalist machte Kolle zunächst Karriere im Boulevard: Sein erster größerer Erfolg wurde die 1960 in der „Frankfurter Illustrierten“ veröffentlichte Serie „Sie nennen es Liebe“ über Filmstar-Ehen. Danach schrieb er in der „Quick“ über das bunte Leben der Promis, bis ihn ein albtraumhaftes Erlebnis mit Sophia Loren zur Abkehr von der Glitzerwelt der Stars brachte.
Der Schweißgeruch in Lorens Wohnwagen beim Interview habe ihn zur Umkehr bewogen, berichtete Kolle in einem Zeitungsinterview. „Die Dame benutzte kein Deodorant, und es stank so fürchterlich wie im Umkleideraum einer Turnhalle.“ Da sei ihm plötzlich klar geworden, dass er „diesen seichten Star-Journalismus“ nicht mehr wolle. Da traf es sich gut, dass ihm eine populärwissenschaftliche Serie über Kinder angeboten wurde, die auch das Thema Sexualität einschließen sollte. „Das war die Geburtssekunde von ‚Dein Kind, das unbekannte Wesen‘. Ich hatte mein Lebensthema gefunden.“

Fortan war Kolle der „Aufklärer der Nation“. Auf Zeitungsartikel folgten Bücher in zwölf Sprachen, darunter Chinesisch, aus den Büchern wurden Filme – alles mit einem Ziel: Sexualaufklärung. Im Januar 1968 hatte der zweiteilige Film „Das Wunder der Liebe – Sexualität in der Ehe“ Premiere, der in ganz Europa zum Kassenschlager wurde, in Belgien und einigen Kantonen der Schweiz aber auch verboten wurde. Es folgten weitere Aufklärungsfilme, die Kolle auch Kämpfe mit der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft einbrachten. Bereits bei „Das Wunder der Liebe“ habe er zwei Tage und zwei Nächte mit der FSK über jede einzelne Szene verhandelt, sagte Kolle im Interview. „Ein Zensor sagte den bezeichnenden Satz: ‚Herr Kolle, Sie wollen wohl die ganze Welt auf den Kopf stellen, jetzt soll sogar die Frau oben liegen!'“ Insgesamt hatten seine acht Kinofilme mehr als 60 Millionen Zuschauer.

Tabuthema Sterbehilfe

In Interviews berichtete Kolle freimütig über seine ständigen Seitensprünge vom ersten Tag seiner Ehe mit seiner Frau Marlies an, mit der er eine sehr liberale Beziehung geführt habe. Auch Affären mit der jungen Romy Schneider sowie mit anderen Prominenten ließ Kolle nach eigenen Angaben nicht aus – darunter auch Horst Buchholz und O.E. Hasse. Zu seiner Bisexualität bekannte sich der Aufklärer öffentlich allerdings erst spät. Seiner neuen Lebensgefährtin war Kolle nach eigener Aussage treu.

Seine Frau starb vor wenigen Jahren nach 47 Jahren Ehe – und auch bei ihrem Sterben brach der seit langem in Amsterdam lebende Kolle ein gesellschaftliches Tabu: Er hatte sich zur in den Niederlanden erlaubten, in Deutschland aber heftig umstrittenen Sterbehilfe bekannt. Mit anderen Tabubrüchen hatte er jedoch seine Probleme: So fand Charlotte Roches Bestseller „Feuchtgebiete“ nicht seine Zustimmung. Nach 50 Seiten habe er nicht mehr weiterlesen können, bekannte er in Interviews. „Ich finde die Fäkalsprache ekelhaft.“

dapd